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Kategorie: Dumm nickt gut

Lass mir meine Melancholie

Liedtext

Die Sonne beginnt sich herniederzusenken,
es liegt mir so fern, schon an morgen zu denken,
zumindest in diesem Moment.
Du sagst, ich solle lächeln, doch ich denke ans Weinen,
das will mir gerade plausibler erscheinen
beim fehlenden Happy End.
Ich fühl mich inzwischen zu müde zum Gähnen,
bewund’re im Stillen die Ästhetik von Tränen.
Das wird nicht für immer so sein,
aber sieh bitte ein:

Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie
im reißenden Strom der Zeiten.
Wie weit es mich führt und wohin ich auch zieh –
sie darf mich ein Stückweit begleiten.

Nach feurigen Reden und freudigen Tänzen
seh ich nun Scherben im Abendrot glänzen
und bin davon fasziniert.
Alles, was endet, hat einmal begonnen,
vielleicht ist schon bald ein Anfang gewonnen,
während man Altes verliert.
Bevor wir uns aber ans Fortschreiten trauen,
will ich noch mal auf die Gegenwart schauen.
Sie scheint uns womöglich verkehrt,
doch sie hat ihren Wert.

Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
ich möchte nicht einfach vergessen.
Es gibt eben Zeiten, da brauche ich sie,
um Künftiges besser zu messen.

Wir spüren das Scheitern und stehen am Ende,
Du fragst, ob sich alles zum Guten hin wende,
und klingst dabei kaum überzeugt.
Du meinst, dass Du lieber an morgen jetzt denkst
und wirfst mir dann vor, ich hätte mich längst
der Resignation gebeugt.
Mir kam nicht, wie Du glaubst, der Kampfgeist abhanden,
auch ich hab, wie Du, nicht alles verstanden.
Aber, um Neues zu tun,
sollte Altes erst ruh’n.

Deshalb:
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
im Morgengrauen wird sie schon weichen.
Frage nie ob, sondern frage stets wie –
nur so lässt sich etwas erreichen.

Michael Feindler 2011

Der Anschlag (auf den fiktiven Banker Walther Oppermann)

Liedtext

Ich habe nichts gegen den Tyrannenmord,
die alten Griechen hielten viel von ihm.
Nicht jeden Deppen schafft man diplomatisch fort –
deshalb finde ich das manchmal legitim.
Doch mein ich mit Tyrannen nicht die Spitzen,
die man bei uns Volksvertreter nennt,
sondern jene, die woanders sitzen,
außerhalb von unserm Parlament.
In Deutschland wird der Zorn bisweilen nicht genug gepflegt
und viel zu selten wird ein Lobbyist mal umgelegt.
„Um das zu ändern“, dacht ich mir, „fang ich damit an!“ —
und plante einen Anschlag auf den Banker Oppermann.

Die Zielperson – alles schien zu passen –
musste bald zu einem wichtigen Termin
und hatte sich ein Zimmer buchen lassen
im schicken „Adlon“ in Berlin.
Er würde eine Woche dort verbringen,
ich hatte also Zeit zu spionier’n,
um schließlich, für ein besseres Gelingen,
die Bombe bei dem Banker zu plazier’n.
Ich brauchte eine Strategie für eine Sprengstoff-Falle
und setzte mich zu diesem Zweck in die „Adlon“-Eingangshalle.
Ich bestellte einen Kaffee, um 13 Uhr begann
die Planung für den Anschlag auf Walther Oppermann.

