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Kategorie: Monatsgedichte

Trügerische Idylle

Ein weißer Schnellzug rast mal wieder sachte,
von einer grünen Landschaft eingerahmt,
zur nächsten Großstadt, wie er’s oft schon machte.
Ein Fahrgast liest ein Buch, ein andrer kramt
nach seinem Ticket und der Zugbegleiter
geht lächelnd und gemächlich durchs Abteil.
Ein Bahnhof. Kurzer Halt. Der Zug fährt weiter.
Die Reisenden entspannen sich, auch weil
sie froh sind, heute nicht im Stau zu stehen.
Stattdessen können sie sich jetzt entspannen
und Wald und Flur vorüberziehen sehen –
mit weiten Feldern, ewig grünen Tannen,
und einem Wiesenhang voll junger Trauben.
Kein nennenswerter Grund sich zu beklagen,
so möchte man bei dieser Zugfahrt glauben –
doch mancher Fahrgast spürt ein Unbehagen,
als ob heut irgendeine Sache fehlte.
Auch jene Menschen, die vor Fahrtantritt
ein leichter Hauch Zufriedenheit beseelte,
fahr’n alles andre als entspannt hier mit
und hocken ganz bedrückt auf Polstersitzen,
umgeben von dem angespannten Schweigen
der andern Reisenden. Die ersten schwitzen,
obwohl im Zug die Temp’raturanzeigen
belegen: hier ist gute Luft im Wagen;
das Urteil neuer Klima-Technik wiegt
jedoch nicht viel, wenn sich die Leute fragen,
was in der Luft, die scheinbar gut ist, liegt.

Bevor das alle zur Verzweiflung treibt,
geschieht zum Glück ein Wunder oder Zeichen:
Denn als der Zug auf einmal stehen bleibt,
der Zugbegleiter durchsagt: „Wir erreichen
das Ziel aufgrund von technischen Problemen
heut leicht verspätet“, atmen alle auf
und können endlich ihre Lieblingsthemen
(die im vorangegang’nen Fahrtverlauf
dank Pünktlichkeit zu kurz gekommen sind)
besprechen: „Ach, das war ja wieder klar!“ –
„Das darf nicht wahr sein!“ – „Du, der Bahnchef spinnt!“ –
„Ich weiß, warum ich mir den Zug sonst spar!“
„Es ist doch wirklich überall das Gleiche …“
Die vorher angespannte Atmosphäre
ist fort, als ob sie über eine Weiche
ganz plötzlich umgeleitet worden wäre.
Und als der Zug – laut Plan – mit zehn Minuten
Verspätung einfährt, kriegt das Personal
der Bahn zu hör’n, das sei nicht zuzumuten!
Ja, Zugfahr’n überhaupt sei eine Qual!

Und so ist alles wieder ganz normal.

Michael Feindler 2016

Weitermachen!

Wenn Explosionen uns erreichen,
beschließen wir, nicht auszuweichen –
und fällt uns das auch sichtlich schwer.
Will jemand uns zur Strecke bringen,
so lassen wir uns nicht bezwingen!
Wir machen weiter wie bisher!

Denn was wir wirklich fürchten, ist
kein durchgedrehter Terrorist
in westlich-wohlgerat’nen Ländern.
Viel schlimmer wär es, hat’s gekracht,
wenn plötzlich niemand weitermacht …
Dann müssten wir uns nämlich ändern.

Michael Feindler 2016

Gastgeberfreundlich

Wer sagt, er freue sich auf Gäste,
die fleißig, jung und nützlich seien,
wer wünscht, es käme nur „das Beste“
ins Land, um sich hier einzureihen,

wer hofft, die vielen Gäste führten
zur Akzeptanz von Niedriglöhnen,
wer meint, es würden die, die’s spürten,
sich ohne Murren dran gewöhnen,

wer überzeugt ist, solche Sachen
erfreuten Gäste jederzeit,
versteht sich aufs Geschäftemachen,
doch sicher nicht auf Gastlichkeit.

Michael Feindler 2016

Im Innern

Glück und Frieden sind im Innern
eines Landes wünschenswert,
doch von viel zu vielen Spinnern
wird der Weg dorthin erschwert:

Häufig heißt es optimistisch,
wichtig sei die Offenheit.
Bleibt man aber realistisch,
kommt man damit nicht sehr weit:

Fehlen Grenzen, wird man merken,
wie sich Dinge rasch verändern,
denn um Inneres zu stärken,
braucht’s die Stärke an den Rändern.

Wollen wir im Innern glänzen,
muss das Äuß’re außen bleiben.
Nur mit Waffen an den Grenzen
lässt sich effektiv vertreiben,

was im Sinne uns’res Glücks
nicht ins Innere gehört.
Das Gebot des Augenblicks
lautet: Draußen bleibt, was stört!

Frieden kriegerisch zu stützen,
macht, dass Frieden hier besteht.
Schützen sollen uns beschützen,
wenn es nicht mehr anders geht.

Was als Menschenrecht bekannt,
fehlt, wenn alles das geschieht.
Denn es gilt zwar hierzuland’,
aber nicht im Grenzgebiet.

Michael Feindler 2016

Nicht das Ende

Du fragst, warum ich mich aufs Ende freue,
wieso ich wünsche, es sei bald vorbei,
weshalb ich mich vor einer Zukunft scheue,
warum ich bloß so ungeduldig sei.

Ich kann nur sagen: Es ist nicht das Ende,
auf das ich hoffe und schon lange wart’,
auch wenn ich scheinbar die Signale sende –
stattdessen freu ich mich auf einen Start.

Ich habe mich, das wird auch künftig gelten,
nach einem Ende kaum zurückgelehnt.
Denn nach dem Ende habe ich mich selten,
nach einem neuen Anfang oft gesehnt.

