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Kategorie: Was bildet ihr uns ein?

Systemkritik zwischen den Kinosesseln

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Vereins „Was bildet ihr uns ein?“

Angehende Lehrer_innen haben es nicht immer leicht. Seit dem 18. Mai läuft der preisgekrönte Dokumentarfilm „Zwischen den Stühlen“ im Kino, er begleitet drei Referendar_innen durch den Praxisteil ihrer Ausbildung. Das hat Hand, Fuß und Witz. Unser Autor Michael Feindler hat sich den Film angesehen und ist dabei zwangsläufig auf die Systemfrage gestoßen.

Ralf hat es geschafft. Die letzte Examensprüfung ist bestanden, das Referendariat damit erfolgreich abgeschlossen. Der stellvertretende Schulleiter des Gymnasiums, an dem Ralf die praktische Ausbildung absolviert hat, lässt aber keinen vorschnellen Jubel aufkommen. Beinahe väterlich, mit einem wissenden Schmunzeln auf den Lippen, gibt er einen kurzen Ausblick auf die kommenden Jahre. So prophezeit er dem aufmerksamen Ralf, dieser werde sicher bald Klassenlehrer. Und zwar bei der Klasse, die sonst niemand haben wolle. Ralf werde dann viele Exkursionen machen, sich arbeitstechnisch übernehmen. Dadurch stehe ihm aller Voraussicht nach in wenigen Monaten eine ernst zu nehmende Ehekrise ins Haus – die er aber bestimmt meistern werde. Und: „Nach zwei bis drei Jahren – denn sehr viel länger werden Sie diese Überlast nicht durchhalten – kommt dann die Überlegung: Werde ich nun zum Berufszyniker? Oder aber: Finde ich noch einen Weg für mich, meine Ansprüche und meine Möglichkeiten gut auszutarieren? Und das wird nach dem Referendariat noch mal eine sehr spannende Zeit.“

Die Szene ist eine der letzten in der Dokumentation „Zwischen den Stühlen“, dem Langfilm-Debüt von Regisseur Jakob Schmidt. Der Kurzvortrag des Co-Rektors ist darin einer von vielen Hinweisen, dass es hier um weitaus mehr geht, als bloß die Referendariatszeit einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Spätestens beim Abspann dürfte allen Zuschauer_innen klar sein: Weder enden die Probleme mit der Lehrer_innenausbildung, noch beginnen sie damit. Denn „Zwischen den Stühlen“ stellt nicht weniger als unser Bildungssystem infrage. Das macht der Film jedoch so dezent, dass einigen Zuschauer_innen die Fundamentalkritik womöglich entgehen wird.

Das Publikum beobachtet drei unterschiedliche Persönlichkeiten im Referendariat

Unabhängig davon, welche Schlüsse Teile des Publikums aus der Dokumentation ziehen oder eben nicht ziehen werden, steht bereits jetzt fest, dass Jakob Schmidt mit „Zwischen den Stühlen“ ein inhaltlich und dramaturgisch starker Film gelungen ist. Fünf Berliner Referendar_innen hat Schmidt über die zweijährige Ausbildungszeit mit der Kamera begleitet, drei davon sind nun als Protagonist_innen in „Zwischen den Stühlen“ zu sehen: Katja übt sich an einer Gesamtschule, Anna an einer Grundschule und Ralf an einem Gymnasium. Hundert Minuten lang folgen die Zuschauer_innen den drei sehr unterschiedlichen Charakteren in Klassenräume, an den heimischen Schreibtisch und zu Ausbildungsseminaren. Sie erleben dabei aus Referendar_innensicht den fordernden Schulalltag. Dank Situationskomik und origineller Bildschnitte wirkt das aufs Publikum jedoch nicht zermürbend, so mitgenommen die Protagonist_innen auch zwischenzeitlich wirken. Zudem blicken Schmidt und sein Filmteam stets interessiert und mitfühlend auf ihre Figuren, sodass das Publikum geneigt ist, immer wieder mit ihnen zu lachen – und nicht über sie.

So ist es kaum verwunderlich, dass der Film bislang auf viel positive Kritik gestoßen ist. Beim Filmfestival DOK Leipzig im Herbst 2016 konnte „Zwischen den Stühlen“ gleich vier Preise abräumen, von der Deutschen Film- und Medienbewertung gab es das Prädikat „besonders wertvoll“ und die Zeitungsrezensent_innen sind voll des Lobes. Doch so freundlich die Kritik in den meisten Medien auch ausfällt (beispielhaft sind hierfür die Süddeutsche Zeitung und der Tagespiegel) – nur wenige Kritiker_innen stoßen bis zum Kern der Probleme vor, auf die der Film aufmerksam macht. Stattdessen wird in aller Ausführlichkeit die Außenwirkung der Protagonist_innen beschrieben und bewertet (u. a. in der Welt am Sonntag und der HAZ). Gerade die Bewertung des Lehrverhaltens der Referendar_innen zeigt, wie anfällig diese Dokumentation dafür ist, als kritisch-unterhaltsamer Lehramtsfilm missverstanden zu werden. Dabei weist der Verleih Weltkino, der den Film vertreibt, in der offiziellen Ankündigung bereits selbst darauf hin, dass „Zwischen den Stühlen“ Ansatzpunkte für eine grundsätzliche Systemkritik bietet: Der Film werfe „nicht zuletzt die Frage auf, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen“.

