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Autor: Michael Feindler

Der Emigrant

Das Schmunzeln kann er sich nur schwer verkneifen,
wenn Deutsche sich dazu verleiten lassen
ein altes Stammtisch-Thema aufzugreifen
und Texte über Armutsmigration verfassen.

Natürlich tun ihm die Migranten leid.
Es freut ihn dennoch, wenn er davon liest
und dadurch weiß, dass sich in nächster Zeit
der Zorn gewiss nicht über ihn ergießt.

So lehnt er sich zurück und bleibt entspannt,
aus der Erfahrung weiß er ja bereits:
Die Reichtumsmigration wird kaum erkannt.
Wie schön ist doch ein Konto in der Schweiz!

Michael Feindler 2014

Große Weihnachtsgefühle

Das Jahr ist leider unablässig
in weiten Teilen ziemlich stressig,
weshalb sich alles weit und breit
auf eines freut: die Weihnachtszeit.

Was hat man doch zurückgesteckt,
wie häufig hielt man sich bedeckt,
was hat man alles doch geschickt
bis zum Dezember unterdrückt!

Und nun – das Jahr ist bald vorbei,
die meisten Menschen haben frei
und können endlich mal genießen,
was sie ein Jahr lang liegen ließen.

Denn vieles ist zu kurz gekommen:
Zum Beispiel hat man sich benommen
an Orten, wo man mehr und mehr
zu gerne ausgerastet wär.

So mancher hätt sich fast geprügelt
und hat sich schließlich doch gezügelt
und trug ein Lächeln durch das Jahr,
obwohl ihm oft zum Kotzen war.

Zwar kann es wochenlang gelingen,
sich selbst zur Höflichkeit zu zwingen,
doch hält das niemand ewig aus
und eines Tages platzt es raus.

Und kaum ertönt das „Stille Nacht“,
hat’s irgendwo bereits gekracht,
denn alles, was sich angestaut,
wird jetzt zur Weihnacht abgebaut!

Da hat man Muße, Zeit und Ruh
und kommt nun endlich mal dazu,
zu teilen, was man in sich trägt,
indem man allerlei zerlegt.

Verwandte länger zu verschonen,
erscheint bei allen Aggressionen,
die da sind, wenig angebracht,
trotz viel zitierter „stiller Nacht“.

Im Gegenteil: Es trifft sich gut,
dass diese angestaute Wut
ein Ziel (das man „Verwandtschaft“ nennt)
für jede Art Entladung kennt.

Denn für die Zukunft heißt das auch:
der heilige Dezember-Brauch
bleibt Fläche für die Projektion
von unterdrückter Aggression

und fängt auf diese Weise auf,
was sonst in jedem Lebenslauf
mit Sicherheit zur Folge hätt:
Die Menschen wär’n noch selt’ner nett.

Wer immer sich am Weihnachtsfest
(und sonst nur selten) gehen lässt,
der hat, obwohl man kaum dran denkt,
sein Umfeld damit reich beschenkt.

Am Ende bleibt ja stets zu hoffen:
Wenn Menschen sich am Festtag zoffen,
wird dieser Streit demnächst vermieden.
So bringt die Weihnachtszeit den Frieden!

Michael Feindler 2013

Der Abhörskandal

Geheimdienst A hat ungestört
Regierung B oft abhört
und ungeniert viel spioniert.
Ganz ähnlich hat Geheimdienst B
Regierung A aus Übersee
sehr int’ressiert oft nachgespürt.

Doch B bekommt auf einmal raus:
„Die andern spionier’n uns aus
als gäb’s hier lauter Terrorzellen!“
Die Presse reagiert empört
und schreibt, das sei ja unerhört
und unverzüglich einzustellen!

Geheimdienst A bleibt recht gelassen
und meint: „Das könnte Euch so passen!
Wir stellen erst mal gar nichts ein.“
Die Forderung sei allerhand,
bei A sei sei nämlich längst bekannt:
Dort hört Geheimdienst B gern rein.

Regierung C – ein Nachbar A’s –
hat an der Sache sichtlich Spaß
und meint, es würde naheliegen,
auf Spionage zu verzichten
und lieber offen zu berichten,
anstatt sich lauschend zu bekriegen.

Der Vorschlag ist als Scherz gemeint –
doch A und B sind schnell vereint:
Die Abhhörspielchen hören auf.
So wird sich zügig aufgerafft,
Geheimdienst A wird abgeschafft,
Geheimdienst B folgt gleich darauf.

Das eigentliche Argument
für diesen raschen Umschwung nennt
nach all den Spionage-Jahren
erst A, dann B im Interview:
„Wir geben es ja beide zu:
Wir müssen dringend Gelder sparen!“

Michael Feindler 2013

Marie Antoinettes Nachfahren und der Spitzensteuersatz

„Oh nein, jetzt will der Staat ja noch mehr Geld“,
so gehen Rufe durch das ganze Land.
Das Bild ist in die Köpfe eingebrannt,
wie unser Staat die Bürger überfällt.

