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Kategorie: Das Lachen der Ohnmächtigen

Hinter Zäunen und Mauern

Liedtext

Wir sitzen hinter Zäunen oder Mauern,
die Welt da draußen ist nicht unsre Welt,
doch spüren wir die Menschen draußen lauern
und schrecken auf, wenn unser Jagdhund bellt.
Wir sind gewohnt, uns täglich abzuschotten,
weil jeder Mensch uns potentiell bedroht.
Wir kennen uns’re eigenen Marotten.
Was wir nicht fühlen, halten wir für tot.

Wir sehen uns als geistige Eliten,
wir wirken, wenn wir sprechen, selbstbewusst,
und lesen der Gesellschaft die Leviten,
beklagen Wertverfall und Wertverlust.
Sozialromantik nennen wir die Lüge,
die jedem Menschen Gutes unterstellt,
obwohl selbst Optimisten zu genüge
erkennen: Es läuft anders in der Welt!

Die Angst ist unser stetiger Begleiter,
wir raffen um uns, was sich raffen lässt.
Wir streben stets nach mehr und immer weiter,
doch gierig ist bekanntlich auch der Rest.
Denn jeder Mensch ist Opfer seiner Triebe,
Moral ist ein Kostüm und niemals echt,
weshalb aus allem nur zu folgern bliebe:
Im Kern sind alle Menschen faul und schlecht.

Die Wenigsten woll’n wirklich etwas leisten,
ihr Antrieb sind Bequemlichkeit und Gier.
Das gilt da draußen für die allermeisten.
Sind wir einmal ehrlich, sehen wir:
Wir müssen Leistung notfalls auch erzwingen,
sodass, wer uns nicht hören will, uns fühlt.
Gesellschaft kann ja schließlich nur gelingen,
wird unser Menschenbild nicht weichgespült.

Ein Menschenbild in eine Form zu gießen,
machen wir seit vielen Jahren blind.
Uns fällt nicht schwer, auf andere zu schließen,
weil wir wissen, wie wir selber sind.

Michael Feindler 2013

Das Feriencamp

Liedtext

Alle Kinder sind heute sehr gespannt,
was sie im Sommercamp erwartet.
Bisher ist ihnen nur der Ort bekannt,
an dem der Erlebnisurlaub startet.
Vom Helikopter werden sie zu Hause abgeholt
und schließlich am Ziel abgesetzt.
Es dauert nicht lang, dass die Kinderschar jolt,
denn die Kleinen wissen jetzt:

Dieser Urlaub wird ein Kracher,
Action-Träume werden wahr.
Heldentum und Widersacher,
das erlebt man hier hautnah.
Fröhlich grüßen Offiziere,
jeder freut sich darauf sehr,
dass man fleißig hier trainiere
im Feriencamp der Bundeswehr!

Die Kleinen sind im Spreewald stationiert,
denn hier wird es niemanden stören,
wenn man ein paar neue Waffen ausprobiert,
die zum großen Arsenal gehören.
Zunächst lernen alle Kinder gut zu ziel’n,
um dann weiter so zu verfahr’n:
Die Besten dürfen die Deutschen spiel’n,
die anderen sind die Taliban.

Manchmal laut und manchmal leise,
manchmal konzentriert, mal wild,
geht’s auf Abenteuerreise,
hier wird nicht nur Zeit gekillt!
Fröhlich kämpfend als Soldaten
läuft der Nachwuchs hin und her.
Kinder, auf zu neuen Taten
im Feriencamp der Bundeswehr!

Nicht jeder meistert den Parcours
mit dem Minensuchgerät.
Wie schön, wenn sich in Wald und Flur
nicht nur Emotion entlädt!
Hier geht es schließlich nicht um Mord,
sondern um Verbesserung
der Leistungen im hohen Sport
der Selbstverteidigung!

Jeder darf mal Panzer fahren,
denn das ist doch gar nicht schwer,
das erfreut die Kinderscharen
bei der deutschen Bundeswehr!
Hier will jeder alles geben,
denn die Besten lädt man ein
bald schon noch mehr zu erleben –
das Camp wird dann in Syrien sein.