Der Film fragt, in welcher Gesellschaft wir leben wollen

Denn er ist eben nur vordergründig eine Dokumentation über das Referendariat – weshalb auch die taz-Kritik, die sich auf die Praxisferne der Lehrer_innenausbildung konzentriert, am Ziel vorbeischießt. Der Film macht sich nur die Ausnahmesituation der künftigen Lehrer_innen – nämlich ihre Rolle, Lernende und Lehrende zugleich zu sein – zunutze, um darüber möglichst viele Teilbereiche des Schulsystems in den Blick zu nehmen. Auf diese Art erfasst er eine erstaunliche Bandbreite an Personengruppen, die sich vom Komplex Schule unter Druck gesetzt fühlen: an erster Stelle natürlich die Referendar_innen, aber genauso erlebt das Publikum gestandene Lehrkräfte, Schüler_innen und Eltern bei ihrem täglichen Kampf mit dem Bildungssystem.

Wie groß der Druck in diesem System ist, hat der Regisseur wiederholt während des Drehs mitbekommen. Im Interview sagt er dazu: „Insgesamt war ich überrascht, dass fast alle Vorbehalte dem Projekt gegenüber von denen kamen, die eigentlich am längeren Hebel saßen: So gab es gleich mehrere Seminarleiter, die nicht wollten, dass wir in ihren Seminaren und Unterrichtsbesuchen mit der Kamera dabei waren. Nicht aber, um unsere Protagonisten zu schützen, sondern aus einer großen eigenen Unsicherheit heraus. Sie machten sich Sorgen darum, zu stark von offiziellen Richtlinien für die Lehrerausbildung abzuweichen, Fehler zu machen, nicht den Erwartungen der Vorgesetzten zu entsprechen und sich damit Karrierechancen zu verbauen.“

Diese Aussage ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Druck, den das Bildungssystem auf seine Akteur_innen ausübt, nicht auf bestimmte Personengruppen innerhalb dieses Systems beschränkt bleibt. Alle darin Agierenden sind Handelnde und Ausgelieferte zugleich, aber jede_r von ihnen hat eine andere Strategie, um sich damit zu arrangieren. In „Zwischen den Stühlen“ erlebt das Publikum immer wieder Schulkritiker_innen, die selbst Teil des Systems sind, sich jedoch nicht imstande sehen, das System grundlegend zu verändern. Besonders eindringlich sind in diesem Zusammenhang die Worte eines Direktors, der einräumt, die derzeitige Form von Schule in Deutschland sei allein auf die Ausbildung eines Mittelmaßes ausgerichtet und könne eine Förderung von besonders leistungsstarken und -schwachen Schüler_innen gar nicht leisten.

Erstaunlicherweise aber macht die Feststellung, dass scharfe Kritiker_innen innerhalb des Systems zu finden sind, dem Regisseur Jakob Schmidt Hoffnung, wie er selbst betont. Seine Begründung: „Während der Dreharbeiten sind wir tatsächlich auf niemanden gestoßen, der gesagt hat: ‚Das System ist gut so wie es ist.‘ Niemand! Egal ob Schulleiter, Ausbilder oder Eltern. Alle sind sich einig, dass Schule sich verändern muss. ‚Wie?‘ ist die große Frage.“

Niemand sieht sich in der Lage, das Bildungssystem zu verändern

Die noch größere Frage, die diesen Film überschattet, lautet jedoch: Was soll da bitteschön Hoffnung machen, wenn allen Beteiligten die Misere bewusst ist, sich aber niemand in der Lage fühlt, diesen Zustand zu beenden? Etwa die Erkenntnis, dass Menschen immer wieder versuchen, ein schlechtes System nicht ganz so schlecht zu gestalten? Dass es Lehrer_innen gibt, die sich wirklich um ihre Schüler_innen bemühen, trotz der kontraproduktiven Rahmenbedingungen? Das ist schön und gut, aber das lässt sich kaum als Hoffnung bezeichnen – höchstens als Zweckoptimismus, dessen Ausgangspunkt die Akzeptanz des bestehenden Schulsystems ist. Denn bei aller Kritik, die die Protagonist_innen in „Zwischen den Stühlen“ an diesem System äußern, wird deutlich: Solange sie systemkonform geäußert wird, verpufft ihre Wirkung. Entlarvend sind in diesem Zusammenhang auch die Filmszenen, in denen Ralf mit seinen Schüler_innen den Roman „Unterm Rad“ von Hermann Hesse im Unterricht bespricht. Von außen betrachtet wirkt es geradezu absurd, dass ein Buch, das mit Kritik am schulischen Leistungsdruck durchzogen ist, nun dazu genutzt wird, diesen Druck weiterhin auf Schüler_innen auszuüben. Aber es wirkt eben nur von außen betrachtet absurd. Innerhalb des Systems funktioniert es.