Nach kurzer Zeit schon gesellte sich
eine hübsche junge Frau zu mir.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und fragte mich:
„Sind Sie ebenfalls zum Warten hier?“
Ich log: „Ich wart’ auf einen Freund,
äh, der hilft im Adlon ab und zu dem Koch.
Aber heute braucht er, wie es scheint,
leider bis zur Mittagspause noch.“
Sie nickte und bemerkte: „Sie warten nicht allein.
Mein Vater trifft hier erst in einer guten Stunde ein.“
Ich fragte, wie sie heiße. Sie lächelte mich an
und sagte: „Ich heiß Karin – Karin Oppermann.“

„Wie red’ ich bloß mit ihr? Das ist echt zu dumm“,
hab ich mir im Stillen nur gedacht.
„Tja, ich bringe diese Woche Deinen Vater um“,
war hier vermutlich wenig angebracht.
Sie wirkte aber völlig unbefangen
und fragte, was ich sonst im Leben treib.
So sprach ich von allerlei Belangen
und, dass ich ab und zu Gedichte schreib.
Im Gegenzug erzählte sie vom Studium in der Schweiz
und ihr Kellnerjob am Zürichsee hätte auch so seinen Reiz.
Wir redeten und lachten viel und die Zeit verrann
beim Kaffee mit der Tochter von Walther Oppermann.

Nach vier Getränken war ihr Vater da,
im Mantel kam er durch die Eingangstür,
und als er in der Halle seine Tochter sah,
lief er freudestrahlend gleich zu ihr.
Er drückte ihr zwei Küsse auf die Wange
und sagte, es sei toll, sie hier zu seh’n!
Er habe morgen frei, sie könnten lange
im Zoo von Berlin spazieren geh’n.
Dann stellte sie ihm mich vor und er schien hocherfreut:
„Ich hoffe, junger Mann, Sie habens Warten nicht bereut!“
Er zahlte unsern Kaffee und als ich mich besann,
war klar: Heut plan ich nichts mehr gegen Walther Oppermann!

Und die Moral von der Geschicht
löst nicht das Grundproblem:
An Oppermännern liegt es nicht,
vielmehr wohl am System.
Dennoch wär in unserm Staat
ein Knall nicht sinnentleert —
Es steckt in einem Attentat
auch ein symbolischer Wert!
Aus diesem Grunde will ich schau’n, wie es weitergeht
und wer auf meiner Abschussliste denn als nächstes steht:
Aha. Ein Pharmalobbyist – der wäre morgen dran.
Doch weiß ich, dass man Bomben auch per Post verschicken kann,
dann scheitert’s nämlich nicht wie bei Walther Oppermann!

Michael Feindler 2011

Mehr als drei Fragezeichen

Liedtext

Sie zeigen gerne ihre Karte
und lösen jeden Fall zu dritt.
Wir sind mit ihnen eingeschlafen
und nahmen sie auf Reisen mit.
Wir haben ständig mitgefiebert,
waren überall dabei –
nicht erst auf der „Toteninsel“,
nein, schon beim „Superpapagei“.

Wenn wir ihre Stimmen hörten,
waren wir sogleich entspannt –
änderte sich auch das Leben,
diese Sache blieb konstant.
Sie versprühten Optimismus,
waren wir mal nicht gut drauf,
denn sie lösten jede Spannung
durch den Abschlusslacher auf.

Sie blieben jung, wir wurden älter
und suchten unsern ersten Job,
doch das änderte nichts an der Freundschaft
zu Justus, Peter und Bob,
doch das änderte nichts an der Freundschaft
zu Justus, Peter und Bob.

Na na na nanana …

Nur ab und zu vermissen wir
an uns die selbe Lebensart,
denn eine Jugend, die nie endet,
haben wir uns kaum bewahrt.
Und es gibt noch etwas andr’es,
das wir an den drei’n beneiden:
Gut und Böse können sie
sehr viel leichter unterscheiden.

Außerdem sind sie genügsam,
wie ihr Arbeitsplatz belegt,
denn der hat sich seit Jahrzehnten
nicht vom Schrottplatz wegbewegt.

Manchmal sähen wir das alles
gerne unter unsresgleichen,
würden gern die Segel setzen,
statt sie einfach nur zu streichen.
Doch wir werden diese Ziele
höchstwahrscheinlich nie erreichen,
denn wir sehen im Leben leider mehr
als nur drei Fragezeichen.

Michael Feindler 2012

Sie warten

Liedtext

Er hat sie einst verlassen, drei Jahre ist das her,
und wie er sie behandelte, war nicht besonders fair.
Trotz allem sehnt sie sich nach der Zeit mit ihm zurück
und meint, sie fände nur in ihm ihr wahres Lebensglück.
Sie stellt das Radio lauter, spielt der Rundfunk Liebeslieder
und meint auch heute noch: Eines Tages kommt er wieder.

