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Kategorie: Politik

Im Innern

Glück und Frieden sind im Innern
eines Landes wünschenswert,
doch von viel zu vielen Spinnern
wird der Weg dorthin erschwert:

Häufig heißt es optimistisch,
wichtig sei die Offenheit.
Bleibt man aber realistisch,
kommt man damit nicht sehr weit:

Fehlen Grenzen, wird man merken,
wie sich Dinge rasch verändern,
denn um Inneres zu stärken,
braucht’s die Stärke an den Rändern.

Wollen wir im Innern glänzen,
muss das Äuß’re außen bleiben.
Nur mit Waffen an den Grenzen
lässt sich effektiv vertreiben,

was im Sinne uns’res Glücks
nicht ins Innere gehört.
Das Gebot des Augenblicks
lautet: Draußen bleibt, was stört!

Frieden kriegerisch zu stützen,
macht, dass Frieden hier besteht.
Schützen sollen uns beschützen,
wenn es nicht mehr anders geht.

Was als Menschenrecht bekannt,
fehlt, wenn alles das geschieht.
Denn es gilt zwar hierzuland’,
aber nicht im Grenzgebiet.

Michael Feindler 2016

Und so weiter

Er fühlte sich so stark wie nie,
getankt mit Macht und Energie,
bevor es überraschend krachte
und etwas ihn ins Wanken brachte:
Ihn hatte – Wumms! – ein Schlag getroffen,
jetzt standen Mund und Arsch weit offen,
doch Wunden wurden nicht geleckt,
denn jeder Schmerz wurd’ überdeckt
von tiefem Hass auf jenen Schlag,
der ihm so schwer im Magen lag.
So bäumte er sich auf und schwang
zum Gegenschlag den Bumerang,
den er aus jener Wunde zog,
in die der Schlag zuvor erst flog.
Dann rief er noch: „Ich bin der Boss“,
bevor das schnelle Wurfgeschoss
ein paar der Feinde niedermähte,
und schließlich elegant sich drehte.
Da hatte er bereits begonnen,
sich selbst zu feiern, schrie: „Gewonnen!“
und fühlte sich so stark wie nie,
getankt mit Macht und Energie,
bevor es überraschend krachte
und etwas ihn ins Wanken brachte:
Ihn hatte – Wumms! – ein Schlag getroffen,
jetzt standen Mund und Arsch weit offen,
doch Wunden wurden nicht geleckt,
denn jeder Schmerz wurd’ überdeckt
von tiefem Hass auf jenen Schlag,
der ihm so schwer im Magen lag.
So bäumte er sich auf und schwang
zum Gegenschlag den Bumerang,
den er aus jener Wunde zog,
in die der Schlag zuvor erst flog.
Dann rief er noch: „Ich bin der Boss“,
bevor das schnelle Wurfgeschoss
ein paar der Feinde niedermähte,
und schließlich elegant sich drehte.
Da hatte er bereits begonnen,
sich selbst zu feiern, schrie: „Gewonnen!“
und fühlte sich so stark wie nie,
getankt mit Macht und Energie,
bevor es überraschend krachte
und etwas ihn ins Wanken brachte:
Ihn hatte – Wumms! – ein Schlag getroffen,
jetzt standen Mund und Arsch weit offen,
doch Wunden wurden nicht geleckt,
denn jeder Schmerz wurd’ überdeckt
von tiefem Hass auf jenen Schlag,
der ihm so schwer im Magen lag.
So bäumte er sich auf und schwang
zum Gegenschlag den Bumerang,
den er aus jener Wunde zog,
in die der Schlag zuvor erst flog.
Dann rief er noch: „Ich bin der Boss“,
bevor das schnelle Wurfgeschoss
ein paar der Feinde niedermähte,
und schließlich elegant sich drehte.
Da hatte er bereits begonnen,
sich selbst zu feiern, schrie: „Gewonnen!“
und fühlte sich so stark wie nie …
Wer jetzt noch wissen möchte, wie
es weitergeht, dem sei empfohlen,
den ganzen Text zu wiederholen,
bis er erschöpft zusammenbricht –
dann ist vielleicht ein Schluss in Sicht.

Michael Feindler 2015

Der Tag danach

Wenn ihre Taten Angst und Schrecken
verbreiten und wir dann beschließen,
die Menschenrechte zu verstecken,
damit sie nicht auf diese schießen;

wenn in dem Schrei nach Sicherheit
der Ruf nach Freiheit untergeht,
wenn alles für den Krieg bereit,
doch niemand für den Frieden steht;

wenn wir Vergeltungsdrang verspüren
und wir den Kampf, den sie begonnen,
mit gleichen Mitteln weiterführen,
dann haben sie bereits gewonnen.

Michael Feindler 2015

Wehret

Am Anfang war’s nur eine Laune,
die in Gedanken sich verlief,
und nebenbei auf eine braune
Gesinnung stieß, die grade schlief.

Am Anfang war es bloß Gerede,
von Nörgeleien angeregt,
ein plumpes Labern, wie das jede
Gesellschaft gern am Stammtisch pflegt.

Am Anfang waren es nur Funken,
ein kurzes Flackern in der Nacht,
ein Lichtlein, das man selbst betrunken
noch immer mühelos entfacht.

Am Anfang war es bloß ein Anfang,
ein Augenblick und keine Wende,
obwohl doch zweifelsohne anklang:
Im Anfang steckte schon das Ende.

Michael Feindler 2015

Zu kurz gedacht. Über den Sinn und Unsinn von Bildungsdebatten

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Vereins „Was bildet ihr uns ein?“

Bildungsdebatten zu führen kann ungemein frustrierend sein. Viele kritische Auseinandersetzungen sind heutzutage nur noch ernüchternd, sobald man festgestellt hat, sich wieder einmal im Kreis zu drehen – und zwar nicht seit ein paar Stunden, sondern seit mehreren Jahrzehnten. Michael Feindler stört sich insbesondere daran, dass die meisten Debatten in einem höchst beschränkten Rahmen geführt werden, ohne gesamtgesellschaftliche Perspektive. Eine Polemik.

Ich bin es leid. Seit Jahren verschwende ich meine Zeit damit, Diskussionsbeiträge zur Bildungspolitik zu lesen oder anzuhören, nur um später festzustellen: Da hat jemand schon wieder zu kurz gedacht. Warum fällt das den Leuten nicht auf? Zeitungen und Blogs sind voll von Kommentaren, in denen es die Autor_innen nicht schaffen, auch nur ein Stück weit über den Tellerrand hinaus zu schauen. Wenn sie das täten, stellten sie nämlich fest, wie brüchig ihre Argumentationen oftmals sind. Sie stellten auch fest dass das, was sie für Logik halten, nur innerhalb des von ihnen zugrunde gelegten Horizonts funktioniert. Sobald eine gesamtgesellschaftliche Perspektive einbezogen wird, erscheint eine ganze Menge an Debattenbeiträgen nicht nur überflüssig, sondern zudem anti-aufklärerisch. Das mag ein harter Vorwurf sein. Aber ich bekräftige ihn gerne anhand von drei aktuellen Beispielen.

