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Monat: November 2012

Wir Geister, die ihr rieft

(frei nach J. W. Goethes Zauberlehrling)

Hat der Staat im Bildungswesen
sich doch einmal wegbegeben.
Immer wieder war zu lesen,
das sei absolut daneben.
Tief sitzt diese Wunde,
näht sie bloß nicht zu!
Nutzen wir die Stunde
für den Meister-Coup!

Dank der Lücken,
die da klaffen,
lässt sich’s schaffen
abzuschätzen,
wie wir uns mit Lorbeer’n schmücken
und die Staatsmacht fix ersetzen!

Lasst uns neue Schulen gründen,
aber solche, die was kosten!
Die Idee wird sicher zünden –
erst im Westen, dann im Osten.
Denn die Eltern blechen,
wenn sie sicher sind:
Das, was wir versprechen,
halten wir beim Kind!

Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!
Deutsche Universitäten,
fern von Humboldts Idealen,
platzen längst aus allen Nähten
und der Staat kann’s kaum bezahlen.
Denn ums Finanzieren
ist es schlecht bestellt;
besseres Studieren
bieten wir für Geld!

Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!

Wenn wir bald als Bildungsquellen
kostenlose Arbeitsblätter
Lehrern zur Verfügung stellen,
gelten wir schon bald als Retter
für die leeren Kassen
und im Schulsystem
glaubt man: Wir befassen
uns mit dem Problem!

Füllt die Lücken,
füllt die Löcher,
noch und nöcher
mit Int’ressen!
Schüler soll’n aus freien Stücken
alles, was wir bieten, fressen!

Dazu muss es heut gelingen,
in den Bildungsunterlagen
unsre Werbung einzubringen
für die Lehrer und die Blagen!
Das ist viel subtiler
als man’s von uns kennt.
Jeder dieser Schüler
ist ein Konsument!

Lerne, lerne,
blöder Haufen,
denn zum Kaufen
braucht es Deppen,
die nicht zögern und die gerne
jeden Schrott nach Hause schleppen!

Sind wir Geister erst gerufen,
wollen wir für immer bleiben,
und die Mächte, die uns schufen,
werden uns wohl kaum vertreiben.
Ist sein Geld verflossen,
braucht uns dieser Staat –
lächelnd und entschlossen
schreiten wir zur Tat:

Alle Lücken,
die wir finden
und ergründen
woll’n wir füllen,
und es wird uns stets beglücken,
lebt man dann nach unserm Willen!

Michael Feindler 2012

Nachmittagsfernsehen

Mittwochnachmittags um dreie
gellen unverschämte Schreie
aus der Wohnung über mir.
O-Ton: „Halt die Fresse, Schlampe,
scher Dich nicht um meine Wampe,
hol ma’ lieber neues Bier!“

An den Lärm, der runter dröhnt,
hab ich mich schon längst gewöhnt
und ich hab ein dickes Fell.
Wenn ich jenen Klängen lausch,
weiß ich: Jetzt läuft Frauentausch
viel zu laut auf RTL.

Folglich frag ich mich: Was nun?
Und: Was soll ich bitte tun,
um die Laune hochzuhalten?
Meist ergibt sich, wo ich wohn,
meinerseits die Reaktion,
selbst den Fernseh’r einzuschalten.

Dann wird nachmittags geglotzt,
wie ein Schnurrbartträger motzt
(meist mit Kevin und Chantal).
Fleisch sei voll mit Vitamin,
meint die lispelnde Nadine,
und Salat sei nicht ihr Fall.

Ein Empfänger von Hartz IV
zeigt, dass ein Blatt Klopapier
pro Toilettengang genügt.
Fällt auch das Niveau ins Tal,
steigt der Spaß proportional
und die Fernsehzeit verfliegt.

Doch ein Spaß erfreut noch mehr,
schickt man diesen hin und her –
meist als Youtube-Link im Netz.
Denn die allergrößten Lacher
werden erst geteilt zum Kracher –
das ist menschliches Gesetz!

Und so schauen wir in Massen
etwas, das wir schwerlich fassen
und was furchtbar blöd erscheint.
Aber alle lachen herzhaft
und wir fragen manchmal scherzhaft:
„Ist das wirklich ernst gemeint?“

Viele meinen zu verstehen,
wenn wir diese Grütze sehen,
welcher Sinn dahinter steckt.
Nämlich: Lasst uns Scheiße fressen,
um nicht ständig zu vergessen,
dass Gemüse besser schmeckt!

Wenn wir aber ehrlich wären,
würden wir uns selbst erklären,
dass wir uns den Spaß kaum gönnten,
machte Scheiße nicht bewusst,
dass wir uns – trotz allem Frust –
das Gemüse leisten könnten.