Daraus erschließt sich die größte Gefahr der Filmrezeption: „Zwischen den Stühlen“ funktioniert auch für solche Zuschauer_innen, deren Kritik am Bildungssystem sich in den Grenzen des Bestehenden bewegt. Denn dadurch, dass ein Großteil des Publikums Teil des schulischen Systems war oder ist, fällt ihm eine Außenansicht tendenziell schwer – obwohl der Film eine solche immer wieder anbietet. Allein schon durch die Darstellung eines Systems, das ausnahmslos alle darin Agierenden unter Druck setzt, sollte sich bei den Zuschauer_innen die Frage aufdrängen, inwiefern das System selbst das Problem ist. Die Antwort darauf kann nur radikal ausfallen.

Dass dem Film ein so eine starke politische Wirkung nicht zugetraut wird, zeigt jedoch schon die Tatsache, dass der Dreh vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wurde. Somit bleibt zu befürchten, dass „Zwischen den Stühlen“ zwar ein gut gemeinter Versuch ist, einen konstruktiven Beitrag zur Bildungsdebatte zu leisten, dass sich die Fundamentalkritik aber in Systemkonformität auflösen wird. Ein erstes klares Anzeichen dafür sind die Unterrichtsmaterialien zum Film, die im Netz zu finden sind: Eine Fragestellung, die das derzeitige Schulsystem grundlegend auf den Prüfstand stellt, sucht man darin vergebens. Stattdessen kann man davon ausgehen, dass es bald einige Schüler_innen geben wird, denen „Zwischen den Stühlen“ nicht wegen seines Inhalts Kopfzerbrechen bereitet, sondern wegen der benoteten Aufgaben, die ihnen ihre Lehrer_innen dazu stellen werden.

Schade. Denn das hat dieser Film nicht verdient.

Michael Feindler 2017

Zu kurz gedacht. Über den Sinn und Unsinn von Bildungsdebatten

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Vereins „Was bildet ihr uns ein?“

Bildungsdebatten zu führen kann ungemein frustrierend sein. Viele kritische Auseinandersetzungen sind heutzutage nur noch ernüchternd, sobald man festgestellt hat, sich wieder einmal im Kreis zu drehen – und zwar nicht seit ein paar Stunden, sondern seit mehreren Jahrzehnten. Michael Feindler stört sich insbesondere daran, dass die meisten Debatten in einem höchst beschränkten Rahmen geführt werden, ohne gesamtgesellschaftliche Perspektive. Eine Polemik.

Ich bin es leid. Seit Jahren verschwende ich meine Zeit damit, Diskussionsbeiträge zur Bildungspolitik zu lesen oder anzuhören, nur um später festzustellen: Da hat jemand schon wieder zu kurz gedacht. Warum fällt das den Leuten nicht auf? Zeitungen und Blogs sind voll von Kommentaren, in denen es die Autor_innen nicht schaffen, auch nur ein Stück weit über den Tellerrand hinaus zu schauen. Wenn sie das täten, stellten sie nämlich fest, wie brüchig ihre Argumentationen oftmals sind. Sie stellten auch fest dass das, was sie für Logik halten, nur innerhalb des von ihnen zugrunde gelegten Horizonts funktioniert. Sobald eine gesamtgesellschaftliche Perspektive einbezogen wird, erscheint eine ganze Menge an Debattenbeiträgen nicht nur überflüssig, sondern zudem anti-aufklärerisch. Das mag ein harter Vorwurf sein. Aber ich bekräftige ihn gerne anhand von drei aktuellen Beispielen.

Markt vs. Ideenwettbewerb

In den VDI-Nachrichten, also dem Haus- und Hofmagazin des Verbandes der deutschen Industrie, erschien am 28. August ein bemerkenswerter Artikel, der sich mit einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster auseinandersetzte. Das hatte nämlich kurz vorher entschieden, es sei rechtens, den Kooperationsvertrag zwischen dem Pharmakonzern Bayer und der Universität Köln geheim zu halten. Der Autor Hermann Horstkotte verteidigt dieses Urteil in den VDI-Nachrichten und hält die Aufregung der Kritiker_innen für überzogen. Die Freiheit der Wissenschaft sieht er durch Drittmittelgeber aus der Privatwirtschaft nicht besorgniserregend gefährdet. Dazu sei der Prozentsatz nach wie vor zu gering. Außerdem würden die Unternehmen doch Forschung an den Universitäten vorantreiben, die für die Weiterentwicklung der Gesellschaft von Bedeutung sei. Er stimmt offensichtlich Horst Hippler zu, dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, den er mit den Worten zitiert: „wirtschaftliche und wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bedingen sich unmittelbar“.