Markt vs. Ideenwettbewerb

In den VDI-Nachrichten, also dem Haus- und Hofmagazin des Verbandes der deutschen Industrie, erschien am 28. August ein bemerkenswerter Artikel, der sich mit einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster auseinandersetzte. Das hatte nämlich kurz vorher entschieden, es sei rechtens, den Kooperationsvertrag zwischen dem Pharmakonzern Bayer und der Universität Köln geheim zu halten. Der Autor Hermann Horstkotte verteidigt dieses Urteil in den VDI-Nachrichten und hält die Aufregung der Kritiker_innen für überzogen. Die Freiheit der Wissenschaft sieht er durch Drittmittelgeber aus der Privatwirtschaft nicht besorgniserregend gefährdet. Dazu sei der Prozentsatz nach wie vor zu gering. Außerdem würden die Unternehmen doch Forschung an den Universitäten vorantreiben, die für die Weiterentwicklung der Gesellschaft von Bedeutung sei. Er stimmt offensichtlich Horst Hippler zu, dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, den er mit den Worten zitiert: „wirtschaftliche und wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bedingen sich unmittelbar“.

Nun ist es bereits dreist, den Marktwettbewerb zwischen Unternehmen mit dem Ideenwettbewerb zwischen Wissenschaftlern zu vergleichen. Denn das funktioniert nur, wenn man davon ausgeht, dass sich jede wissenschaftliche Erkenntnis letzten Endes auf den potentiellen wirtschaftlichen Gewinn reduzieren lässt, den sie abwirft. So weit sind wir also inzwischen. Da dieses problematische Bild des Wissenschaftsbetriebs aber nicht in Frage gestellt wird, können auch weitere Fragen bequem ausgeblendet werden: Wieso sind die Universitäten überhaupt so stark auf private Geldgeber angewiesen? Warum fehlt es offensichtlich an staatlicher Grundfinanzierung? Heißt das im Endeffekt, dass in Zukunft immer mehr Forschungsprojekte nur dann finanziert werden, wenn es wahrscheinlich ist, dass sich die Produkte daraus auf dem freien Markt behaupten können? Und selbst wenn wir diese Fragen einmal außen vor ließen und es akzeptierten, dass sich Unternehmen in den Universitäten einnisten: Warum soll ein Konzern wie Bayer das Recht haben, die Kooperationsverträge mit einer öffentlichen Bildungseinrichtung geheim zu halten?

Die tiefgreifende politische Frage, die sich im nächsten Schritt stellt, geht weit über die Hochschullandschaft hinaus. Sie betrifft allgemein die Subventionierung finanzstarker Unternehmen. Denn es ist nichts anderes als eine Subventionierung, wenn ein Konzern nicht mehr dazu angehalten wird, sich eigene Forschungseinrichtungen aufzubauen, sondern stattdessen auf die bereits vorhandene Infrastruktur der deutschen Hochschulen zurückgreift, ohne der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft abzulegen. Jede Forschung, die auch nur zu einem Bruchteil aus Steuergeldern finanziert wird, muss öffentlich zugänglich sein. Das ist man den Bürger_innen schuldig. Wer seine Forschungsergebnisse geheim halten möchte, darf das so lange tun, wie er selbst für die komplette Finanzierung eines Projektes aufkommt.

Keine Erpressung der Gesellschaft durch die Privatwirtschaft

Es ist fatal, wenn wir uns als Gesellschaft von der Privatwirtschaft erpressen lassen und glauben, dass es uns insgesamt besser ginge, wenn wir deren Treiben auch noch indirekt subventionieren. Zumal es eindeutig nicht im Sinne des Grundgesetzes ist, mit marktwirtschaftlichen Wettbewerbsvorteilen zu argumentieren. Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits am 1. März 1978 in einem Beschluss zum Hessischen Universitätsgesetz fest, dass „gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“. Somit verstößt die Geheimhaltung der Kooperationsverträge zwischen Bayer und der Universität Köln sehr wohl gegen die im Grundgesetz zugesicherte Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Das müsste dringend thematisiert werden, auch in den VDI-Nachrichten. Alles andere dümpelt an der Oberfläche.

Ähnlich oberflächlich behandelt Martin Butzlaff, Präsident der Universität Witten/Herdecke, das leidige Thema Studiengebühren in der Süddeutschen Zeitung vom 5. September. Eigentlich dachte man ja, die Sache habe sich in Deutschland erledigt, nachdem einige Bundesländer die Gebühren erst eingeführt und nach diversen politischen Auseinandersetzungen – auch mit der eigenen Bevölkerung – nach und nach wieder abgeschafft hatten. Butzlaff sieht das anders. Worauf er hinaus will, macht er bereits im Titel deutlich: „Gebühren müssen sein“ (auf Sueddeutsche.de heißt das Machwerk „Mut zu Gebühren“). Und gleich darunter heißt es: „Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Studierende an den Kosten ihres Studiums zu beteiligen“. Nein, das ist es nicht. Denn die im Artikel näher erläuterte Feststellung, es würden dringend mehr Gelder im Bildungssystem benötigt, zieht nicht zwingend den Schluss nach sich, es müssten wieder Studiengebühren eingeführt werden, wie der Autor behauptet.

Das leidige Thema Studiengebühren

Aber der Reihe nach: Selbstverständlich hat Butzlaff völlig Recht, wenn er schreibt: „Wären ausschließlich individueller Bildungszuwachs und Chancengerechtigkeit für Kinder, Schüler und Studierende die Kriterien der Bildungsfinanzierung, so wären die Konsequenzen eindeutig: Wir würden kostenfreie Kitas bauen; wir würden in bessere (Ganztags-)Schulen investieren; wir würden mehr Lehrer_innen in kleineren Klassen einstellen; wir würden gezielt die Bildungschancen von Migrationskindern verbessern“. Es ist ebenfalls korrekt, wenn er anmerkt, dass es wichtig sei, vor allem den frühen Bildungsweg von Menschen zu fördern. Mit jeder zusätzlichen Unterstützung in diesem Bereich wachse die Chance, die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern entscheidend voranzubringen. Soweit so gut. Daraus dann aber zu schlussfolgern, die Studierenden sollten mit Gebühren an der Finanzierung der Hochschulen beteiligt werden, weil es oberste Priorität habe, dass die verfügbaren Gelder im Bildungsbereich zunächst in Kitas und Schulen investiert werden, verkennt die politische Realität.

Denn zum einen verhindern schon die unterschiedlichen Finanzierungsquellen (Kommunen, Länder, Bund) und ihre jeweiligen Zuständigkeiten, dass Geld, das in einem Bereich gespart wird, ohne Weiteres für einen anderen genutzt werden kann. Zum anderen passiert es erfahrungsgemäß in der politischen Auseinandersetzung fast nie, dass Geld einfach „übrig“ ist. Wenn dem so wäre, würde sich nämlich an Schulen mit sinkenden Einschulungszahlen das Problem mit den großen Klassen und den wenigen Lehrer_innen im Laufe der Jahre automatisch lösen. Tut es aber nicht. Vielmehr ist die sinkende Zahl an Schüler_innen normalerweise ein willkommener Anlass für finanzielle Kürzungen. Aus demselben Grund ist es naiv zu glauben, den Universitäten stünde langfristig eine angemessene Menge an Geld zur Verfügung, wenn nur die Studierenden ihren Teil dazu beitrügen. Es steht eher zu befürchten, dass etwaige Gebühren eines Tages als Rechtfertigung dafür herhalten müssten, die staatliche Grundfinanzierung weiter zu kürzen.