Sie wartet und wartet,
nichts wird ihr zu viel.
Sie wartet und wartet,
denn sie glaubt an ein Ziel.
Sie wartet und wartet
bis es sie zermürbt.
Sie wartet und wartet
bis die Hoffnung stirbt.

Er sitzt in seinem Zimmer, draußen wird es langsam Nacht,
mit 84 Jahren hat man ihn hierher gebracht.
Morgen wird er 90 und im Pflegeheim gibt’s Kuchen,
er wünscht, dass seine Enkel ihn am Nachmittag besuchen,
obwohl das seit sechs Jahren eher unwahrscheinlich ist.
Doch er ist sich sicher, dass ihn irgendwer vermisst.

Er wartet und wartet, …

Jeden Morgen steht sie in der Arbeitsagentur,
seit über sieben Jahren wartet sie dort nur
auf einen Job, um ihre Kinder vernünftig zu ernähr’n,
sie hat schon oft versucht, es ihrem Jüngsten zu erklär’n:
Irgendwann ist sicher ein Angebot in Sicht,
dann kriegt er neue Schuhe und Schlagzeugunterricht.

Sie wartet und wartet, …

Er ist als Sanitäter bei Soldaten stationiert,
hat gemeinsam mit dem Feldarzt manche Glieder amputiert.
Bei 40 Grad im Schatten läuft er durch das Lazarett,
gibt Pillen und spritzt Morphium an jedem zweiten Bett.
Legt er sich zur Ruhe, schläft er erst nach Stunden ein
und hat nur den Gedanken: Irgendwann wird Frieden sein!

Er wartet und wartet,
nichts wird ihm zu viel.
Er wartet und wartet,
denn er glaubt an ein Ziel.
Er wartet und wartet
bis es ihn zermürbt.
Er wartet und wartet
bis er vor der Hoffnung stirbt.

Die Menschen auf der Straße rufen: „Mehr Demokratie“,
behaupten, die Politiker hörten nie auf sie!
Die Wut wird bald zum Zorn und der Zorn wird zum Protest,
die Menschen fordern laut, dass man sie mitbestimmen lässt.
Sie drohen der Regierung: „Euch wird kein Schwein mehr wähl’n!“
Dennoch ist Politikern nur eines zu empfehl’n:

Lasst sie warten, lasst sie warten!
Wozu die Hoffnung rauben?
Lasst sie warten, lasst sie warten!
Sie soll’n an Ziele glauben!
Lasst sie warten, lasst sie warten
bis es sie zermürbt!
Lasst sie warten, lasst sie warten,
weil alles einmal —

Michael Feindler 2011

Die Windsegler

Liedtext

Wir haben schon immer die Hebel der Macht
mit Worten verteidigt, mit Waffen bewacht.
Wir haben den Text für Gesetze gesetzt
und haben berufliche Netze vernetzt.
Wir werden auf Einfluss und Macht nicht verzichten
und werden uns stets nach dem Wetterhahn richten –
denn wer in den Sturm eines Zeitlaufs gerät,
muss frühzeitig wissen, woher der Wind weht.

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
ohne zur Seite zu schauen.
Wir müssten auch nicht nach der Zukunft fragen,
könnten wir allein
den Winden vertrauen.

Das Springen ersetzt uns den sicheren Stand,
so haben wir eines schon lange erkannt:
Bevor Du die Fahne in Deinem Takt schwenkst,
muss klar sein, in welchen Wind Du sie hängst.
Wir können nichts wissen, wir können bloß meinen,
was vormittags stimmt, lässt sich abends verneinen.
Doch wenn sich der Wind mit einem Mal dreht,
wechseln wir immer ein wenig zu spät.