Michael Feindler 2014

Wo ein Wille ist

Liedtext

Er hat vor langer Zeit bereits beschlossen:
Eines Tages wird zurückgeschossen!
Er kennt für seinen Kampf bereits das Ziel,
obwohl von dieser Seite kein Schuss fiel.
Das kann ihm seine Pläne nur erschweren:
denn um andern Kriege zu erklären,
sollte er den Angriff gut begründen,
doch blöderweise ist kein Grund zu finden.
Und just in dem Moment, als er es braucht,
ist beim Gegner etwas aufgetaucht:
Giftgas oder andre schlimme Waffen,
als Grund zum Angriff scheint das wie geschaffen!

Das liefert wieder einmal den Beleg:
Wo ein Wille ist, findet sich ein Weg.

Er hat als Unternehmer schon seit Jahren
Erfolge und Gewinne eingefahren.
und ähnlich lange stört ihn schon am Staat
der riesige Verwaltungsapparat.
Er meint, dass das den Bürgern wenig bringe,
stattdessen aber sehr viel Geld verschlinge.
Das Ganze habe schon so manchen Wert,
den er geschaffen habe, rasch verzehrt.
So hat er sich seit Jahren aufgeregt
und nun ein neues Konto angelegt –
der deutsche Staat zieht davon nichts mehr ein,
denn Steuern zahlt er jetzt in Liechtenstein.

Das zeigt mal wieder: ist ein Wille da,
sind die Wege Richtung Ziel besonders nah.

Der Fortschritt bricht sich technisch neue Bahnen,
die Zukunft lässt sich heute kaum erahnen:
Mit Internet und digitalem Fluss
ist bekanntlich lange noch nicht Schluss.
Im Gegenteil: Es wächst im großen Stil
und heute ist es längst ein Kinderspiel
zu speichern, was im Internet passiert
und was ein Mensch zur Zeit im Netz vollführt.
Wir wissen selbst, dass unsre Nutzerdaten
rein theoretisch einiges verraten –
man könnte uns ja sogar überwachen …
Wer soll sich aber diese Arbeit machen?

Doch fest steht, dass der Umkehrschluss auch gilt:
Wo ein Weg ist, ist auch irgendwer gewillt.

Michael Feindler 2013

Essen ist fertig!

Liedtext

Das Essen ist fertig, nehmt Euch eine große
Portion Spaghetti mit Hackfleischsoße!
Aber nicht übertreiben. Das reicht erst mal. Halt.
Haut rein, liebe Kinder, sonst wird es noch kalt!
Wie schön ist es, Euch beim Essen zuzuschauen,
im Anschluss seh ich Euch sehr glücklich verdauen.
Doch habt Ihr schon darüber nachgedacht,
was die Bolognese so lecker macht?

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Ihr müsst zugeben, dass er sich als schmackhaft erweist.
Was guckt Ihr denn so? Es hat Euch vorhin geschmeckt!
Ihr habt den Teller sogar noch mal abgeleckt!
Ich verstehe nicht, warum das plötzlich ekelig ist,
bloß weil Ihr jetzt von dieser Zutat wisst!

Opa war keiner mehr von den Jungen,
wir hätten ihn deshalb notgedrungen
in eine Seniorenresidenz geschafft
und dort hätte es ihn dann hinweggerafft.
Das Geld für ein Altersheim lässt sich sparen –
dafür können wir lieber in den Urlaub fahren.
Ach, verzieht jetzt bitte nicht Euer Gesicht!
Bolognese war doch immer Euer Leibgericht!

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Er war nicht mehr zu gebrauchen und völlig vergreist.
Das ist der Lauf der Dinge – irgendwann ist Schluss,
woran sich wirklich jeder Mensch gewöhnen muss.
Doch wie den meisten geht’s Euch besser, wenn Ihr vergesst,
was man Euch auftischt und was Ihr so esst!