Anmerkung:
Um dich gut zu fühl’n im Leben
und dich grinsend zu erheben,
muss es unter dir was geben,
denn dann kannst du drüber schweben.

Michael Feindler 2012

Liebe auf den ersten Blick

Er glaubte fest im frühen Maie:
Das Schicksal führte ihn zu ihr.
Er saß im Hörsaal, fünfte Reihe,
und sie davor, in Reihe vier.

Ihr braunes Haar fiel leicht und locker,
sie anzuseh’n schien fast vermessen.
Es hätte ihn gewiss vom Hocker
gehauen, hätt er drauf gesessen.

Er musste oft nach vorne linsen:
Ihr Blick war klug und konzentriert,
sie hatte dieses Grübchengrinsen;
sein Inneres war gleich berührt.

Zwar fühlte sich das richtig an,
doch wollte er noch überlegen,
statt bloß zu träumen, und begann,
die nahe Zukunft abzuwägen:

Mal angenommen, diese Frau
(das wusste er ja nicht genau)
wär nicht so jung, wie sie erschien;
am Ende hieße das für ihn,
sie würd ihm in den Ohren liegen
mit Eigenheim und Kinderkriegen.
Vielleicht war’s nicht mehr weit zur Dreißig?
Zwar wirkte sie grad nett und fleißig,
doch wissen Kenner der Natur –
rein biologisch tickt die Uhr.
Auch könnt es sein, dass diese Dame
(ach ja, wie lautete ihr Name?)
noch eine hübsche Schwester hätte,
die wunderbare Menuette
in ihrem Haus zu spielen pflegte
und ihn samt Herz und Geist bewegte –
wodurch er bei der alten Liebe
im Folgenden nur ungern bliebe,
zumal die Schwester jünger wäre –
so stürzte er in die Affäre
mit seiner Schwägerin in spe
und sagte irgendwann „Adé“
zu jener, die jetzt grad was las
und hier im Hörsaal vor ihm saß.
Womöglich lag er gar nicht richtig
und Kinder war’n ihr nicht so wichtig
in ihren nächsten Lebensplänen,
doch sollte er vielleicht erwähnen:
Auf Dauer wär er sicher nicht
der Typ für einen Kind-Verzicht,
denn – wie bei vielen andern Paaren –
wollt er mit fünfunddreißig Jahren
(und ungern später) Vater werden,
um seine Gene hier auf Erden
für Enkel noch zu hinterlassen –
das würd ihm eigentlich gut passen.
Falls diese Frau in Reihe vier
die Zukunftspläne aber schier
unmöglich machte und darauf
bestünde, ihren Lebenslauf
auf Madagaskar fortzusetzen,
dann wär’s wohl schwierig abzuschätzen,
ob sich der Trip zur Insel lohnte
und ob er lieber bei ihr wohnte
als Vater hier im Land zu werden.
Die Reise könnt noch mehr gefährden:
Womöglich stürbe er dann da
an einer Art von Cholera,
bei Palmen, Strand und Himmelblau –
und schuld daran wär diese Frau.
Dann würde er auch nie erfahren,
was mancher Kumpel in den Jahren
der Reise so getrieben hätt,
denn Telefon und Internet
gäb’s sicher kaum im Tropenland –
das wär ihm sonst gewiss bekannt.
Doch wenn die Frau, die er beäugte
(und die sich grad nach vorne beugte,
um dem Dozenten zuzuhören),
womöglich nur in Kammerchören
ein bisschen Brahms und Schubert säng,
dann wär das alles nicht so eng.
Es gäbe dennoch eine Hürde:
Wie lang es ihm gelingen würde,
Gesang zu Hause zu ertragen,
das konnte er nicht sicher sagen.
Und nähme er zudem noch an,
sie würde plötzlich irgendwann …

So spekulierte er im Stillen,
um zum Ergebnis zu gelangen:
Es sprach wohl gegen seinen Willen,
mit dieser Frau was anzufangen.

Als er den Hörsaal dann verließ,
befreit vom Schwärmereigefühl,
und auf die hübsche Dame stieß,
bemerkte er nur knapp und kühl:

„Wir müssen’s gar nicht erst probieren.
Gemeinsam fänden wir kein Glück.“
Doch schien sie wenig zu kapieren.
So ließ er sie verwirrt zurück.

Michael Feindler 2012

Im Chat

hey du – zweimal kleines Dach –
bist du grad noch on und wach –
Punkt, Punkt, Punkt und Fragezeichen –
kann dich nicht im chat erreichen –
Komma – reagier mal drauf –
Doppelpunkt und Klammer auf –
sitze hier und bin echt voll
rofl, keine peilung, lol –
draußen wird’s schon wieder hell –
Komma – HDGDL –
Punkt, Punkt, Punkt – ich geb jetzt ruh –
Semikolon, Klammer zu.