Wir würden so gern auf den Winden segeln, …

Wer mächtig ist, wird von der Seite bedrängt,
sobald eine Fahne im falschen Wind hängt.
Wir schauen genau, wie die Wolken grad zieh’n,
denn unsere Macht ist vom Wind nur gelieh’n.
Doch könnten wir uns in das Wolkenmeer legen
und würden uns nur noch mit diesem bewegen,
dann änderten wir uns mit jedem Detail:
Der Geist wäre leicht, das Gewissen wär frei!

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
abwartend, voller Geduld –
und sollten wir dann in der Höhe versagen,
wäre der Absturz nie
unsere Schuld.

Michael Feindler 2011

Die Welt der tausend Möglichkeiten

Liedtext

Für Versand und Ihre Ware zahle ich bestimmt kein Geld,
was Sie mir geliefert haben, hab ich sicher nicht bestellt.
Ja, okay, das ist was andres – aber nur zum Probeliegen.
Brauch ich’s nicht, dann können Sie das Exemplar gleich wiederkriegen.
Das Letzte war mir auf die Dauer leider viel zu laut,
und abgeseh’n vom guten Look hat’s nicht so viel gekonnt.
Deshalb hab ich mich noch mal ausführlich umgeschaut.
Gäb es das Gesamtpaket eventuell in blond?

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten,
facettenreich und turbulent, mit weißen und mit bunten Seiten.
Wer träumt heute nur noch von der Variante A,
sind die Varianten B bis Z noch da?
Willkommen in der Welt, in der Du alles werden kannst,
solang Du in Bewegung bleibst und zwischen allem tanzt,
was sich bietet und ereignet, hier und jetzt, bei jedem Schritt
und wenn’s Dich überzeugt hat – nimm es mit!

Unser Urlaub war vom Anfang bis zum Ende gut gefüllt,
denn in Griechenland gibt’s mehr zu sehn als jedes Jahr auf Sylt.
Man hatte uns im Vorfeld viele Städte dort empfohlen,
wir waren überall, doch konnten wir uns kaum erholen.
Den nächsten Urlaub haben wir natürlich schon gebucht:
Wir starten in Marokko und fahren bis Loch Ness,
den Flug nach Peking hab ich gestern auch noch rausgesucht –
das würde sicher schön, wär da nicht der ganze Stress.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten …

Welches Fach soll ich studieren und was wär beruflich klug
und was könnte mir gefallen und wo lerne ich genug?
Die Entscheidung hab ich schließlich vor dem Hintergrund getroffen:
Mit Wirtschaft halt ich mir noch möglichst viele Wege offen.
Denn mein größter Gegner war immer schon die Zeit,
in der man weitaus mehr als selbige verliert:
Mit jedem meiner Wege, für den ich mich entscheid’,
werden andre Wege auf ewig ausradiert.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten
mit nur einer Gegenwart und verlorenen Vergangenheiten,
die vor ein paar Tagen oder auch vor ein paar Jahr’n
eine Überlegung für die Zukunft war’n.
Willkommen in der Welt, in der Du vieles kurz erfasst
und in der Du alle paar Minuten was verpasst.
Und immer, wenn Du fragst, was das Beste für Dich sei,
ist der Moment, den Du suchst, schon vorbei.

Michael Feindler 2012

Wir Geister, die ihr rieft

(frei nach J. W. Goethes Zauberlehrling)

Hat der Staat im Bildungswesen
sich doch einmal wegbegeben.
Immer wieder war zu lesen,
das sei absolut daneben.
Tief sitzt diese Wunde,
näht sie bloß nicht zu!
Nutzen wir die Stunde
für den Meister-Coup!

Dank der Lücken,
die da klaffen,
lässt sich’s schaffen
abzuschätzen,
wie wir uns mit Lorbeer’n schmücken
und die Staatsmacht fix ersetzen!

Lasst uns neue Schulen gründen,
aber solche, die was kosten!
Die Idee wird sicher zünden –
erst im Westen, dann im Osten.
Denn die Eltern blechen,
wenn sie sicher sind:
Das, was wir versprechen,
halten wir beim Kind!

Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!
Deutsche Universitäten,
fern von Humboldts Idealen,
platzen längst aus allen Nähten
und der Staat kann’s kaum bezahlen.
Denn ums Finanzieren
ist es schlecht bestellt;
besseres Studieren
bieten wir für Geld!

Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!

Wenn wir bald als Bildungsquellen
kostenlose Arbeitsblätter
Lehrern zur Verfügung stellen,
gelten wir schon bald als Retter
für die leeren Kassen
und im Schulsystem
glaubt man: Wir befassen
uns mit dem Problem!

Füllt die Lücken,
füllt die Löcher,
noch und nöcher
mit Int’ressen!
Schüler soll’n aus freien Stücken
alles, was wir bieten, fressen!

Dazu muss es heut gelingen,
in den Bildungsunterlagen
unsre Werbung einzubringen
für die Lehrer und die Blagen!
Das ist viel subtiler
als man’s von uns kennt.
Jeder dieser Schüler
ist ein Konsument!

Lerne, lerne,
blöder Haufen,
denn zum Kaufen
braucht es Deppen,
die nicht zögern und die gerne
jeden Schrott nach Hause schleppen!

Sind wir Geister erst gerufen,
wollen wir für immer bleiben,
und die Mächte, die uns schufen,
werden uns wohl kaum vertreiben.
Ist sein Geld verflossen,
braucht uns dieser Staat –
lächelnd und entschlossen
schreiten wir zur Tat:

Alle Lücken,
die wir finden
und ergründen
woll’n wir füllen,
und es wird uns stets beglücken,
lebt man dann nach unserm Willen!

Michael Feindler 2012

Nachmittagsfernsehen

Mittwochnachmittags um dreie
gellen unverschämte Schreie
aus der Wohnung über mir.
O-Ton: „Halt die Fresse, Schlampe,
scher Dich nicht um meine Wampe,
hol ma’ lieber neues Bier!“

An den Lärm, der runter dröhnt,
hab ich mich schon längst gewöhnt
und ich hab ein dickes Fell.
Wenn ich jenen Klängen lausch,
weiß ich: Jetzt läuft Frauentausch
viel zu laut auf RTL.

Folglich frag ich mich: Was nun?
Und: Was soll ich bitte tun,
um die Laune hochzuhalten?
Meist ergibt sich, wo ich wohn,
meinerseits die Reaktion,
selbst den Fernseh’r einzuschalten.

Dann wird nachmittags geglotzt,
wie ein Schnurrbartträger motzt
(meist mit Kevin und Chantal).
Fleisch sei voll mit Vitamin,
meint die lispelnde Nadine,
und Salat sei nicht ihr Fall.

Ein Empfänger von Hartz IV
zeigt, dass ein Blatt Klopapier
pro Toilettengang genügt.
Fällt auch das Niveau ins Tal,
steigt der Spaß proportional
und die Fernsehzeit verfliegt.

Doch ein Spaß erfreut noch mehr,
schickt man diesen hin und her –
meist als Youtube-Link im Netz.
Denn die allergrößten Lacher
werden erst geteilt zum Kracher –
das ist menschliches Gesetz!

Und so schauen wir in Massen
etwas, das wir schwerlich fassen
und was furchtbar blöd erscheint.
Aber alle lachen herzhaft
und wir fragen manchmal scherzhaft:
„Ist das wirklich ernst gemeint?“

Viele meinen zu verstehen,
wenn wir diese Grütze sehen,
welcher Sinn dahinter steckt.
Nämlich: Lasst uns Scheiße fressen,
um nicht ständig zu vergessen,
dass Gemüse besser schmeckt!

Wenn wir aber ehrlich wären,
würden wir uns selbst erklären,
dass wir uns den Spaß kaum gönnten,
machte Scheiße nicht bewusst,
dass wir uns – trotz allem Frust –
das Gemüse leisten könnten.

Anmerkung:
Um dich gut zu fühl’n im Leben
und dich grinsend zu erheben,
muss es unter dir was geben,
denn dann kannst du drüber schweben.