Butzlaff schließt jedoch mit einem noch hanebücheneren Argument – er plädiert an die Eigenverantwortung junger Menschen: Mit der Zahlung von Studiengebühren täten Studierende „das, was wir im späteren Leben ohnehin von ihnen erwarten: Sie übernehmen persönliche und gesellschaftliche Verantwortung“. Das könne man ihnen durchaus zumuten, „besonders, wenn dieser Beitrag nachgelagert erfolgen kann, wenn also erst und auch nur dann gezahlt zu werden braucht, wenn das Studium zu einem entsprechenden Einkommen geführt hat“. An dieser Stelle wird die Beschränktheit der Argumentation besonders deutlich: Sähe man die Bildung von Menschen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht als eigenverantwortliche, persönliche Bereicherung jedes und jeder Einzelnen, wäre völlig klar, dass finanzielle Engpässe über eine radikale Steuerreform gelöst werden müssten. Es steht außer Frage, dass Akademiker_innen durchschnittlich ein höheres Gehalt beziehen als die arbeitende Bevölkerung in Ausbildungsberufen. Deshalb ist es richtig, dass Menschen, die später vergleichsweise viel verdienen, auch stärker an Bildungsinvestitionen beteiligt werden sollten – aber nicht, indem sie ausschließlich ihr eigenes Studium (nachgelagert) bezahlen, sondern indem sie auf ihre durchschnittlich höheren Gehälter auch höhere Steuern zahlen, die dann wiederum zielgerichtet in den Ausbau der Hochschulen gesteckt werden können. Bevor also jemand wie Martin Butzlaff lautstark nach Studiengebühren ruft, sollte er erst einmal eine Reichensteuer fordern.

Chance Ausbildung?

An die großen gesellschaftlichen Fragen traut sich genauso wenig George Turner heran. Der ehemalige Wissenschaftssenator von Berlin schreibt in einer Kolumne für den Tagesspiegel am 24. August, man müsse der „Ausbildung eine Chance geben“. Es sei ein Problem, dass immer mehr junge Menschen an die Universitäten strömten und dadurch aber der Nachschub bei den Auszubildenden fehle. Turner sieht es skeptisch, dass es Überlegungen gibt, von Jahr zu Jahr mehr Studienplätze in Deutschland zur Verfügung zu stellen, damit möglichst alle, die ein Studium aufnehmen möchten, dies auch tun können. Sein Gegenvorschlag: Abiturienten sollten in der Schule darauf vorbereitet werden, nach Erwerb der allgemeinen Hochschulreife vielleicht doch lieber eine Ausbildung zu beginnen. Schließlich gebe es immer mehr Berufe in diesem Bereich, für die eine höhere Qualifikation, sprich ein Abitur, nötig sei. Von dem Anspruchsdenken, man habe mit dem Abschluss der Oberstufe ein Recht auf einen Studienplatz, hält Turner ganz offensichtlich nicht viel. Denn so etwas sei doch „eine Privilegierung einer Gruppe, nämlich derjenigen, die bereits den Vorzug genossen haben, eine höhere Schule zu besuchen“.

Interessanterweise spricht der Wissenschaftssenator a. D. selbst das Problem von Privilegierten im deutschen Bildungssystem an, identifiziert es jedoch nicht als Wurzel weiterer Probleme. Stattdessen pocht er nur darauf, den Übervorteilten nicht noch mehr Privilegien zuzugestehen. Bei Turner liest sich das beinahe schon wie ein Vorwurf an Abiturienten, die so dreist seien, einen höheren Schulabschluss zu machen, und danach den Hals nicht voll genug bekämen. Daraus leitet sich der größte Widerspruch seines Kommentars ab: Einerseits möchte er hervorheben, wie wichtig es sei, den Wert der Ausbildung wieder schätzen zu lernen – andererseits räumt er indirekt ein, dass ein Studium grundsätzlich höher angesehen wird, wenn er davon ausgeht, dass es die ohnehin schon Privilegierten noch weiter privilegiert.

Weil er diesen Widerspruch jedoch nicht erkennt oder ihn beflissentlich ignoriert, sieht er die von ihm beschriebenen Schwierigkeiten im Bildungssystem nicht als Symptome grundsätzlich problematischer Strukturen. In einer Gesellschaft, in der sich die Mittelschicht immer mehr von Abstiegsängsten getrieben fühlt, in der ein Konkurrenzklima in der Bevölkerung die Unterteilung in „Gewinner“ und „Verlierer“ fördert, ist es nur verständlich, wenn immer mehr Menschen glauben, sich mit einem Studium finanziell besser absichern zu können. Und selbst Abstiegsängste und Wettbewerbsverhalten sind nur Symptome. Die Ursachen findet man in der Arbeits- und Sozialpolitik der vergangenen Jahre. Ohne den Ausbau eines Niedriglohnsektors (der dank Mindestlohn-Ausnahmen weiterhin besteht) und den einschneidenden Hartz-IV-Reformen wäre es für junge Menschen heute womöglich attraktiver, eine Ausbildung zu beginnen. Letztendlich kann man ihnen deshalb kaum einen Vorwurf machen. Aber wie Martin Butzlaff auch, bezieht sich George Turner in erster Linie auf die Individuen im Bildungssystem, nicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die diese Individuen mit ihren Entscheidungen reagieren.

Aus den drei angeführten Beispielen ergibt sich kein einziger nachhaltiger Lösungsansatz für die Zukunft des Bildungssystems. Stattdessen schaden die in den Artikeln wiedergegebenen Sichtweisen der gesamtgesellschaftlichen Debatte, indem der Eindruck erweckt wird, die thematisierten Probleme ließen sich innerhalb der Kitas, Schulen und Universitäten lösen. Dieser Eindruck ist jedoch schlicht falsch. Bildungssystem und Gesellschaft lassen sich nie getrennt voneinander betrachten – erst recht, wenn man bedenkt, dass die Bildungseinrichtungen von heute die Gesellschaftsgestalter_innen von morgen hervorbringen. Fast meint man, es sei Absicht, die aufklärerischen Aspekte aus den Diskussionen herauszuhalten, statt im Sinne einer kritischen Reflexion durchschimmern zu lassen, dass die herrschenden Verhältnisse im Bildungssystem – und die dahinterstehenden gesellschaftlichen Strukturen – in Frage gestellt werden könnten.

Am Ende aber hängt alles miteinander zusammen. Es führt kein Weg daran vorbei, in letzter Konsequenz die Systemfrage zu stellen: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben und mit welcher Bildung erreichen wir dieses Ziel?

Michael Feindler 2015

Die Freiheit, die wir meinen

Die Freiheit, die wir Euch einst gaben,
habt Ihr genutzt und ausgebaut.
Doch was wir Euch gegeben haben,
habt Ihr mit aller Kraft versaut!

Ihr habt uns nie Respekt gezollt!
Ihr glaubtet nämlich, Freiheit hieße,
Ihr könntet machen, was Ihr wollt –
als ob man nie an Grenzen stieße.

Jetzt fragt Ihr wieder ganz empört,
warum wir plötzlich Grenzen ziehen.
Ihr dürftet ja, wenn Euch das stört,
aus diesen freien Räumen fliehen.

Doch wagt Ihr sicher nicht den Bruch
mit uns, die Euch die Freiheit schenken,
und akzeptiert den Widerspruch,
dass wir Euch ab und zu beschränken.

Wir wollen Freiheit kontrollieren,
damit man keinesfalls vergisst,
dass wir noch immer definieren,
was Freiheit darf und soll und ist.

