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Kategorie: Monatsgedichte

Hambacher Forst

Ihr habt Euch oft verständnislos gegeben:
„Was bringt es denn, das Wäldchen hier zu retten?
Das ist doch – jetzt mal ehrlich – echt kein Leben,
sich wochenlang an einen Baum zu ketten.

Es ist auch nicht verhältnismäßig, um
das Bisschen Kohleabbau zu verhindern.“
Wenn’s so ist, dann erklär’n wir das Warum –
solang Ihr uns bekämpft – auch Euren Kindern:

Uns geht’s nicht bloß um diese Lebensräume,
genauso wenig geht’s Euch bloß um Kohle.
Von Außen wirkt es wie ein Kampf um Bäume,
im Innern sind es Kämpfe um Symbole.

Der Kampfplatz ist zwar klein, doch hier beginnt
das große Schlacht. Seit Langem ist es Brauch:
Am Ende siegt, wer das Symbol gewinnt.
Wir wissen das. Und Ihr, Ihr wisst es auch.

Michael Feindler 2018

Zur EU-Datenschutzgrundverordnung

Das Wort ist lang und wird aus diesem Grund –
in Form von elegantem Lettern-Schwund –
ganz schlicht auf „DSGVO“ verkürzt.
Ich wurde um Erklärungen gebeten,
damit mich das, was frisch in Kraft getreten,
nicht in juristische Probleme stürzt:

Was hier zu lesen ist, das lest Ihr nur,
weil Ihr auf einer E-Mail-Liste steht.
Die Liste ist ein Teil der Datenspur,
die bleibt, auch wenn ihr wieder offline geht.

Dank dieser Spur hab ich die Möglichkeit,
Euch hin und wieder ein Gedicht zu schicken,
und seid Ihr das, warum auch immer, leid,
so steht’s Euch frei, auf diesen Link zu klicken,

um mir auf diesem Wege mitzuteilen,
dass Ihr die Verse nicht mehr lesen wollt.
Wer auch in Zukunft die gereimten Zeilen
im E-Mail-Fach erhalten möchte, sollt‘

nichts weiter tun als schweigend zuzustimmen.
Und wollt Ihr wissen, welche Infos so
von Euch in meinen Daten-Poolen schwimmen,
klickt einfach hier, statt ziellos irgendwo.
In Prosa folgt zur DSGVO:

Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung wird, wie Ihr vermutlich bereits durch dezente andere Hinweise in Eurem digitalen Postfach mitbekommen habt, seit dem 25. Mai 2018 angewendet. Das veranlasst mich dazu, Euch auf folgende Formalien hinzuweisen:
Wenn Ihr das „Gedicht des Monats“ erhaltet, habe ich personenbezogene Daten von Euch gespeichert. Diese Daten umfassen Vorname, Nachname und E-Mail-Adresse (in vielen Fällen sogar nur die E-Mail-Adresse). Die Daten werden ausschließlich dazu genutzt, Euch alle paar Woche gereimte und ungereimte Texte zu schicken, verbunden mit Hinweisen auf meine Kabarettauftritte. Ihr erhaltet in der Fußzeile jeder dieser E-Mails einen Link, über den Ihr Euch von dieser E-Mail-Liste abmelden könnt. Eine Abmeldung und anschließende Löschung Eurer Daten ist ebenfalls in Form einer Antwort, aus der dieses Anliegen hervorgeht, an die Adresse [email protected] möglich.

Michael Feindler 2018

Die Illusion des Fortschritts

Wird wieder mal der Vorwurf laut,
sie hätten bloß darauf geschaut,
den Stillstand exzessiv zu pflegen,
beginnen sie sich aufzuregen:
„Ihr seht doch, dass wir uns bewegen!
Wir geh’n voran, wir schreiten fort,
denn Fortschritt ist der schönste Sport –
den treibt man nicht am Abstellgleis!“
Doch wer genauer hinsieht, weiß:
Sie gehen. Aber nur im Kreis.

Michael Feindler 2018

Einwurf der jungen Leute

Ihr tragt Erfahrungen der vielen Jahre
wie einen gut gepflegten, langen Bart.
Ihr deutet stolz auf all die grauen Haare,
noch stolzer deutet ihr die Gegenwart.

Ihr werft Euch für die Außenwelt in Schale,
als mehrte dies den Inhalt Eurer Köpfe,
sitzt selbstgefällig in der Schaltzentrale
der Macht, bedient die Hebel und die Knöpfe –

nicht weil Ihr’s besser könntet, sondern schlicht,
weil Ihr als Erste dort gesessen habt.
Die Zeit hat’s Euch gegeben. Mehr war’s nicht.
„Gegeben“ heißt noch lange nicht „begabt“.

Wir sagen nicht, dass wir es besser wüssten.
Nur anders. Aber das ist auch schon was.
Wie wär es, mal gemeinsam auszumisten?
Und keine Angst: Es wird schon nicht zu krass.

Doch meidet Ihr gemeinsames Gelingen
wie Einzelkämpfer einen Staffellauf.
Ihr glaubt, wir wollen Euch zur Strecke bringen?
Uns drängt sich eher diese Frage auf:

Wozu der Stress, Euch böse aufzulauern?
Ihr habt ja keinen Vorsprung von Bestand.
Was heute jung ist, wird Euch überdauern.
Da warten wir doch lieber ganz entspannt.