Michael Feindler 2015

Und so weiter

Er fühlte sich so stark wie nie,
getankt mit Macht und Energie,
bevor es überraschend krachte
und etwas ihn ins Wanken brachte:
Ihn hatte – Wumms! – ein Schlag getroffen,
jetzt standen Mund und Arsch weit offen,
doch Wunden wurden nicht geleckt,
denn jeder Schmerz wurd’ überdeckt
von tiefem Hass auf jenen Schlag,
der ihm so schwer im Magen lag.
So bäumte er sich auf und schwang
zum Gegenschlag den Bumerang,
den er aus jener Wunde zog,
in die der Schlag zuvor erst flog.
Dann rief er noch: „Ich bin der Boss“,
bevor das schnelle Wurfgeschoss
ein paar der Feinde niedermähte,
und schließlich elegant sich drehte.
Da hatte er bereits begonnen,
sich selbst zu feiern, schrie: „Gewonnen!“
und fühlte sich so stark wie nie,
getankt mit Macht und Energie,
bevor es überraschend krachte
und etwas ihn ins Wanken brachte:
Ihn hatte – Wumms! – ein Schlag getroffen,
jetzt standen Mund und Arsch weit offen,
doch Wunden wurden nicht geleckt,
denn jeder Schmerz wurd’ überdeckt
von tiefem Hass auf jenen Schlag,
der ihm so schwer im Magen lag.
So bäumte er sich auf und schwang
zum Gegenschlag den Bumerang,
den er aus jener Wunde zog,
in die der Schlag zuvor erst flog.
Dann rief er noch: „Ich bin der Boss“,
bevor das schnelle Wurfgeschoss
ein paar der Feinde niedermähte,
und schließlich elegant sich drehte.
Da hatte er bereits begonnen,
sich selbst zu feiern, schrie: „Gewonnen!“
und fühlte sich so stark wie nie,
getankt mit Macht und Energie,
bevor es überraschend krachte
und etwas ihn ins Wanken brachte:
Ihn hatte – Wumms! – ein Schlag getroffen,
jetzt standen Mund und Arsch weit offen,
doch Wunden wurden nicht geleckt,
denn jeder Schmerz wurd’ überdeckt
von tiefem Hass auf jenen Schlag,
der ihm so schwer im Magen lag.
So bäumte er sich auf und schwang
zum Gegenschlag den Bumerang,
den er aus jener Wunde zog,
in die der Schlag zuvor erst flog.
Dann rief er noch: „Ich bin der Boss“,
bevor das schnelle Wurfgeschoss
ein paar der Feinde niedermähte,
und schließlich elegant sich drehte.
Da hatte er bereits begonnen,
sich selbst zu feiern, schrie: „Gewonnen!“
und fühlte sich so stark wie nie …
Wer jetzt noch wissen möchte, wie
es weitergeht, dem sei empfohlen,
den ganzen Text zu wiederholen,
bis er erschöpft zusammenbricht –
dann ist vielleicht ein Schluss in Sicht.

Michael Feindler 2015

Neues aus dem Saustall

In einem Dorf bei Nirgendwo
gibt’s ein Gebäude voller Schweine;
die leben dort nicht einfach so,
stattdessen nutzt man sie für eine

Jahrzehnte alte Tradition,
von der die Leute gern erzählen
als wär’s ihr täglich Brot und Lohn:
Zu jeder neuen Woche wählen

die Dorfbewohner eine Sau,
um diese in den nächsten Tagen
mit viel Gekreische und Radau
durch ihren kleinen Ort zu jagen.

Die Wahl des einen Schweins geschieht
nur äußerst selten mit Bedacht.
Was man zuerst im Saustall sieht,
wird auch zuerst hinausgebracht.

Im Vordergrund steht stets das Jagen.
Den Zweck kennt niemand so genau.
Es int’ressiert – wie soll man sagen –
im Grunde einfach keine Sau.

Michael Feindler 2015

Wehret

Am Anfang war’s nur eine Laune,
die in Gedanken sich verlief,
und nebenbei auf eine braune
Gesinnung stieß, die grade schlief.

Am Anfang war es bloß Gerede,
von Nörgeleien angeregt,
ein plumpes Labern, wie das jede
Gesellschaft gern am Stammtisch pflegt.

Am Anfang waren es nur Funken,
ein kurzes Flackern in der Nacht,
ein Lichtlein, das man selbst betrunken
noch immer mühelos entfacht.

Am Anfang war es bloß ein Anfang,
ein Augenblick und keine Wende,
obwohl doch zweifelsohne anklang:
Im Anfang steckte schon das Ende.

Michael Feindler 2015

Die Freiheit, die wir meinen

Die Freiheit, die wir Euch einst gaben,
habt Ihr genutzt und ausgebaut.
Doch was wir Euch gegeben haben,
habt Ihr mit aller Kraft versaut!

Ihr habt uns nie Respekt gezollt!
Ihr glaubtet nämlich, Freiheit hieße,
Ihr könntet machen, was Ihr wollt –
als ob man nie an Grenzen stieße.

Jetzt fragt Ihr wieder ganz empört,
warum wir plötzlich Grenzen ziehen.
Ihr dürftet ja, wenn Euch das stört,
aus diesen freien Räumen fliehen.

Doch wagt Ihr sicher nicht den Bruch
mit uns, die Euch die Freiheit schenken,
und akzeptiert den Widerspruch,
dass wir Euch ab und zu beschränken.

Wir wollen Freiheit kontrollieren,
damit man keinesfalls vergisst,
dass wir noch immer definieren,
was Freiheit darf und soll und ist.

Michael Feindler 2015