Michael Feindler 2015

Mehr Merkel wagen!

Eine Polemik zwischen Satire und Ernst.

Es sind keine leichten Zeiten für SPD-Anhänger. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Parteifunktionär eine Äußerung vom Stapel lässt, die soziale Grundwerte der Partei in Frage stellt. Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundes-SPD und der Union scheint es kaum mehr zu geben: Der Vizekanzler winkt das Freihandelsabkommen TTIP durch, der Justizminister schreitet nicht ein, wenn gegen ein investigatives Weblog wegen Landesverrats ermittelt wird und ein Ministerpräsident äußert freimütig, man könne auf einen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl ruhig verzichten, denn Angela Merkel mache das doch „ganz ausgezeichnet“. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD in Umfragen weitere Prozentpunkte einbüßen und die CDU/CSU-Fraktion in zwei Jahren die absolute Mehrheit im Bundestag erhalten wird. Das kann man mit Schrecken lesen – oder als Hoffnungsschimmer begreifen. Denn möglicherweise ist „mehr Merkel“ nicht das Problem, sondern die einzige realistische Lösung für die Rückbesinnung von SPD und Grünen auf eine wirklich soziale Politik.

Der Rückhalt der Bundeskanzlerin in der Bevölkerung scheint ungebrochen. In Umfragen erhält die CDU/CSU-Fraktion regelmäßig stabile Werte über 40 Prozent. Die SPD hingegen dümpelt bei etwas über 20 Prozent herum, während Linke und Grüne bei Werten um die zehn Prozent landen. AfD und FDP kämen, laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend, nach wie vor nicht oder nur knapp in den Bundestag. Eine absolute Mehrheit für Schwarz rückt in greifbare Nähe. Dabei ist es vor allem der Popularität Angela Merkels zu verdanken, dass die Union in den vergangenen zehn Jahren keine Prozentpunkte eingebüßt, sondern in Umfragen sogar noch zugelegt hat. Über die Parteigrenzen hinweg genießt die Kanzlerin das Ansehen der besonnenen, abwägenden Politikerin, die auch klare Kante zeigen kann, wenn es (angeblich) darauf ankommt. Wenn sie persönlich keine harte Linie vorgibt, so lässt sie immerhin diejenigen aus ihrer Fraktion unbehelligt agieren, die sich gerne eines aggressiveren und durchgreifenden Vokabulars bedienen. Insbesondere das Duo Merkel-Schäuble hat mit dieser Strategie Erflog.

Aber das System Merkel funktioniert nicht allein durch die Art, wie die Bundeskanzlerin auftritt. Es fußt vor allem darauf, dass sie es schafft, dem Wahlvolk das Gefühl zu vermitteln, sie mache die bestmögliche Politik für dieses Land – und zwar „bestmöglich“ im Wortsinne: Sie gibt vor, im Rahmen der politischen Möglichkeiten ihr Bestes zu tun. Auf die Weise ist sie längst zur Verkörperung der Alternativlosigkeit geworden, von der sie seit Beginn ihrer Amtszeit wiederholt gesprochen hat.

Nun kann man natürlich behaupten, dass auch eine Angela Merkel so viel von Alternativlosigkeiten reden kann wie sie will – letztendlich müsste sie über demokratische Grundregeln stolpern. Denn die besagen, dass unser Parteiensystem auf einen Wettbewerb von Ideen ausgerichtet ist, in dem unterschiedliche politische Konzepte miteinander konkurrieren und es so etwas wie „Alternativlosigkeit“ deshalb gar nicht geben kann. Schließlich sollen Parteien in einer pluralistischen Gesellschaft die Haltungen zu politischen Themenkomplexen bündeln, um einen repräsentativen Diskurs zu führen, der zur Meinungsbildung der Wählerinnen und Wähler beiträgt. So sähe zumindest der Idealfall aus. Was aber, wenn sich ein Großteil der im Bundestag vertretenen Parteien diesem Ideenwettbewerb weitgehend verweigert?

Das ist nämlich der zweite – und vermutlich wichtigere – Punkt, weshalb das System Merkel funktioniert: Sowohl die SPD- als auch die Grünen-Fraktion bestätigen mit ihren Reden und ihrem Abstimmungsverhalten, dass die Bundeskanzlerin die bestmögliche Politik macht. Sie versuchen nicht einmal, der Union eine klar erkennbare Alternative entgegenzusetzen, und überlassen diese Aufgabe allein der Linkspartei. Was bei der SPD bereits armselig wirkt, aber wenigstens noch ein Stückweit nachvollziehbar ist, da sie einen Teil des Merkel-Kabinetts stellt, verkommt bei den Grünen endgültig zur Bankrotterklärung: Die Bundestagsfraktion scheint nicht ansatzweise ein Interesse daran zu haben, ein klares Oppositionsprofil zu entwickeln.

So haben sich die Anhänger von SPD und Grünen in den vergangenen Monaten manches von ihren Parteispitzen anhören müssen, was vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Vorratsdatenspeicherung, Tarifeinheitsgesetz und herablassende Äußerungen gegenüber der griechischen Syriza-Regierung sind nur drei Stichworte, die die kritische Basis der SPD zusammenzucken lassen, während sich die Jugendorganisation der Grünen weiterhin gegen die Aussage wehren muss, ihre Mutterpartei sei angeblich nie pazifistisch gewesen. Die Bundesvorstände von SPD und Grünen bleiben weiterhin fest in den Händen derjenigen, die sich kooperationswillig gegenüber der Union zeigen. Gedankenspiele zu einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene bleiben genau das: Gedankenspiele. An den Parteispitzen ist der Wille zum politischen Kurswechsel nicht erkennbar. Wozu auch? Die SPD hat es sich mit ihren Ministern in der großen Koalition bequem eingerichtet und die Grünen liebäugeln bereits mit einem schwarz-grünen Bündnis. Es scheint in beiden Parteien Konsens zu sein, dass man die Union braucht, um Regierungsverantwortung zu übernehmen. Anders lässt sich die permanente Anbiederung an den Merkel-Kurs nicht erklären. Es geht also wieder einmal ganz plump um Machterhalt bzw. im Falle der Grünen um eine Machtoption bei der nächsten Bundestagswahl.

Genau dort können und sollten wir ansetzen, wenn wir die Politik in diesem Land langfristig verändern wollen: Wir müssen SPD und Grüne jeder Machtoption auf Bundesebene berauben. Denn erst die Erkenntnis, dass Angela Merkel keinen Koalitionspartner mehr zum Regieren benötigt, wird zu einem Umdenken innerhalb der beiden Parteien führen. Wir müssen SPD und Grüne de facto in die Opposition zwingen – und zwar in eine Opposition, in der eine Machtoption nur dann wieder besteht, wenn man sich als überzeugende Alternative zur Union präsentiert.
Wer jetzt noch auf ein Aufbegehren der linken Flügel und einen Umsturz an den derzeitigen Spitzen hofft, überschätzt sowohl die Basis der SPD als auch die der Grünen. Möglichkeiten zu innerparteilichen Veränderungen hätte es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Darauf würde ich ehrlich gesagt nicht mehr setzen. Und selbst wenn es in einer der beiden Parteien gelingen würde, den politischen Kurs zu ändern: Was wäre damit gewonnen? Solange auch nur eine Partei als williger Koalitionspartner für Angela Merkel bereitstünde, bliebe die Ausgangslage die gleiche. Deshalb – und ich möchte betonen, dass es meinen politischen Überzeugungen zutiefst widerspricht, diese Empfehlung abzugeben – sollten alle, die langfristig an einer politischen Alternative interessiert sind, daran mitwirken, der Union bei der nächsten Bundestagswahl zur absoluten Mehrheit zu verhelfen.