Nun ist es bereits dreist, den Marktwettbewerb zwischen Unternehmen mit dem Ideenwettbewerb zwischen Wissenschaftlern zu vergleichen. Denn das funktioniert nur, wenn man davon ausgeht, dass sich jede wissenschaftliche Erkenntnis letzten Endes auf den potentiellen wirtschaftlichen Gewinn reduzieren lässt, den sie abwirft. So weit sind wir also inzwischen. Da dieses problematische Bild des Wissenschaftsbetriebs aber nicht in Frage gestellt wird, können auch weitere Fragen bequem ausgeblendet werden: Wieso sind die Universitäten überhaupt so stark auf private Geldgeber angewiesen? Warum fehlt es offensichtlich an staatlicher Grundfinanzierung? Heißt das im Endeffekt, dass in Zukunft immer mehr Forschungsprojekte nur dann finanziert werden, wenn es wahrscheinlich ist, dass sich die Produkte daraus auf dem freien Markt behaupten können? Und selbst wenn wir diese Fragen einmal außen vor ließen und es akzeptierten, dass sich Unternehmen in den Universitäten einnisten: Warum soll ein Konzern wie Bayer das Recht haben, die Kooperationsverträge mit einer öffentlichen Bildungseinrichtung geheim zu halten?

Die tiefgreifende politische Frage, die sich im nächsten Schritt stellt, geht weit über die Hochschullandschaft hinaus. Sie betrifft allgemein die Subventionierung finanzstarker Unternehmen. Denn es ist nichts anderes als eine Subventionierung, wenn ein Konzern nicht mehr dazu angehalten wird, sich eigene Forschungseinrichtungen aufzubauen, sondern stattdessen auf die bereits vorhandene Infrastruktur der deutschen Hochschulen zurückgreift, ohne der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft abzulegen. Jede Forschung, die auch nur zu einem Bruchteil aus Steuergeldern finanziert wird, muss öffentlich zugänglich sein. Das ist man den Bürger_innen schuldig. Wer seine Forschungsergebnisse geheim halten möchte, darf das so lange tun, wie er selbst für die komplette Finanzierung eines Projektes aufkommt.

Keine Erpressung der Gesellschaft durch die Privatwirtschaft

Es ist fatal, wenn wir uns als Gesellschaft von der Privatwirtschaft erpressen lassen und glauben, dass es uns insgesamt besser ginge, wenn wir deren Treiben auch noch indirekt subventionieren. Zumal es eindeutig nicht im Sinne des Grundgesetzes ist, mit marktwirtschaftlichen Wettbewerbsvorteilen zu argumentieren. Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits am 1. März 1978 in einem Beschluss zum Hessischen Universitätsgesetz fest, dass „gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“. Somit verstößt die Geheimhaltung der Kooperationsverträge zwischen Bayer und der Universität Köln sehr wohl gegen die im Grundgesetz zugesicherte Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Das müsste dringend thematisiert werden, auch in den VDI-Nachrichten. Alles andere dümpelt an der Oberfläche.

Ähnlich oberflächlich behandelt Martin Butzlaff, Präsident der Universität Witten/Herdecke, das leidige Thema Studiengebühren in der Süddeutschen Zeitung vom 5. September. Eigentlich dachte man ja, die Sache habe sich in Deutschland erledigt, nachdem einige Bundesländer die Gebühren erst eingeführt und nach diversen politischen Auseinandersetzungen – auch mit der eigenen Bevölkerung – nach und nach wieder abgeschafft hatten. Butzlaff sieht das anders. Worauf er hinaus will, macht er bereits im Titel deutlich: „Gebühren müssen sein“ (auf Sueddeutsche.de heißt das Machwerk „Mut zu Gebühren“). Und gleich darunter heißt es: „Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Studierende an den Kosten ihres Studiums zu beteiligen“. Nein, das ist es nicht. Denn die im Artikel näher erläuterte Feststellung, es würden dringend mehr Gelder im Bildungssystem benötigt, zieht nicht zwingend den Schluss nach sich, es müssten wieder Studiengebühren eingeführt werden, wie der Autor behauptet.

Das leidige Thema Studiengebühren

Aber der Reihe nach: Selbstverständlich hat Butzlaff völlig Recht, wenn er schreibt: „Wären ausschließlich individueller Bildungszuwachs und Chancengerechtigkeit für Kinder, Schüler und Studierende die Kriterien der Bildungsfinanzierung, so wären die Konsequenzen eindeutig: Wir würden kostenfreie Kitas bauen; wir würden in bessere (Ganztags-)Schulen investieren; wir würden mehr Lehrer_innen in kleineren Klassen einstellen; wir würden gezielt die Bildungschancen von Migrationskindern verbessern“. Es ist ebenfalls korrekt, wenn er anmerkt, dass es wichtig sei, vor allem den frühen Bildungsweg von Menschen zu fördern. Mit jeder zusätzlichen Unterstützung in diesem Bereich wachse die Chance, die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern entscheidend voranzubringen. Soweit so gut. Daraus dann aber zu schlussfolgern, die Studierenden sollten mit Gebühren an der Finanzierung der Hochschulen beteiligt werden, weil es oberste Priorität habe, dass die verfügbaren Gelder im Bildungsbereich zunächst in Kitas und Schulen investiert werden, verkennt die politische Realität.