Im Übrigen möchte ich nicht verhehlen:
Ich kann dieses Essen jedem nur empfehlen,
denn fest steht, wenn man Senioren brät:
Das ist billiges Fleisch mit hoher Qualität!
Da weiß man, was drin ist, und das ist allemal
sicherer als alles aus dem Kühlregal,
kein Gammelfleisch, kein Massentier und ähnlicher Dreck –
und die Alterspflege fällt auch noch weg!

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Das passiert eben, wenn man auf Verbraucherschutz scheißt.
Das ist sparsam für den Haushalt und höchst effizient
und es bringt Euch nichts, wenn Ihr weiterhin flennt.
Die Oma liegt im Keller und ist auch schon tot,
die gibt es dann morgen frisch aufs Pausenbrot!

Michael Feindler 2013

Die Hand

Liedtext

Guten Tag, Herr Intendant, ich bedanke mich für die Ehre,
dass ich über Sie berichten darf!
Und dann aus diesem Anlass – zur heutigen Premiere!
Da komm ich gerne! Auch mit Fotograf!
Ja, wie Sie schon sagten: Der Abend wird recht lang,
denn später wird mit allen angestoßen
mit äußerst edlem Alkohol bei einem Sektempfang,
Sie zählen schließlich zu den wirklich Großen!
Und machen Sie sich bitte keine Sorgen
bezüglich der Premieren-Rezension.
Der Text erscheint dann gleich am Montagmorgen,
gewiss mit sehr viel Lob im besten Ton.

Denn:
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
weil man sonst daran erstickt.
Und deshalb ist es stets gesünder,
wenn man freundlich nickt.

Guten Abend, Herr Minister! Ich bin ehrlich hocherfreut,
dass wir uns mal endlich wiederseh’n!
Bei diesem Wirtschaftsgipfel genieß ich hier und heut
zwischen hohen Tieren rumzusteh’n.
Auf solche Treffen kann ich auch in Zukunft nicht verzichten,
ich mag es, als Reporter exklusiv
aus nächster Nähe und nicht bloß von Ferne zu berichten,
mein Chef bewertet das sehr positiv!
Sie fragen mich, woran ich grade schreibe?
Ach, wissen Sie, das ist doch völlig gleich –
solange ich in diesen Kreisen bleibe,
schreibe ich als einer von Euch!

Denn:
Die Hand, die einen füttert …

Ich wirke manchmal abgehoben oder elitär,
doch weiß ich auch, wie dumm Distanz für mich beruflich wär.
Und nur mit dem direkten Draht – unter anderm nach Berlin –
kann ich alles, was passiert, wirklich nachvollzieh’n.
Ganz egal, worüber ich bis heute schrieb
und wohin mich mein Beruf auch trieb –
überall hatten mich die Leute lieb,
denn ich folgte dem Prinzip:

Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst wird die Luft noch knapp.
Und wenn die Hand mir nützen soll,
lecke ich sie lieber ab!