Kritiker dieser Idee mögen jetzt einwerfen, dass der Preis, nämlich vier Jahre Angela Merkel ohne Koalitionspartner durchregieren zu lassen, viel zu hoch dafür wäre. Wäre es da nicht erträglicher, entweder die SPD oder die Grünen als minimales Korrektiv mit in der Regierung sitzen zu haben? Dieses Argument zieht aus zwei Gründen nicht:
Zum einen hat die SPD seit der Agenda 2010 so ziemlich jeden ihrer sozialen Werte verraten und eine Politik zugunsten einer finanziell gut ausgestatteten Wählerschicht betrieben, wie man das sonst nur von der Union kannte. Den kärglichen Mindestlohn von 8,50 Euro mit seinen ganzen Ausnahmen als großen Erfolg der SPD zu feiern, ist eindeutig Schönfärberei und kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie die Partei gerade mit dem Beschluss des Tarifeinheitsgesetzes gegen Gewerkschafter agiert hat, deren Interessen sie früher entschieden vertrat. Die Grünen sind für Menschen, die aus der Friedensbewegung kommen, eine einzige Enttäuschung. Zudem sollte bedacht werden, dass auch diese Partei die Agenda 2010 als Teil der damaligen Regierung mitgetragen und sich nie klar davon distanziert hat. Eine politische Alternative sieht anders aus.
Das zweite Argument, das ich gegen meine Kritiker ins Feld führen möchte, lautet: Merkel wird es mit einer absoluten Mehrheit nicht gelingen, wichtige politische Beschlüsse widerstandslos durchs Parlament zu bekommen. Es dürfte für sie voraussichtlich sogar schwieriger werden als zu Zeiten der großen Koalition. Denn der Bundesrat wird bereits heute von SPD, Grünen und Linken dominiert. Dass diese Dominanz mit einer schwarzen Regierung auf Bundesebene endet, ist höchst unwahrscheinlich. Jahrzehntelange Erfahrungen aus den Bundestagswahlen belegen den Trend, dass der Stimmenanteil der Parteien, die auf Bundesebene in der Opposition sind, im Bundesrat mit fortschreitender Regierungszeit weiter ansteigt. Viele Gesetzesvorhaben von Merkel könnten damit blockiert werden – und zwar von einer Opposition, die diesen Namen auch verdient.

Aus diesem Grund sollten alle Bürgerinnen und Bürger, die langfristig an einer linken politischen Alternative in Deutschland interessiert sind, ernsthaft in Erwägung ziehen, bei der kommenden Bundestagswahl Angela Merkel zu unterstützen und der Union zur absoluten Mehrheit zu verhelfen: Denn nur so werden SPD und Grüne gezwungen sein, ein klares Profil als Oppositionsparteien zu entwickeln. Nur so wird der Leidensdruck auf die Parteimitglieder soweit ansteigen, dass ein Sturz der jetzigen Parteispitzen unabwendbar wird. Und nur so werden sich SPD und Grüne wieder als politische Alternative zum Merkel-Kurs präsentieren. Dann werden wir im Deutschen Bundestag endlich wieder eine starke Opposition haben, bestehend aus drei Parteien, die darauf warten, die Union bei der Wahl darauf in ihrer Regierungsverantwortung abzulösen. Wann immer wir also in den kommenden Tagen Umfragen lesen, nach denen Angela Merkel mit ihrer Union die absolute Mehrheit erhielte – lasst es uns als Chance begreifen! Wir sollten mehr Merkel wagen! Denn mehr Merkel bedeutet auch mehr Opposition!

Michael Feindler 2015

Von der Relevanz des Nischendaseins

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Vereins „Was bildet ihr uns ein?“

Unter der Überschrift „Deutschland braucht mehr Expertise“ kommentierte Jarina Kajafa in der taz vom 24.07.2015 das bevorstehende Aus des Ukrainistik-Lehrstuhls an der Universität Greifswald. Michael Feindler unterstützt ihr Anliegen, den Lehrstuhl zu erhalten, findet jedoch, dass die Argumentation zu kurz greift.

„Seit einem Jahr tobt mitten in Europa ein Krieg“, beginnt Jarina Kajafa ihren Kommentar. „Jeden Tag sterben in der Ukraine Menschen. Auch die Sprachlosigkeit des Westens ist dafür verantwortlich.“ Von dieser politischen Sprachlosigkeit spannt sie den Bogen zur – bald wörtlich zu nehmenden – Sprachlosigkeit am Lehrstuhl für Ukrainistik in Greifswald. Die Professur an der philosophischen Fakultät steht auf der Kippe. Grund dafür sind „Sparzwänge“, wie es aus dem Dekanat heißt. Zwar soll die Professur nicht gleich endgültig gestrichen werden, doch allen Beteiligten dürfte klar sein, was es bedeutet, wenn sie zunächst für zehn Jahre auf Eis gelegt wird, wie es ein erster Beschluss vorsieht. Dass die Ukrainistik dann noch einmal ein Comeback in Greifswald feiern wird, darf zu Recht bezweifelt werden. Aber ist es bei der Verteidigung einer Professur sinnvoll, an erster Stelle die aktuelle politische Situation anzuführen? Oder sollte die Ukrainistik nicht vielmehr als Fallbeispiel für Nischenfächer im Allgemeinen gesehen werden, unabhängig von der akuten Relevanz?

Der Lehrstuhl ist der einzige seiner Art in ganz Deutschland. Damit gehört er zu den sogenannten „Orchideenfächern“, die kaum Studierende anziehen und seit Jahren in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohen. Gemessen an den Studierendenzahlen (Ukrainisch-Kurse finden oftmals mit weniger als zehn Teilnehmenden statt) wirkt die Ukrainistik tatsächlich wenig bedeutsam. Dabei hat sich der Lehrstuhl in den vergangenen Jahren über Deutschlands Grenzen hinaus einen guten Ruf erarbeitet – unter anderem durch die ukrainische Sommerschule, die Studierende und Wissenschaftler_innen aus den USA und Europa miteinander vernetzte. Daneben schätzen auch außerakademische Kreise die Ukrainistik in Greifswald. Sie ist längst zur Anlaufstelle für politische Initiativen sowie für Verlage auf der Suche nach Übersetzer_innen geworden. Das ändert jedoch nichts an der Außenseiterrolle der Ukrainistik innerhalb der philosophischen Fakultät.

Was rechtfertigt die Schließung eines Studiengangs?

Das Aus für den Lehrstuhl ist noch nicht final beschlossen. Denn zunächst hat ein Veto der Studierenden im Fakultätsrat die Entscheidung über die Zukunft der Ukrainistik bis zum Herbst aufschieben können. Dass sich bis dahin die Ausgangslage grundlegend ändert, ist fraglich. Vermutlich werden sich noch einige kritische Stimmen zu Wort melden, die – wie Jarina Kajafa in der taz – mit der politischen Krise und dem Krieg in der Ukraine argumentieren werden, um für den Erhalt der Ukrainistik an der Universität Greifswald zu plädieren. Aber diese Argumentation greift zu kurz. Was wäre denn, wenn die gesellschaftliche Lage in der Ukraine zur Zeit stabil wäre? Wenn sie in den vergangenen Monaten nicht zu den viel besprochenen Krisenherden innerhalb Europas gezählt hätte?