Denn zum einen verhindern schon die unterschiedlichen Finanzierungsquellen (Kommunen, Länder, Bund) und ihre jeweiligen Zuständigkeiten, dass Geld, das in einem Bereich gespart wird, ohne Weiteres für einen anderen genutzt werden kann. Zum anderen passiert es erfahrungsgemäß in der politischen Auseinandersetzung fast nie, dass Geld einfach „übrig“ ist. Wenn dem so wäre, würde sich nämlich an Schulen mit sinkenden Einschulungszahlen das Problem mit den großen Klassen und den wenigen Lehrer_innen im Laufe der Jahre automatisch lösen. Tut es aber nicht. Vielmehr ist die sinkende Zahl an Schüler_innen normalerweise ein willkommener Anlass für finanzielle Kürzungen. Aus demselben Grund ist es naiv zu glauben, den Universitäten stünde langfristig eine angemessene Menge an Geld zur Verfügung, wenn nur die Studierenden ihren Teil dazu beitrügen. Es steht eher zu befürchten, dass etwaige Gebühren eines Tages als Rechtfertigung dafür herhalten müssten, die staatliche Grundfinanzierung weiter zu kürzen.

Butzlaff schließt jedoch mit einem noch hanebücheneren Argument – er plädiert an die Eigenverantwortung junger Menschen: Mit der Zahlung von Studiengebühren täten Studierende „das, was wir im späteren Leben ohnehin von ihnen erwarten: Sie übernehmen persönliche und gesellschaftliche Verantwortung“. Das könne man ihnen durchaus zumuten, „besonders, wenn dieser Beitrag nachgelagert erfolgen kann, wenn also erst und auch nur dann gezahlt zu werden braucht, wenn das Studium zu einem entsprechenden Einkommen geführt hat“. An dieser Stelle wird die Beschränktheit der Argumentation besonders deutlich: Sähe man die Bildung von Menschen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht als eigenverantwortliche, persönliche Bereicherung jedes und jeder Einzelnen, wäre völlig klar, dass finanzielle Engpässe über eine radikale Steuerreform gelöst werden müssten. Es steht außer Frage, dass Akademiker_innen durchschnittlich ein höheres Gehalt beziehen als die arbeitende Bevölkerung in Ausbildungsberufen. Deshalb ist es richtig, dass Menschen, die später vergleichsweise viel verdienen, auch stärker an Bildungsinvestitionen beteiligt werden sollten – aber nicht, indem sie ausschließlich ihr eigenes Studium (nachgelagert) bezahlen, sondern indem sie auf ihre durchschnittlich höheren Gehälter auch höhere Steuern zahlen, die dann wiederum zielgerichtet in den Ausbau der Hochschulen gesteckt werden können. Bevor also jemand wie Martin Butzlaff lautstark nach Studiengebühren ruft, sollte er erst einmal eine Reichensteuer fordern.

Chance Ausbildung?

An die großen gesellschaftlichen Fragen traut sich genauso wenig George Turner heran. Der ehemalige Wissenschaftssenator von Berlin schreibt in einer Kolumne für den Tagesspiegel am 24. August, man müsse der „Ausbildung eine Chance geben“. Es sei ein Problem, dass immer mehr junge Menschen an die Universitäten strömten und dadurch aber der Nachschub bei den Auszubildenden fehle. Turner sieht es skeptisch, dass es Überlegungen gibt, von Jahr zu Jahr mehr Studienplätze in Deutschland zur Verfügung zu stellen, damit möglichst alle, die ein Studium aufnehmen möchten, dies auch tun können. Sein Gegenvorschlag: Abiturienten sollten in der Schule darauf vorbereitet werden, nach Erwerb der allgemeinen Hochschulreife vielleicht doch lieber eine Ausbildung zu beginnen. Schließlich gebe es immer mehr Berufe in diesem Bereich, für die eine höhere Qualifikation, sprich ein Abitur, nötig sei. Von dem Anspruchsdenken, man habe mit dem Abschluss der Oberstufe ein Recht auf einen Studienplatz, hält Turner ganz offensichtlich nicht viel. Denn so etwas sei doch „eine Privilegierung einer Gruppe, nämlich derjenigen, die bereits den Vorzug genossen haben, eine höhere Schule zu besuchen“.