Michael Feindler 2013

Technisches Unbehagen

Technik – speziell das Internet – schlägt Brücken. Zwischen Ländern. Zwischen Menschengruppen. Zwischen Personen, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Das ist doch was. Wenn da nur nicht dieses Unbehagen wäre. Das Unbehagen, dass die Technik die Menschen mehr voneinander entfremdet als sie miteinander zu verbinden. Dass sie menschliche Nähe verhindert. Alles anonymer macht.
Ein Beispiel: Wenn ich heute als Geheimdienstmitarbeiter jemanden ausspionieren und abhören möchte, gibt es genügend Methoden, das zu tun, ohne dass ich persönlich in die Wohnung der betreffenden Person einsteigen muss. Vermutlich reichen schon ein paar Klicks und ich sehe das Wohnzimmer durch die Webcam. Oder das Schlafzimmer. Aber das ist doch nicht das Gleiche wie früher. Als man Wohnungen heimlich aufgebrochen hat, um Abhörkabel zu verlegen und Telefone zu verwanzen. Als man noch selber durch die fremden Zimmer schritt, den Duft eines geschmacklosen Parfums einatmete und beim Knarren der Dielen unter den eigenen Füßen kurz aufschreckte. Das hatte Spannung. Das war authentisch. Irgendwie persönlicher.
Ganz ähnlich ist das mit Kriegen. Man kennt noch die Geschichten von früher. Als man sich auf den Schlachtfeldern Auge in Auge gegenüberstand. Den Atem des Feindes hören und die eigene Furcht schmecken konnte. Auch das hatte immer etwas Persönliches, ja sogar Intimes. Wenn man wusste, dass das eigene Gesicht das letzte Gesicht sein konnte, das jemand sah, bevor man ihn erschoss. Dass sich dieser Mensch in dem Moment wahrscheinlich nach seinen Liebsten sehnte und dass der Blick in ein völlig fremdes Gesicht den Tod nicht ansatzweise mildern konnte – trotzdem teilten da zwei Menschen einen Moment miteinander.
Es gibt auch nicht mehr diese Extraportion Nervenkitzel, wie es sie früher gab, weil man nicht sicher sagen konnte, wer am Ende des Tages überleben würde. Heute weiß man, wer gewinnt: Der Drohnenpilot. Und der hört in seiner Position nicht einmal mehr die Schreie der Menschen, die er tötet. Er sieht nur die Pixel. Anonymer geht es kaum.
Aber es wäre falsch zu behaupten, die Technik würde alles anonymer machen. Sie ist nicht Schuld. Höchstens der aktuelle Stand der Technik – der ist Schuld. Denn auf der ganzen Welt arbeiten Menschen an besseren Sensoren, Kameras, Mikrofonen und Lautsprechern. Und vielleicht wird man eines Tages, wenn man eine Wohnung überwacht, ab und zu die Bodendielen knarren hören, als hätte man sie gerade selbst betreten. Und vielleicht wird der Moment kommen, in dem ein Drohnenpilot direkt in schreckensgeweiteten Augen in 3D und HD-Qualität blickt, während er den Abschussknopf betätigt. Und womöglich wird er dabei ein Gefühl von Verbundenheit und Nähe spüren, das nicht technisch, sondern rein menschlich ist.

Michael Feindler 2014

Verschwendung

Europa, was für eine Schande!
Es ist doch nicht mit anzusehen,
wie Flüchtlingsboote hier am Rande
des Kontinentes untergehen.

Zu helfen, wäre längst geboten!
Es wäre nämlich schlicht verkehrt
zu sagen, viele dieser Toten
wär’n lebend ebenfalls nichts wert.

Erst recht aus Unternehmersicht
sind diese Opfer nur Verschwendung!
Die Rettung wäre daher Pflicht:
Wir haben ganz gewiss Verwendung

für jene, die befürchten müssen,
sie würden auf dem Meer begraben.
Die werden uns die Füße küssen,
sobald wir sie gerettet haben!

Es wäre damit viel gewonnen,
wie jeder sich schon denken kann:
Denn wer dem Tode grad entronnen,
nimmt jede Art von Arbeit an.

Dann könnten wir den Beinah-Leichen
die schlimmsten Niedriglöhne zahlen.
Es würde ihnen trotzdem reichen,
vermutlich würden sie noch strahlen,

aufgrund des Glückes, hier zu sein.
Europa würde dadurch schöner
und ließe Flüchtlinge herein
als lebensfrohe Billiglöhner.

Michael Feindler 2014

Schutzvorkehrungen

Bekanntlich ist man stets bemüht,
für Sicherheit im Land zu sorgen.
Wenn Terror aber erst mal blüht,
erwischt es uns vielleicht schon morgen.

Man rechnet einfach nicht damit
und plötzlich hat man den Salat:
Die falsche Zeit, ein falscher Schritt,
und – Bumm! – ein Selbstmordattentat.