Im Umgang mit Orchideenfächern erliegt die universitäre Welt leider allzu häufig der kapitalistischen Verwertungslogik: Jedes Fach soll einen konkreten und vor allem messbaren Nutzen für die Gesellschaft haben. Ist das nicht der Fall, scheint es berechtigt, seine Existenz in Frage zu stellen.

Selbstverständlich zeugt es von wenig Fingerspitzengefühl, gerade jetzt die Professur für Ukrainistik in Greifswald auf Eis legen zu wollen. Trotzdem sollten die Kritiker_innen dieses Vorgangs vorsichtig sein, mit dem Hinweis auf die aktuelle politische Krise zu argumentieren. Denn das bedeutet im Umkehrschluss, dass es legitim wäre, weitere Orchideenfächer aus der Hochschullandschaft zu entfernen, deren Nutzen für Wissenschaft und Gesellschaft nicht sofort ersichtlich oder absehbar ist.

Kleine Fächer sind wichtig

Bildung aber gewinnt ihren Wert gerade in der Breite: Als Gesellschaft brauchen wir möglichst viele unterschiedliche Perspektiven auf die Welt, da jede Wissenschaft für sich allein genommen nur ein sehr beschränktes Bild von der Realität zeichnen kann. Erst die Vielfalt führt zu einem gewinnbringenden wissenschaftlichen Diskurs, indem Fehler, die durch eine begrenzte Sichtweise innerhalb einer einzelnen Wissenschaftsdisziplin entstehen, durch andere Aspekte und Ansätze relativiert werden können. Deshalb gilt es, jedes Nischenfach zu verteidigen, selbst wenn sich nur eine Handvoll Studierender und eine kleine Forschungscommunity dafür interessieren sollte. Nur so erhalten wir auf Dauer das, was sich Jarina Kajafa vom Erhalt der Ukrainistik an der Universität Greifswald erhofft: „klare Worte, wissenschaftliche Analyse, fachliche Kompetenz“.

Michael Feindler 2015

Warum ich an Europa glaube

English translation below

Liebe Menschen in Europa,

ich bin in den vergangenen Tagen immer wieder gefragt worden: „Michael, warum glaubst Du eigentlich noch an Europa?“ Die Frage ist berechtigt. Es wird einem dieser Tage nicht leicht gemacht, an die europäische Idee zu glauben. Der Kontinent scheint zu zerfallen. In Norden und Süden, in reichere und ärmere Staaten. In solche, die die politischen Leitlinien formulieren und solche, die diese Vorgaben nur ergeben abnicken können. Und was soll das überhaupt sein, dieses Europa, an das ich glaube? Reisefreiheit und einheitliche Währung formen noch lange keine Gemeinschaft! Ein Zusammengehörigkeitsgefühl braucht bekanntlich viel mehr, vor allem gegenseitiges Vertrauen. Und damit das entstehen kann, braucht es Zeit. Viel Zeit. Wollen wir das ignorieren, ebenso wie die offensichtlichen Mentalitätsunterschiede zwischen den europäischen Völkern?

Ich will gar nicht leugnen, dass Europa zur Zeit in einer großen Krise steckt — einer Krise, die politische, wirtschaftliche und erst recht soziale Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Ich habe auch nicht vor, diese Probleme klein zu reden. Aber ich weigere mich, aus der Krise zu schlussfolgern, ein geeintes, weltoffenes Europa sei grundsätzlich nicht möglich.
Natürlich ist das möglich. Wir müssen uns doch nur einmal vor Augen führen, wie zerstört dieser Kontinent noch Mitte des 20. Jahrhunderts war. Die Spuren von zwei Weltkriegen verschwinden nicht über Nacht. Trotzdem ist es gelungen, aus diesem Trümmerfeld heraus eine europäische Gemeinschaft zu gründen, deren Länder in eine jahrzehntelange Friedensperiode eingetreten sind. Inzwischen dauert diese Friedenszeit länger als jede andere in Europa in den Jahrhunderten zuvor. Das macht doch Hoffnung.

Es liegt mir fern, diesen Zustand zu verklären. Ich weiß, dass Europa auch in den vergangenen Jahren eine sehr unrühmliche Rolle in militärischen Konflikten gespielt hat. Keine Frage. Außerdem wirkt Europa — vorsichtig ausgedrückt — oft ziemlich überfordert mit seiner Vorreiterrolle als grenzfreier und weltoffener Kontinent. Aber soll das jetzt etwa ein Grund dafür sein, diese Vision aufzugeben? Können wir, nur weil wir ein Ziel noch nicht erreicht haben, behaupten, dass wir es nie erreichen werden? Wie armselig und feige ist das denn? Haben wir die Ansprüche an uns selbst inzwischen so weit abgesenkt, dass wir uns als Gesellschaft nicht mehr weiterentwickeln wollen? Dass wir lieber unseren Status quo bis aufs Blut verteidigen als große politische Ziele für ein besseres menschliches Zusammenleben zu verfolgen?

Mit dieser fortschrittsfeindlichen Einstellung hätte die Menschheit vermutlich nicht einmal das Feuer gezähmt. Grillpartys könnten dann ausschließlich spontan stattfinden — und zwar nur bei Unwetter, wenn sich alle mit ihrem Grillgut um den Baum versammeln, in den ein Blitz eingeschlagen ist. Dass das nicht so ist, liegt daran, dass Menschen in der Vergangenheit immer ein paar Schritte weitergedacht haben.

Deshalb frage ich mich: Was hält uns davon ab, in der Politik ebenfalls mehrere Schritte weiterzudenken? Wieder Visionen zu entwickeln? Die Menschen anstelle der Märkte in den Mittelpunkt zu rücken? Und worauf wollen wir bitte hinaus, wenn wir sagen: Europa scheitert? Wollen wir das einfach so hinnehmen? Meinen wir wirklich, dieses Scheitern sei ein unabwendbares, alternativloses Schicksal?

Wer das behauptet, hat keine Fantasie. Dabei ist Fantasie der wichtigste Rohstoff einer Demokratie. Wir brauchen sie, um Visionen zu formulieren, Ideen für eine ferne Zukunft zu entwickeln. Ja, ich weiß: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Um sich dort bescheinigen zu lassen, wie realitätsfern er denkt.
Ist uns eigentlich bewusst, wie demokratiefeindlich solche verächtlichen Äußerungen sind? Denn Visionen als realitätsfern abzustempeln, bedeutet, dass wir wenig bis gar keinen Einfluss auf die Realität haben. Dabei sollte genau das das Ziel einer Demokratie sein: Realität gemeinsam zu gestalten — sie stetig zu verbessern und vor allem menschenwürdiger zu machen!
Es geht mir doch überhaupt nicht darum, ob die Vision eines geeinten Europas von heute auf morgen umsetzbar wäre. Natürlich ist das nicht realistisch. Aber es sollte unbestritten sein, dass der Wunsch nach stärkerem Vertrauen zwischen den europäischen Völkern jeder politischen Entscheidung zugrunde liegen muss. Jede politische Rede, die Fremdenhass schürt, jeder Beschluss, der die Unterschiede zwischen den Nationen betont, jeder Gesetzesentwurf, der mehr den Interessen von Lobbyisten als denen der übrigen Bevölkerung entspricht, verstößt gegen diese übergeordnete Vision.