Interessanterweise spricht der Wissenschaftssenator a. D. selbst das Problem von Privilegierten im deutschen Bildungssystem an, identifiziert es jedoch nicht als Wurzel weiterer Probleme. Stattdessen pocht er nur darauf, den Übervorteilten nicht noch mehr Privilegien zuzugestehen. Bei Turner liest sich das beinahe schon wie ein Vorwurf an Abiturienten, die so dreist seien, einen höheren Schulabschluss zu machen, und danach den Hals nicht voll genug bekämen. Daraus leitet sich der größte Widerspruch seines Kommentars ab: Einerseits möchte er hervorheben, wie wichtig es sei, den Wert der Ausbildung wieder schätzen zu lernen – andererseits räumt er indirekt ein, dass ein Studium grundsätzlich höher angesehen wird, wenn er davon ausgeht, dass es die ohnehin schon Privilegierten noch weiter privilegiert.

Weil er diesen Widerspruch jedoch nicht erkennt oder ihn beflissentlich ignoriert, sieht er die von ihm beschriebenen Schwierigkeiten im Bildungssystem nicht als Symptome grundsätzlich problematischer Strukturen. In einer Gesellschaft, in der sich die Mittelschicht immer mehr von Abstiegsängsten getrieben fühlt, in der ein Konkurrenzklima in der Bevölkerung die Unterteilung in „Gewinner“ und „Verlierer“ fördert, ist es nur verständlich, wenn immer mehr Menschen glauben, sich mit einem Studium finanziell besser absichern zu können. Und selbst Abstiegsängste und Wettbewerbsverhalten sind nur Symptome. Die Ursachen findet man in der Arbeits- und Sozialpolitik der vergangenen Jahre. Ohne den Ausbau eines Niedriglohnsektors (der dank Mindestlohn-Ausnahmen weiterhin besteht) und den einschneidenden Hartz-IV-Reformen wäre es für junge Menschen heute womöglich attraktiver, eine Ausbildung zu beginnen. Letztendlich kann man ihnen deshalb kaum einen Vorwurf machen. Aber wie Martin Butzlaff auch, bezieht sich George Turner in erster Linie auf die Individuen im Bildungssystem, nicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die diese Individuen mit ihren Entscheidungen reagieren.

Aus den drei angeführten Beispielen ergibt sich kein einziger nachhaltiger Lösungsansatz für die Zukunft des Bildungssystems. Stattdessen schaden die in den Artikeln wiedergegebenen Sichtweisen der gesamtgesellschaftlichen Debatte, indem der Eindruck erweckt wird, die thematisierten Probleme ließen sich innerhalb der Kitas, Schulen und Universitäten lösen. Dieser Eindruck ist jedoch schlicht falsch. Bildungssystem und Gesellschaft lassen sich nie getrennt voneinander betrachten – erst recht, wenn man bedenkt, dass die Bildungseinrichtungen von heute die Gesellschaftsgestalter_innen von morgen hervorbringen. Fast meint man, es sei Absicht, die aufklärerischen Aspekte aus den Diskussionen herauszuhalten, statt im Sinne einer kritischen Reflexion durchschimmern zu lassen, dass die herrschenden Verhältnisse im Bildungssystem – und die dahinterstehenden gesellschaftlichen Strukturen – in Frage gestellt werden könnten.

Am Ende aber hängt alles miteinander zusammen. Es führt kein Weg daran vorbei, in letzter Konsequenz die Systemfrage zu stellen: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben und mit welcher Bildung erreichen wir dieses Ziel?

Michael Feindler 2015

Von der Relevanz des Nischendaseins

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Vereins „Was bildet ihr uns ein?“

Unter der Überschrift „Deutschland braucht mehr Expertise“ kommentierte Jarina Kajafa in der taz vom 24.07.2015 das bevorstehende Aus des Ukrainistik-Lehrstuhls an der Universität Greifswald. Michael Feindler unterstützt ihr Anliegen, den Lehrstuhl zu erhalten, findet jedoch, dass die Argumentation zu kurz greift.

„Seit einem Jahr tobt mitten in Europa ein Krieg“, beginnt Jarina Kajafa ihren Kommentar. „Jeden Tag sterben in der Ukraine Menschen. Auch die Sprachlosigkeit des Westens ist dafür verantwortlich.“ Von dieser politischen Sprachlosigkeit spannt sie den Bogen zur – bald wörtlich zu nehmenden – Sprachlosigkeit am Lehrstuhl für Ukrainistik in Greifswald. Die Professur an der philosophischen Fakultät steht auf der Kippe. Grund dafür sind „Sparzwänge“, wie es aus dem Dekanat heißt. Zwar soll die Professur nicht gleich endgültig gestrichen werden, doch allen Beteiligten dürfte klar sein, was es bedeutet, wenn sie zunächst für zehn Jahre auf Eis gelegt wird, wie es ein erster Beschluss vorsieht. Dass die Ukrainistik dann noch einmal ein Comeback in Greifswald feiern wird, darf zu Recht bezweifelt werden. Aber ist es bei der Verteidigung einer Professur sinnvoll, an erster Stelle die aktuelle politische Situation anzuführen? Oder sollte die Ukrainistik nicht vielmehr als Fallbeispiel für Nischenfächer im Allgemeinen gesehen werden, unabhängig von der akuten Relevanz?