Ich seh nicht ein, das hinzunehmen,
und stell mich, wo ich leb und wohne,
der Grundgefahr mitsamt Problemen
und bau mir heute eine Drohne!

Natürlich schaff ich keine an,
die ab und zu auf Ziele schießt
und somit Menschen töten kann,
wovon man hin und wieder liest.

Nein, nein, das ginge mir zur weit.
Ich will mich nicht bewaffnet wehren.
Mir reicht es schon, von Zeit zu Zeit
mit meiner Drohne aufzuklären.

Ich werde bloß mal Bilder schießen.
Vor allem aus der Nachbarschaft,
wie Leute ihre Blumen gießen,
nackt baden oder stümperhaft

ihr altes Fahrrad reparieren,
in unsre gelben Tonnen pissen …
Das würd ich gerne kontrollieren,
es schadet nicht, das mal zu wissen.

Wobei – es ist nicht auszuschließen,
dass mir die Bilder zeigen werden,
dass Nachbarn, die sonst Blumen gießen,
mein Leben lange schon gefährden.

Womöglich lebe ich seit Jahren
im Zentrum einer Terrorzelle
und bin mir einfach nicht im Klaren:
Hier wohnen lauter Kriminelle!

Bislang ist das nur ein Verdacht,
doch wenn ich jetzt noch länger warte,
dann hat man mich schon umgebracht,
bevor ich meine Drohne starte.

Ich gehe aber gern als Sieger
hervor und deshalb rasch zu Werke
und bau den unbemannten Flieger,
ergänzt um eine neue Stärke:

Ich bin ja schließlich nicht naiv,
die Drohne wird jetzt explosiv.
Und gucken meine Nachbarn schief,
dann schieß ich eben präventiv!

Doch klappt es nicht auf diese Tour
und lande ich in fiesen Fängen,
dann bleibt als letztes Mittel nur,
mich selber in die Luft zu sprengen!

Michael Feindler 2014

Freiheit durch Kontrolle

Wer den Menschen erzählt, sie würden von ihren Geheimdiensten ausspioniert, gefährdet damit nicht bloß die innere Sicherheit, wie wir längst wissen. So jemand gefährdet einen Grundpfeiler unserer Demokratie: die Freiheit! Und frei ist nicht etwa derjenige, der tun kann, was er will, sondern wer wollen kann, was er tun soll. Denn Freiheit darf es in einer Demokratie nie ohne Verantwortung geben. Und Verantwortung ist bekanntlich eine Sache der Erziehung. Wenn Geheimdienste Ihre Bürgerinnen und Bürger bespitzeln, handelt es sich dabei um nichts anderes als eine gut gemeinte Erziehungsmaßnahme. Wer hätte denn früher regelmäßig seine Hausaufgaben gemacht, wenn keine schlechten Schulnoten gedroht hätten? Welches Kind würde freiwillig sein Zimmer aufräumen, wenn es nicht den Liebesentzug der Eltern fürchtete? Klar, ist das eine subtile Form von Gewalt. Aber eine gut gemeinte. Denn wer kontrolliert wird, wird sich seiner Verantwortung bewusst. Kontrolle verhindert schlechte Gewohnheiten.
Einfaches Beispiel: Wenn ich täglich vor dem Rechner hocke und Fast Food in mich reinstopfe, ist das gegenüber mir selbst verantwortungslos. Wenn ich aber weiß, dass meine Laptopkamera mein Verhalten mitfilmt und das Risiko besteht, dass die Bilder mit dem ungesunden Fraß eines Tages bei meiner Krankenversicherung landen, esse ich künftig eben nicht mehr vor dem Rechner. Oder andere Situation: Mal angenommen, ich plane eine Behörde in die Luft zu sprengen. Rein hypothetisch. Solange ich mich über das Internet kontrolliert fühle, werde ich den Sprengstoff bestimmt nicht bei einem ausbeuterischen Logistikunternehmen bestellen. Stattdessen werde ich diese schlechte Angewohnheit ablegen und zum lokalen Waffenhändler meines Vertrauens gehen. Regionale Produkte fördern.
Erst dann, wenn mich die Erziehung durch Kontrolle zu einem verantwortungsvolleren Menschen gemacht hat, werde ich die Freiheit wirklich zu schätzen wissen.