Michael Feindler 2012

Liebe auf den ersten Blick

Er glaubte fest im frühen Maie:
Das Schicksal führte ihn zu ihr.
Er saß im Hörsaal, fünfte Reihe,
und sie davor, in Reihe vier.

Ihr braunes Haar fiel leicht und locker,
sie anzuseh’n schien fast vermessen.
Es hätte ihn gewiss vom Hocker
gehauen, hätt er drauf gesessen.

Er musste oft nach vorne linsen:
Ihr Blick war klug und konzentriert,
sie hatte dieses Grübchengrinsen;
sein Inneres war gleich berührt.

Zwar fühlte sich das richtig an,
doch wollte er noch überlegen,
statt bloß zu träumen, und begann,
die nahe Zukunft abzuwägen:

Mal angenommen, diese Frau
(das wusste er ja nicht genau)
wär nicht so jung, wie sie erschien;
am Ende hieße das für ihn,
sie würd ihm in den Ohren liegen
mit Eigenheim und Kinderkriegen.
Vielleicht war’s nicht mehr weit zur Dreißig?
Zwar wirkte sie grad nett und fleißig,
doch wissen Kenner der Natur –
rein biologisch tickt die Uhr.
Auch könnt es sein, dass diese Dame
(ach ja, wie lautete ihr Name?)
noch eine hübsche Schwester hätte,
die wunderbare Menuette
in ihrem Haus zu spielen pflegte
und ihn samt Herz und Geist bewegte –
wodurch er bei der alten Liebe
im Folgenden nur ungern bliebe,
zumal die Schwester jünger wäre –
so stürzte er in die Affäre
mit seiner Schwägerin in spe
und sagte irgendwann „Adé“
zu jener, die jetzt grad was las
und hier im Hörsaal vor ihm saß.
Womöglich lag er gar nicht richtig
und Kinder war’n ihr nicht so wichtig
in ihren nächsten Lebensplänen,
doch sollte er vielleicht erwähnen:
Auf Dauer wär er sicher nicht
der Typ für einen Kind-Verzicht,
denn – wie bei vielen andern Paaren –
wollt er mit fünfunddreißig Jahren
(und ungern später) Vater werden,
um seine Gene hier auf Erden
für Enkel noch zu hinterlassen –
das würd ihm eigentlich gut passen.
Falls diese Frau in Reihe vier
die Zukunftspläne aber schier
unmöglich machte und darauf
bestünde, ihren Lebenslauf
auf Madagaskar fortzusetzen,
dann wär’s wohl schwierig abzuschätzen,
ob sich der Trip zur Insel lohnte
und ob er lieber bei ihr wohnte
als Vater hier im Land zu werden.
Die Reise könnt noch mehr gefährden:
Womöglich stürbe er dann da
an einer Art von Cholera,
bei Palmen, Strand und Himmelblau –
und schuld daran wär diese Frau.
Dann würde er auch nie erfahren,
was mancher Kumpel in den Jahren
der Reise so getrieben hätt,
denn Telefon und Internet
gäb’s sicher kaum im Tropenland –
das wär ihm sonst gewiss bekannt.
Doch wenn die Frau, die er beäugte
(und die sich grad nach vorne beugte,
um dem Dozenten zuzuhören),
womöglich nur in Kammerchören
ein bisschen Brahms und Schubert säng,
dann wär das alles nicht so eng.
Es gäbe dennoch eine Hürde:
Wie lang es ihm gelingen würde,
Gesang zu Hause zu ertragen,
das konnte er nicht sicher sagen.
Und nähme er zudem noch an,
sie würde plötzlich irgendwann …

So spekulierte er im Stillen,
um zum Ergebnis zu gelangen:
Es sprach wohl gegen seinen Willen,
mit dieser Frau was anzufangen.

Als er den Hörsaal dann verließ,
befreit vom Schwärmereigefühl,
und auf die hübsche Dame stieß,
bemerkte er nur knapp und kühl:

„Wir müssen’s gar nicht erst probieren.
Gemeinsam fänden wir kein Glück.“
Doch schien sie wenig zu kapieren.
So ließ er sie verwirrt zurück.

Michael Feindler 2012