Ich glaube nach wie vor an die Vision eines geeinten und weltoffenen Europas. Nicht etwa, weil ich glaube, wir seien momentan auf einem guten Weg dahin. Nein. Ich befürchte sogar, dass wir gerade dabei sind, einiges an vorhandenem Vertrauen zu zerstören. Aber ich glaube fest daran, dass Menschen in der Lage sind, Grenzen zu überwinden — sowohl in Gedanken als auch in der Realität. Und ich sage das nicht aus einer bloßen Hoffnung heraus, sondern weil ich es selbst schon erlebt habe. Menschen kommen erfahrungsgemäß bestens miteinander aus, wenn nur ausreichend Wille und Geduld vorhanden sind. Beides sollten wir aufbringen, sowohl im Politischen als auch im Privaten. Unserem Handeln sollten wir stets eine optimistische und konstruktive Einstellung zugrunde legen, getreu dem Motto: Wenn es ein Problem gibt, suchen wir so lange nach einer Lösung, bis wir eine gefunden haben. Und wenn wir keine Lösung finden, liegt es weniger daran, dass es keine gibt, sondern daran, dass wir nicht sorgfältig genug danach gesucht hat.

Das klingt anstrengend. Aber nichts ist motivierender als eine große politische Vision, die Frieden und Menschlichkeit verspricht und die auch nur eine Vorstufe zu einer noch größeren Vision, nämlich dem Weltfrieden, ist.

Und deshalb glaube ich an Europa.

Michael Feindler 2015


English version

Why I believe in Europe

(with special thanks to Armin Eichhorn, Matthias Görgens and Pia Rennert for translating)

To the people of Europe,

I have been asked many times: “Michael, why do you still believe in Europe?” That is a fair questions. These days it is not easy to believe in the European idea. The continent seems to fall apart. In North and South, in rich countries and poor countries. In those, who determine policies and those who just rubberstamp. And what is that “Europe” anyway? Freedom of movement and a common currency do not constitute a community! A shared identity of course requires more, and above all: mutual trust. To develop that trust requires time. A lot of time. Do we want to ignore that, as well as the obvious differences in mentality between the European peoples?

I do not deny that Europe is in a big crisis at this very moment – a crisis with political, economic and especially social consequences on our society. I do not want to ale light of these problems. But I refuse to conclude that the European idea is impossible.
Of course it is possible. If we only look back at how torn apart this continent was during the middle of the 20th century. The remnants of two world wars do not disappear overnight. Nevertheless we have managed from that scene of devastation to found a European community that enjoyed long decades of peace. In fact, enjoyed the longest general peace in Europe for centuries. That should give us hope.

But, let us not romanticize this general peace. I know that in recent years Europe has played an inglorious role in military conflicts. No doubt. Besides, Europe often seems – gently stated – overwhelmed in its role as the very model of a borderless and cosmopolitan continent. But should that be a reason for giving up on this vision? Shall we, only because we have not achieved a goal yet, claim that we will never reach it? How pathetic and cowardly! Have we lowered the standards for ourselves so far that we, as a society, do not want to advance? That we prefer defending our status quo rather than pursuing grand political goals for a better human community?
If humankind had always had this enmity to progress, I believe we would not even have harnessed fire. Barbecues could only take place spontaneously, during thunder storms, with everybody gathering below a tree in which a bolt of lightning has struck. The reason why this is not the case is because in the past some people have always thought a few steps ahead.

That is why I have to ask myself: What keeps us from thinking a few steps ahead in politics, too? To develop visions again? To focus on people, rather than markets? And what do we want to achieve when we say: Europe is failing? Do we want to just accept that? Do we really believe this failing is an inevitable fate with no alternative?

Those who claim that, have no imagination. And imagination is the most important ingredient of democracy. We need imagination to formulate our visions, ideas for a far-away future. Yes, I know: if you’re having visions, go see a doctor. They will promptly attest a lack of realism.
Do we actually realize how anti-democratic such despicable statements are? To characterize visions as lacking realism means that we lose our influence on reality. But that should be the very goal of any democracy: Shaping reality together – steadily improving it and, first and foremost, making it more humane.
For me it is not about implementing, the vision of a unified Europe overnight. Of course that is not realistic. But it should be undisputed that the wish for stronger trust between the European peoples must be the founding principle for all political decisions. Each political speech that fuels xenophobia, each decision that emphasizes the differences between the nations, each draft bill that caters to lobbyists more than it does to the people, is offending this superior vision.

I still believe in the vision of a unified and cosmopolitan Europe. Not because I believe that we are making good progress towards that vision. No. I even fear, that we are currently destroying a lot of the existing trust. Still I do believe strongly that people are able to overcome constraints – in their thoughts as well as in action. And I say that not just based on mere hope, but because I have experienced it myself. Experience teaches us that people get along with each other when they have enough will and patience. We should muster both, in the political realm as well as in our private lifes. Our actions should always be based on an optimistic and constructive attitude, true to the motto: if there is a probem we will search for a solution until we have found it. And if we do not find a solution that is not because there is none, but because we have not searched for it thoroughly enough.

It might sound exhausting. Yet nothing is more motivating than a grand political vision that promises peace and humaneness and that itself is only a prelude to an even grander vision: world peace.

And that is why I believe in Europe.

An die Menschen Europas

English translation below

Liebe Menschen in Europa,

ich bin im Jahr 1989 in Deutschland geboren – in jenem Jahr, als die Berliner Mauer fiel. Der Gedanke an eine innerdeutsche Grenze mit Schießbefehlen erschien mir schon immer irreal. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wie man auch nur auf die Idee kommen kann, eine Mauer durchs Land zu ziehen und Menschen ihrer Reisefreiheit zu berauben. Und es ist gut, dass ich, wie so viele andere aus meiner Generation, mir das kaum vorstellen kann. Denn eine Grenze, die ich für unvorstellbar halte, werde ich nie ziehen.
So geht es mir auch mit Europa. Ich bin in dem festen Vertrauen auf ein geeintes Europa aufgewachsen. Ich konnte in meiner Jugend quer durch die EU reisen, ohne auch nur ein Visum zu beantragen. Das war toll. Und in den meisten Ländern musste ich nicht einmal mehr Geld umtauschen.

Unabhängig davon, dass es bei der Gründung der Währungsunion sicher einige Fehler gab – der Euro hat eindeutig dazu beigetragen, dass sich die innereuropäischen Grenzen für mich noch unwichtiger anfühlten. Ich habe deshalb jahrelang geglaubt, dass der Frieden in Europa durch die Menschen meiner Generation immer stärker würde. Ich war wirklich überzeugt, dass eine Generation, die manche Mauern zwischen den Nationen nie kennen gelernt hat, auch keine neuen Mauern errichten würde. Ich war optimistisch, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus — langfristig betrachtet — auf dem Rückzug wären. Zumindest in Europa.
Heute bezweifle ich das. Ich habe Angst davor, dass auch meine Generation wieder anfängt, neue Grenzen in Europa zu ziehen. Und das, obwohl sie theoretisch unter besseren politischen Bedingungen aufgewachsen ist als die Generation zuvor. Unser Weltbild ist nicht von zwei großen politischen Blöcken geprägt, die sich feindselig gegenüberstehen. Wir sind keine Kinder des Kalten Krieges. Wir denken immer häufiger europäisch, weniger national. Es ist für uns selbstverständlich geworden, uns innerhalb der EU frei zu bewegen. Und wir werden skeptisch, wenn sich dieses so friedens- und freiheitsliebende Europa gewalttätig nach außen abschottet.