Er plündert, wo er kann, und hinterlässt
nur eine Schneise der Verwüstung überall.
Den Mittelständischen bleibt – klarer Fall –
vom Kuchen bloß der kleine Krümelrest.

Fast meint man, jene Bürger litten Not,
die aus dem Mittelstand heraus laut fluchen:
„Wir brauchen ein viel größ’res Stück vom Kuchen,
weil sonst der Fall ins Tortenlose droht!“

Sie sind verwirrt, ertönt ein Ruf nach Brot.

Michael Feindler 2013

Die Sonntagsantwort

oder: Vom Sympathieverlust in der Wahlkabine

Die Sonntagsfrage wurde oft gestellt
und mancher Bürger äußerte direkt,
was er von der Parteienlandschaft hält,
und welcher Grund dafür dahintersteckt.

Wobei – es geht nicht immer um Parteien,
der Schwerpunkt liegt auch kaum auf Wahlprogrammen.
Drum fassen viele Wähler bei der freien
Entscheidung ihre Haltung so zusammen:

„Ach, wissen Sie, der Spitzenkandidat
ist nicht der Richtige für Volk und Staat.
Warum? Ich weiß, das klingt jetzt etwas hart:
Der Mann ist nun mal wirklich kein Sympath!
Ich mag den nicht, von seiner ganzen Art,
der hat noch nicht mal einen hübschen Bart
und wirkt schon so als ob er ungern spart,
kurzum: der Kandidat hat kein Format!
Die Lage ist doch heut schon desolat
und kommt dann einer, der nur selten Skat
(stattdessen Schach) spielt, hab ich einen Rat
für Wähler ohne Präferenz parat:
Kürt diesen Redner nicht zum Mann der Tat,
bloß weil er mal um Eure Stimme bat.

Bei diesem Typen kommt mir oft das Grauen!
Da hilft’s, die Kandidatin anzuschauen,
denn ihr ist einiges noch zuzutrauen –
zum Wohle aller Kinder, Männer, Frauen.
Die wirkt schon so als könnt man auf sie bauen,
die würde weder andere beklauen,
noch Gegnern aus Prinzip den Spaß versauen.
Sie zählt für viele Menschen zu den Schlauen,
drum scheint das nächsten Sonntag hinzuhauen …“

Und so entscheidet sich auch diese Wahl
(trotz Mangel an Vertrau’n und Euphorie)
kaum inhaltlich, doch stark durch Personal
und Wertungen bezüglich Sympathie.

Dann hat der Wähler sicher das Gefühl,
er handle mündig, klug und demokratisch.
Für eine Republik ist dieser Stil
des Wählens aber ziemlich unsympathisch.

Michael Feindler 2013

Reiseweisheiten

Ein Mensch erkennt normalerweise
auf jeder ausgedehnten Reise,
wie wenig er doch wissen kann.
Und völlig gleich, wohin er fährt,
wie lang er bleibt – zurückgekehrt,
erinnert er sich oft daran,

dass jeder Weg und jede Fahrt
ihm stetig Neues offenbart,
was er aus dieser Perspektive
zu Hause an der Arbeitsstätte
gewiss noch nicht betrachtet hätte –
da braucht’s die Reiseoffensive!

So wird ihm mehr und mehr präsent
(je mehr er von der Welt nun kennt),
wie relativ doch vieles ist:
Denn, was er einmal hierzuland
als richtig oder falsch empfand,
erscheint als menschliches Gerüst,

das wie ein Kartenhaus zerfällt,
sobald er in der weiten Welt
woanders mal Gebräuche sieht,
die scheinbar bestens funktionieren
und die er – statt zu kritisieren –
ein Stückweit besser nachvollzieht.

Ein andrer Mensch, der nie sehr weit
gereist ist, meint: Er weiß Bescheid
bezüglich Anstand und Moral!
Worum es im Gespräch auch geht,
ist eins gewiss: Sein Urteil steht –
denn vieles hält er für banal.

Das zeigt, wie sehr sich jemand irrt,
der glaubt, was oft behauptet wird:
Dass Reisen klug und glücklich macht.
Denn hat man erst die Welt durchquert,
sind Meinungen verdreht, verkehrt,
und Weltbild-Zweifel angebracht.

Statt Reiseweg und Ziel zu wählen
ist deshalb jedem zu empfehlen,
sich hinter beide Ohr’n zu schreiben:
Dagegen, dass man nicht vergisst,
was gut, was schlecht, was fraglich ist,
hilft eines nur: zu Haus zu bleiben!

Michael Feindler 2013

Später Besuch

Ich träumte, dass zu später Stunde
die Klingel meiner Wohnung schellte,
und fragte mich, wer seine Runde
grad zog und sich zu mir gesellte.