Der Lehrstuhl ist der einzige seiner Art in ganz Deutschland. Damit gehört er zu den sogenannten „Orchideenfächern“, die kaum Studierende anziehen und seit Jahren in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohen. Gemessen an den Studierendenzahlen (Ukrainisch-Kurse finden oftmals mit weniger als zehn Teilnehmenden statt) wirkt die Ukrainistik tatsächlich wenig bedeutsam. Dabei hat sich der Lehrstuhl in den vergangenen Jahren über Deutschlands Grenzen hinaus einen guten Ruf erarbeitet – unter anderem durch die ukrainische Sommerschule, die Studierende und Wissenschaftler_innen aus den USA und Europa miteinander vernetzte. Daneben schätzen auch außerakademische Kreise die Ukrainistik in Greifswald. Sie ist längst zur Anlaufstelle für politische Initiativen sowie für Verlage auf der Suche nach Übersetzer_innen geworden. Das ändert jedoch nichts an der Außenseiterrolle der Ukrainistik innerhalb der philosophischen Fakultät.

Was rechtfertigt die Schließung eines Studiengangs?

Das Aus für den Lehrstuhl ist noch nicht final beschlossen. Denn zunächst hat ein Veto der Studierenden im Fakultätsrat die Entscheidung über die Zukunft der Ukrainistik bis zum Herbst aufschieben können. Dass sich bis dahin die Ausgangslage grundlegend ändert, ist fraglich. Vermutlich werden sich noch einige kritische Stimmen zu Wort melden, die – wie Jarina Kajafa in der taz – mit der politischen Krise und dem Krieg in der Ukraine argumentieren werden, um für den Erhalt der Ukrainistik an der Universität Greifswald zu plädieren. Aber diese Argumentation greift zu kurz. Was wäre denn, wenn die gesellschaftliche Lage in der Ukraine zur Zeit stabil wäre? Wenn sie in den vergangenen Monaten nicht zu den viel besprochenen Krisenherden innerhalb Europas gezählt hätte?

Im Umgang mit Orchideenfächern erliegt die universitäre Welt leider allzu häufig der kapitalistischen Verwertungslogik: Jedes Fach soll einen konkreten und vor allem messbaren Nutzen für die Gesellschaft haben. Ist das nicht der Fall, scheint es berechtigt, seine Existenz in Frage zu stellen.

Selbstverständlich zeugt es von wenig Fingerspitzengefühl, gerade jetzt die Professur für Ukrainistik in Greifswald auf Eis legen zu wollen. Trotzdem sollten die Kritiker_innen dieses Vorgangs vorsichtig sein, mit dem Hinweis auf die aktuelle politische Krise zu argumentieren. Denn das bedeutet im Umkehrschluss, dass es legitim wäre, weitere Orchideenfächer aus der Hochschullandschaft zu entfernen, deren Nutzen für Wissenschaft und Gesellschaft nicht sofort ersichtlich oder absehbar ist.

Kleine Fächer sind wichtig

Bildung aber gewinnt ihren Wert gerade in der Breite: Als Gesellschaft brauchen wir möglichst viele unterschiedliche Perspektiven auf die Welt, da jede Wissenschaft für sich allein genommen nur ein sehr beschränktes Bild von der Realität zeichnen kann. Erst die Vielfalt führt zu einem gewinnbringenden wissenschaftlichen Diskurs, indem Fehler, die durch eine begrenzte Sichtweise innerhalb einer einzelnen Wissenschaftsdisziplin entstehen, durch andere Aspekte und Ansätze relativiert werden können. Deshalb gilt es, jedes Nischenfach zu verteidigen, selbst wenn sich nur eine Handvoll Studierender und eine kleine Forschungscommunity dafür interessieren sollte. Nur so erhalten wir auf Dauer das, was sich Jarina Kajafa vom Erhalt der Ukrainistik an der Universität Greifswald erhofft: „klare Worte, wissenschaftliche Analyse, fachliche Kompetenz“.

Michael Feindler 2015

Vergesst die Rankings!

Seit 2004 legt das „Institut der deutschen Wirtschaft Köln“ (IW) jährlich den sogenannten „Bildungsmonitor“ vor, der – laut eigener Darstellung – die „Leistungsfähigkeit“ der Bildungssysteme aller 16 Bundesländer miteinander vergleichen soll. Der aktuelle „Bildungsmonitor“ wurde vergangene Woche in Berlin vorgestellt und ist nach Ansicht von Michael Feindler vor allem: überflüssig und sogar schädlich für die Bildung.