Wir habe jedoch ein Problem: Uns fehlt Macht. Unser Denken, das auf Dauer die letzten Grenzen überwinden könnte, gibt nicht den Ton an. Denn in Europas Parlamenten und Verlagshäusern sitzt nach wie vor eine einflussreiche Riege an Leuten, die alles tut, um ihre Macht zu erhalten. Für sie gibt es Allianzen, aber keine Solidarität. Und diese Leute werden das nationalistische Gift weiterhin unters Volk mischen, wenn es ihnen nutzt. Sie werden auch in Zukunft ihre ekelhaften Äußerungen über „die Deutschen“, „die Rumänen“ oder auch „die Griechen“ von sich geben. Sie werden weiterhin die Grenzen zwischen den Nationen betonen und gleichzeitig die Fronten zwischen wachsender Armut und ansteigendem Reichtum verschweigen. Eigentlich sind diese Leute aus der Zeit gefallen, weil sie für ein Weltbild und ein Europa stehen, das ausgrenzt, statt zu integrieren. Aber tragischerweise kleben sie an den Sesseln der Macht und bestimmen den politischen Kurs.
Mir macht das Angst. Ich befürchte, dass diese Menschen es schaffen könnten, auch in den Köpfen meiner Generation Grenzen hochzuziehen. Grenzen, die wir bisher nicht kannten. Grenzen, von denen ich lange glaubte, sie würden seit dem Jahr meiner Geburt konsequent abgebaut.

Liebe Menschen Europas, wir tragen eine riesige Verantwortung für diesen Kontinent. Wir dürfen ihn nicht denjenigen überlassen, die ihn spalten. Diese Leute haben sich einem Weltbild verschrieben, das keine Zukunft hat. Wir müssen resistent bleiben gegenüber ihren bösartigen, klischeebeladenen und kleingeistigen Reden. Und liebe europäische Jugend – bewahrt Euch den Glauben an ein weltoffenes, solidarisches und grenzfreies Europa. An ein Europa, das in erster Linie der Demokratie und nicht den Märkten dient. Denn im Moment mag die Macht zwar noch in den Händen einer Elite liegen, die in alten, verkommenen Grenzen denkt. Aber eines Tages werden diese Leute nicht mehr an der Macht sein. Die Geschichtsschreibung wird sie auf Dauer als Verräter an der europäischen Idee brandmarken. Zumindest dann, wenn wir stark bleiben, und weiterhin für die Utopie eines geeinten und friedlichen Europas kämpfen.

Ich bin 1989 in Deutschland geboren – in jenem Jahr, als die Berliner Mauer fiel. Ich glaube an Europa. Und ich glaube fest daran, dass meine Generation und ihre Kinder in der Lage sein werden, die Grenzen auf diesem Kontinent mehr und mehr zu überwinden.
Und all denen, die nicht so denken und die stattdessen spaltende, nationalistische Parolen schwingen, sei gesagt: Macht ruhig weiter so, wir bleiben davon unbeeindruckt. Ihr gebt ein armseliges und abschreckendes Bild ab, das unsere friedlichen Überzeugungen nur noch weiter stärkt. Zwar mögen unsere Ziele manchmal naiv und wenig konkret erscheinen – aber durch Euer Verhalten auf dem politischen und medialen Parkett gebt Ihr uns immer wieder neuen Auftrieb. Denn wir werden alles daran setzen, niemals zu werden wie Ihr. Eure Vorstellungen von Europa sind ein Verrat an der europäischen Idee und sie sind es nicht wert, Euch auch nur einen Tag zu überleben.

Michael Feindler 2015


English version

To the People of Europe

(with special thanks to Alexandra Baum, Armin Eichhorn, Anna Lu, Ramona Raabe and Samuel Thiel for translating)

Dear people of Europe,

I was born in 1989 in Germany – the very same year the Berlin Wall went down. The ideas of inner-german borders and a death zone have always appeared surreal to me. It is very difficult even to imagine the concept of constructing a wall which would divide a country and take away the people’s right to travel freely. And it is good that I, as so many others of my generation, can barely imagine this. Because I will never draw a border which I won’t imagine first.
It goes the same with Europe. I grew up with strong confidence in a united Europe. In my youth I was able to travel throughout Europe without applying for a single visa. That was amazing. In most countries I didn’t even have to exchange currency.

Despite a few mistakes which were certainly made in the process of realizing monetary union — the Euro clearly contributed to my impression that inner-european borders had become less important. For this reason I believed for years that peace in Europe would be continually strengthened by people of my generation. I was truly convinced that a generation, which had never encountered some of the walls that formerly existed between nations, would never construct new walls. I was optimistic that hostility towards strangers and racism in any form would finally be in regression. At least in Europe.

I doubt this today. Even though we grew up in better political circumstances than the former generation, I fear that my generation too, will begin to create new borders in Europe. Our understanding of the world was not defined by the hostility of two great political powers. We are not children of the cold war. We tend to think increasingly as europeans, and less as citizens of a particular country. It has become natural matter to move freely within the European Union. However, we become skeptical when this liberty and peace loving Europe begins to forcefully seal itself off.

Our problem is lack of power. Our beliefs may transcend borders in the long run — but in the present, they have no major impact. The reason why is found in Europe’s ruling bodies and publishing houses where a highly influential circle of people do anything to maintain power. They understand the concept of alliances but not of solidarity. If it is to their advantage, they will continually spread nationalist poison among the people. They will continue to declare their populist views about „the Germans“, „the Romanians“ or „the Greeks“, and they will emphasize the differences between nations. Yet, they remain silent about increasing inequality. These people are representative of a dated world view that chooses segregation over integration. And tragically, it is they who decide the political agenda.
This frightens me. I am concerned that they are able to install borders in the minds of my generation, borders we have never experienced, borders which I believed to have been dismantled since the year of my birth.

Dear citizens of Europe, we all have an enormous responsibility for our continent. We must not give it over to those who would divide it. These people have devoted themselves to an ideology that has no future. We must refute their malicious, biased and small-minded discourse.
My dear young Europeans – keep believing in a liberal and unified Europe – a Europe that has no borders. Believe in a Europe that first serves democracy and not markets. At present it may seem that power lies in the hands of an elite that believes in historical and obsolete boundaries. But one day these people will no longer be in power. In the long run history will brand them as traitors to European ideology – and we must stay strong and fight for the Utopia of a united and peaceful Europe.

I was born in Germany in 1989 — the year the Berlin wall came down. I believe in Europe. And I strongly believe that my generation, and that of our children, will finally be able to erase the borders within this continent.
And to all those who do not believe this, to all who prefer shouting divisive, nationalistic slogans, I say: continue if you like — we remain unfazed. You are both pathetic and repellent and your words only fuel our peaceful convictions. While our goals might at times seem naive and inchoate, your behaviour on the political and medial stage continues to motivate us. We will do our utmost never to become like you. Your notion of Europe is a betrayal of the ideal of Europe itself. Your ideas are not noble enough to outlive you by even one day.