Bleibt dennoch Eure Angst durch uns zu stürzen,
schaut nicht auf uns herab – das hilft uns allen!
Warum Ihr Angst habt, lässt sich drauf verkürzen:
Wer weiter oben steht, kann tiefer fallen.

Michael Feindler 2018

In himmlischer Ruh

Am sechsundzwanzigsten Dezember geht er
bei Sonnenuntergang durch jene Straßen,
wo kürzlich Menschen in den Buden saßen,
vor denen Glühweintrinker Bratwurst aßen.
Er läuft daran vorbei und schließlich steht er
am Marktplatz vor den großen Tannenbäumen,
die diesen Platz samt Lichterketten säumen,
und weiß: Bald fängt man an, sie wegzuräumen.

Doch jetzt, für den Moment, wie eingefroren,
erstreckt sich hier mit leuchtend heller Miene
die weihnachtliche Jahresend-Ruine.
Sie hat im Schatten festlicher Termine
an Trubel, aber nicht an Glanz verloren.
Im Gegenteil. Er hat schon oft gedacht,
wie gut sich all das ohne Menschen macht.
Er lächelt und summt leise „Stille Nacht“.

Michael Feindler 2017

Der Kompromiss

Es zogen einst zwei Wohnpartei’n
gemeinsam in ein Doppelhaus,
denn beide hatten nicht allein
die Räume dieses alten Baus

vor vielen Jahren mal geerbt.
Die Außenwand – im Ursprung weiß –
war längst vom Feinstaub grau verfärbt.
Mit Blick auf Flecken und Verschleiß

beschlossen die Parteien, die
verschmutzte Mauer frisch zu streichen.
Doch bei der Farbwahl wollten sie
zuvor noch Einigung erreichen:

Das ging, nun ja, nicht allzu flink –
beim Wählen war das Komplizierte,
dass eine Seite klar für pink,
die and’re für orange plädierte.

Aufgrund begrenzter Möglichkeiten
ist so der Kompromiss gereift:
Wenn zwei sich um die Farbe streiten,
dann wird’s am Ende halt gestreift!

Gesagt, getan – es war entschieden,
doch mit dem frisch gestrich’nen Haus
ist heute niemand ganz zufrieden –
denn pink-orange sieht scheiße aus.

Michael Feindler 2017

Nett gemeint

Er wurde langsam wütend, denn er fand,
dass sie ihn regelmäßig falsch verstand.
Er habe nämlich stets Respekt vor ihr,
ihm käme etwas wie Sexismus schier
nicht in den Sinn – er sei da reflektiert,
er habe ja im Übrigen studiert,
und überhaupt: Bevor sie auf die Schnelle
ein Urteil über seine Worte fälle
und ihm Wer-weiß-was-Schlimmes unterstelle,
wär schön, wenn sie dabei im Auge hätt:
Er meine, was er sage, immer nett.

Sie schlug ihm vor, dann dürfe er gern wagen,
das eigentlich Gemeinte auch zu sagen.
Es würde schließlich naheliegend scheinen,
er würde das Gesagte auch so meinen.

Michael Feindler 2017

Deutschland, den 24.09.2017

Ich las ab sechs Prognose-Zahlen,
ich sah den blauen Balken wachsen,
las vom Vergleich mit andern Wahlen
und von der stärksten Kraft in Sachsen.

Ich las von starken Emotionen –
von Wut und Fassungslosigkeit,
von triumphierenden Personen
und Stolz auf eine alte Zeit.

Ich las und war bald aufgewühlt,
doch eines fehlte mir beim Lesen,
das hätt’ ich allzu gern gefühlt:
Ich wär gern überrascht gewesen.

Michael Feindler 2017

Der Traum der Mücke

Es träumte eine kleine Mücke,
sie würde mal ein Elefant.
Doch solch ein Wunsch birgt manche Tücke –
das meint zumindest der Verstand.

Die Mücke dachte sich: „Na und?
Dann tricks ich den Verstand halt aus!“
Sie fraß sich extra kugelrund
und sie posaunte frei heraus:

„Ich bin ein Elefant! Töröööö!“
Im Umfeld fiel die Reaktion
verhalten aus. Es hieß: „Och nö.
Den Unsinn kennen wir doch schon.“

Die Mücke fand das nicht zum Lachen
und sah: Man kann sich zwar zum Affen,
doch nicht zum Elefanten machen –
das lässt sich bloß von andern schaffen.

Michael Feindler 2016

Beschränkte Auswahl

Nach vorn? Zurück? Heraus? Herein?
Gewinn? Verlust? Ein Ja? Ein Nein?
Dafür? Dagegen? Oder beides?
Von überall ertönt: Entscheid es!

Du aber zögerst, überlegst,
auf welche Seite du dich schlägst,
weil alles in dir fühlt und denkt:
Die Auswahl ist und bleibt beschränkt!

Nur Ja und Nein – das liegt Dir fern,
stattdessen würdest Du zu gern
das Endergebnis mitgestalten,
statt Inhaltsleere zu erhalten.

Denn eine Richtung festzulegen,
ersetzt (das gilt bei allen Wegen)
noch nicht die Frage „Kommt man an?“
und wie man’s Ziel erreichen kann.

Michael Feindler 2016