Ich öffnete, ums zu erfahren,
nach kurzem Zögern schon die Tür
und meine Worte darauf waren:
„Ach je – was machen Sie denn hier?“

Dort stand ein Mann. Nicht allzu alt.
(Ich würde ihn auf dreißig schätzen.)
Von Bildern war mir die Gestalt
bekannt. Ich bat sie, sich zu setzen.

So trat der Mann gemächlich ein
und ließ sich auf mein Sofa sinken
und merkte an: „Ein Tee wär fein.
Ansonsten brauch ich nichts zu trinken.“

Er sagte das – als wär’s normal –
auf Deutsch (und auch noch ohne Slang!),
denn Träume wirken zwar real,
doch sind bei Sprachen selten streng.

Aus diesem Grunde brauchte ich
mein Englisch gar nicht rauszukramen.
Bei Ingwer-Tee ergab es sich,
dass wir darauf zu sprechen kamen,

wohin den Mann die Reise führte,
auf der er sich zur Zeit befand.
Ich merkte, wie mich das berührte
und dass ich viel Respekt empfand.

Er wurde von Geheimdienstleuten
des Westens nach wie vor gejagt,
sein Kopf erschien auf Titelseiten
und war auf Youtube sehr gefragt.

Er hatte nämlich in der Tat
(zunächst nur heimlich und versteckt)
den Überwachungsapparat
der großen Mächte aufgedeckt.

Und deshalb saßen diese Mächte
ihm jetzt seit Wochen schon im Nacken,
als ob es irgendetwas brächte,
ihn einzufangen und zu packen.

„Denn“, so bemerkte er entspannt,
„die Pläne, die ich jüngst entlarvte,
sind künftig weiterhin bekannt –
ganz gleich, wie hart man mich bestrafte.“

Es gebe nur noch ein Problem:
Solange er im Fokus stehe,
anstelle vom Kontrollsystem,
sei’s besser, wenn er zügig sehe,

sich möglichst ganz zurückzuziehen.
Zum einen nerve es ihn sehr,
vor diesem Lumpenpack zu fliehen,
zum andern sei es leider schwer,

den Menschen draußen zu vermitteln,
sich nicht auf ihn zu konzentrieren.
Er meinte: „Um Euch wachzurütteln,
darf ich mich nicht mehr engagieren.

Ach ja – den Tee hab ich genossen.
Ich wünsche eine gute Nacht!“
Im Anschluss hat er sich erschossen
und ich bin schreiend aufgewacht.

Michael Feindler 2013

Bewölkte Stimmung

Die Straßen sind mal wieder nass,
seit vielen Wochen nervt uns das –
wir haben schließlich Mai!
Es nieselt, regnet, stürmt und weht,
doch selbst zum Junianfang geht
der Regen nicht vorbei.

Was fällt dem Wetter bitte ein?
Soll das nun unser Frühling sein?
Vom Sommer ganz zu schweigen!
Uns stört die hohe Wolkenzahl,
der Himmel sollte endlich mal
die blaue Seite zeigen.

Jetzt fehlt ja nur noch, dass es schneit!
Wir haben diesen Regen leid,
doch scheint’s ihn nicht zu jucken.
So müssen wir das Wetter halt –
ob trocken, heiß, ob feucht, ob kalt –
auch diesmal wieder schlucken.

Wir nehmen’s aber selten leicht,
selbst wenn der Regen einmal weicht –
dann stört uns bald die Hitze.
Das ganze Klima nervt uns hier!
Die schlechte Laune treiben wir
beim Wetter auf die Spitze.

So bleiben wir stets abgelenkt,
bevor noch jemand daran denkt,
sich Dingen zuzuwenden,
die unser Leben heut erschwer’n
und zweifellos zu ändern wär’n
mit unsern eig’nen Händen.

Der Frust wird dadurch umgekehrt:
Obwohl man sich so gern beschwert
(erst recht in deutschen Ländern),
wie störend dieses Wetter sei,
entspannt uns eines doch dabei:
Wir können’s heut nicht ändern.

Michael Feindler 2013

Prognosen

Wir schätzen jede Art Prognose
vom Wetter bis zur nächsten Wahl
und fühlen uns als Ahnungslose,
entgeht uns einmal eine Zahl.

Wir lieben es vorauszusagen:
„Was wird wohl morgen zum Problem?“,
doch sollten uns viel öfter fragen:
Was haben wir von alledem?

Denn würden wir darauf verzichten,
zu sehen, wie wer wo was misst,
dann könnten wir uns danach richten,
was heute wirklich wichtig ist,

statt jeden Tag darauf zu schielen:
Wie wird es wohl? Und wird es knapp?
Prognosen helfen nicht beim Zielen,
sie lenken höchstens davon ab.

Michael Feindler 2013