Michael Feindler 2012

Frühlingspläne

Bevor wir, ohne es zu ahnen,
die Lichter dieser Welt erblickten
und taktvoll nach dem Zeitgeist tickten,
begann man uns bereits zu planen.

Wir waren Wunsch, wir waren Wille,
wir waren Sinn und Luxusgut,
denn unsre Existenz beruht
auf der Entscheidung „Kind statt Pille“.

Von uns erwartete man viel.
So tauchten wir im Lebenslauf
nicht bloß in Randnotizen auf,
wir waren ein erklärtes Ziel.

Und was für eins! Wir boten Fläche
für Projektionen, Träumereien,
wir sollten nach Rezept gedeihen –
das war wohl unsre größte Schwäche.

Denn noch bevor wir ansatzweise
den ersten Atemzug getan,
entstand schon ohne uns ein Plan
für unsre weit’re Lebensreise.

In Zukunft sollte alles passen –
wir wurden deshalb keinesfalls
der Chaostheorie des Alls
und blankem Zufall überlassen.

Wir mussten, kurz gesagt, gelingen.
Zwar zählten wir zur Mittelschicht,
doch sollten wir ganz sicher nicht
nur Mittelmäßiges erbringen.

Aus Sicht von anno dazumal
verlangte man auch nicht zu viel.
Die Zeiten wirkten recht stabil,
zum Kinderkriegen optimal.

Man hörte tolle Argumente,
um wieder Kinder großzuziehen:
Uns sollte eine Landschaft blühen
voll Wohlstand, inklusive Rente.

Wir sollten ohne Geldbeschwerden
und allzu festes Rollenbild –
zwar freiheitlich, doch nicht zu wild –
zu unserm Glück erzogen werden.

So malten jene, die uns zeugten,
sich aus, wie wir mal werden sollten,
und nahmen an, dass wir das wollten
und uns den Plänen gerne beugten.

Und schließlich kamen wir zur Welt.
Verwandte hatten längst die Uhr
und Weichen bis zum Abitur
nach bestem Wissensstand gestellt.

Wir konnten dadurch nur verlieren:
Wir sind mit einem Plan gestartet,
doch kam es anders als erwartet.
So lässt sich heute resümieren:

Man hat uns in die Welt gesetzt
und manchen Ratschlag mitgegeben,
bloß hat man – zeigt jetzt unser Leben –
die Zeit stabiler eingeschätzt.

Für alle, die uns planten, gilt:
Ihr müsst uns keineswegs belehren.
Wer weiß schon, wo wir heute wären,
entsprächen wir ganz eurem Bild?

Hört auf, die Angst zu übertragen –
die Angst bezüglich „Sicherheit“.
Das haben wir inzwischen leid.
Wohin’s uns führt, kann niemand sagen.

Und weil das niemand sicher weiß,
gibt’s keinen Grund uns aufzuhalten,
das Leben selber zu gestalten –
im Notfall halt auf dünnem Eis.

Auch wir verspüren diesen Drang,
der jede Jugend aufrecht hält.
Wir wollen leben, denn die Welt
gehört uns einen Frühling lang!

Michael Feindler 2012

Das Schäfchen und der Löwe

Ein Schäfchen sagte zu der Herde:
„Bleibt ihr nur schön bei Gras und Buchen.
Ich geh zur Höhle, denn ich werde
den alten Löwen dort besuchen.“

Die andern Schafe schreckten auf
und warnten das naive Tier:
„Beim Löwen gehst du sicher drauf!
Mach keinen Mist! Bleib lieber hier!“

Das Schäfchen winkte lächelnd ab
(soweit das mit den Hufen ging)
und meinte: „In die Falle tapp
ich keineswegs, denn sehr gering

ist die Gefahr, die heutzutage
vom Löwen auszugehen scheint,
sodass ich zu behaupten wage:
Er ist nicht länger unser Feind.

Erst letzte Woche schrieb er mir
in einem Brief, er freue sich,
stünd ich demnächst vor seiner Tür.
Bis später! Ich verziehe mich!“

Der Wortlaut dieses Briefs verriet:
Genaues Lesen kann nicht schaden;
denn darin wurde explizit
das Tier zum Essen eingeladen.

Das Schäfchen ist nun längst verdaut,
so bleibt alleine die Erkenntnis:
Wirkt manches Raubtier dir vertraut,
so ist das bloß ein Missverständnis.

Michael Feindler 2012