Michael Feindler 2015

Scheitern lernen

Fast haarfrei, dennoch ungeschoren,
verschrumpelt, schwächlich, wehr- und schutzlos –
so liegst Du da, grad frisch geboren,
gesellschaftlich noch völlig nutzlos.

Den Urinstinkten nachzugeben
und Dich, mein Kindlein, zu beschützen,
wär leicht, doch will ich Dich im Leben
gern effektiver unterstützen,

indem ich Dir die Watte nehme,
in die Dich sonst Dein Umfeld packt.
Dann spürst Du leichter die Probleme,
den Zeitgeist und den Lebenstakt.

Wer nämlich aufgepasst hat, kennt
den Ratschlag wichtiger Experten
aus Business und Management:
Es kommt drauf an, sich abzuhärten!

Das wird den Menschen eingebläut
auf allen Karriereleitern.
Drum merke Dir, mein Kind, schon heut:
Erfolgreich wirst Du nur durchs Scheitern!

Soll Dir der Aufstieg je gelingen,
so musst Du erst am Boden liegen.
Ich habe vor Dir beizubringen,
Dich nie in Sicherheit zu wiegen.

Das wird Dich hin und wieder stressen
und ist kein Null-acht-fünfzehn-Drill.
Trotz allem darfst Du nie vergessen,
dass ich doch nur Dein Bestes will.

Der Plan ist lange schon gefasst –
Du darfst ab heut mit ihm gedeihen
und wirst, sobald Du Hunger hast,
minutenlang vergeblich schreien.

Dann lasse ich mich nicht erweichen,
selbst wenn Dein Stimmchen laut krakelt.
Mit Tränen lässt sich nichts erreichen,
ganz gleich, wie sehr Dir etwas fehlt!

Das Essen kommt schon, gibst Du Ruh
(nach allerspätestens zwei Tagen).
Dann lernst Du hoffentlich dazu,
statt jeden Mangel zu beklagen.

Du sollst ja schließlich daran reifen
und lernen damit umzugehen,
um eines Tages zu begreifen:
Wir fallen nur, um aufzustehen!

Das wirst Du immer wieder merken,
mein Kind, ich sorge schon dafür:
So wird es Dich zum Beispiel stärken,
verbringst Du Nächte vor der Tür.

Und willst Du Fahrradfahren lernen,
sind Hindernisse angebracht.
Das linke Stützrad zu entfernen
ist, wie Du seh’n wirst, schnell gemacht.

Dann fährst Du los, fällst gleich zur Seite
und überlebst den Sturz nur knapp,
wobei Dich dieser Spruch begleite:
Was Dich nicht tötet, härtet ab!

Folgt bald darauf der Lebensernst,
so wage ja nicht einzuknicken!
Ich werde Dich, damit Du lernst,
auf eine Brennpunktschule schicken,

wo aggressive Kinder Dich
in Pausen in die Enge treiben,
denn mit dem Edding werde ich
auf Deine Stirn fett „Opfer“ schreiben.

Ach, ich vergaß noch zu erwähnen:
Du sollst ja Jason-Justin heißen,
damit die Lehrer wie Hyänen
Dein Können in der Luft zerreißen.

Gewiss wirst Du Dich fragen, wie
das durchzustehen ist, doch sieh
in sämtlichen Schikanen die
perfekte Langzeitstrategie!

Womöglich wirst Du dran erkranken
und leiden, aber glaube mir:
Du wirst mir eines Tages danken,
dass ich Dich heute malträtier!

Und stehst Du einmal nicht mehr auf,
weil Angst die Oberhand gewinnt,
bleibt dieser Satz im Lebenslauf:
Du hattest Deine Chance, mein Kind!

Michael Feindler 2014