Im zeitlichen Grenzbereich zwischen Sommerloch und Wiederaufnahme der politischen Geschäfte schafft der Bildungsmonitor regelmäßig den Sprung in die Schlagzeilen. So auch in diesem Jahr: „Sachsen ist Bildungssieger“ (identischer Wortlaut auf Spiegel Online und Sueddeutsche.de), „Ostdeutsche Länder haben die Nase vorn“ (Focus), „Bayern schafft den dritten Platz“ (Bayerischer Rundfunk). Die Ranking-Tabelle wird abgedruckt, kommentiert und bewertet. Meist passiert das überraschend unkritisch und viele Artikel erwecken den Eindruck, hier habe eine wissenschaftliche Studie unter objektiven Bedingungen das beste Bildungssystem innerhalb Deutschlands bestimmt.

Die Studie mit Vorsicht genießen

Doch beim Bildungsmonitor ist Vorsicht geboten. Schließlich wurde die IW-Studie auch dieses Mal wieder von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) in Auftrag gegeben. Und wie von einem arbeitgeberfinanzierten Think Tank erwartet werden kann, konzentriert sich der „Bildungsmonitor“ allein auf die ökonomischen Aspekte von Bildung. Es geht um Fachkräftesicherung, Wirtschaftswachstum und Investitionen in Humankapital. Daraus machen die Autor_innen im Übrigen keinen Hehl. Auf der Website zum Bildungsmonitor wird der Ansatz damit begründet, dass Bildung von der Gesellschaft bezahlt wird und diese daher auch einen Anspruch darauf hat, vom Ergebnis zu profitieren: „Das Bildungssystem muss die Menschen für die zukünftig benötigten Jobs bestmöglich fit machen, so dass die Volkswirtschaft und damit der gesellschaftliche Wohlstand weiter wachsen können.“

Der Leiter der Studie, Axel Plünnecke, räumt ein, der Begriff Bildung umfasse selbstverständlich mehr als die ökonomische Seite. Bildung sei mehr als PISA – Stichwort Humboldt. Aber Plünnecke ist überzeugt, dass sich der Bildungsmonitor mit grundlegenden Indikatoren befasst, die eine umfassendere Bildung überhaupt erst ermöglichen. Wer die Studie liest, wird geneigt sein, Plünnecke zuzustimmen. Selbst die schärfsten Kritiker_innen werden nicht von der Hand weisen können, dass Indikatoren wie die Schüler_innen-Lehrer_innen-Relation, die Bereitstellung zusätzlicher Betreuungsangebote oder der Anteil der Bildungsausgaben am Gesamthaushalt eine wichtige Rolle spielen, wenn Fortschritte in Kindergärten, Schulen und Hochschulen erzielt werden sollen. Ebenso wenig möchte man der Aussage von Hubertus Pellengar, dem Geschäftsführer der INSM, widersprechen, wenn er sagt: „Es muss die oberste Priorität unseres Bildungssystems sein, alle teilhaben zu lassen.“ Andererseits schleicht sich Unbehagen ein, wenn in solchen Zusammenhängen auch Wörter wie „Inputeffizienz“ und „Zeiteffizienz“ fallen, so als sei die Effizienz einer Ausbildung dasselbe wie deren Qualität. Schon allein das macht das Gesamtkonzept unsympathisch.

Verbessert mehr Geld automatisch Bildung?

Zugegeben: Es fällt nicht schwer, den Bildungsmonitor zu kritisieren. Die Studie lässt sich ohne Probleme in der Luft zerpflücken. Die Absicht dahinter ist fragwürdig, der Titel irreführend (es geht letztendlich um „Fachkräftesicherung“, weniger um „Bildung“ selbst) und von wissenschaftlichen Standards sollten wir gar nicht erst anfangen zu reden. Beispielsweise thematisiert der Bildungsmonitor nicht die Wechselwirkung zwischen der Haushaltslage in einem Bundesland und dem Zustand des dazugehörigen Bildungssystems. Das Prinzip von Ursache und Wirkung wird nur in eine Richtung gedacht: Bessere/schlechtere Bildung (bzw. Fachkräftesicherung) sorgt für bessere/schlechtere Finanzen. Dass die Finanzsituation auch einen erheblichen Einfluss auf die Bildungsstandards haben könnte, legt schon die Tatsache nahe, dass das „Pro-Kopf-Verschuldungs-Ranking“ der Länder mit dem „Bildungsmonitor-Ranking“ beinahe deckungsgleich ist.

Vergesst die Rankings!

Eine ausführliche und lesenswerte Kritik der Studie mit weiterführenden Verlinkungen ist hier zu finden. Ich habe daher nicht vor, die Kritik an dieser Stelle zu wiederholen. Ich rege stattdessen an, dass wir den Bildungsmonitor – wie auch alle anderen Rankings, die im Bildungszusammenhang veröffentlicht werden – künftig mit Ignoranz strafen sollten. Das ist dafür das einzig angebrachte Maß an Aufmerksamkeit. Denn sie beruhen auf dem grundsätzlichen Denkfehler, Bildung einer Wettbewerbslogik zu unterwerfen. Das kann bekanntlich nicht funktionieren. Schon allein deshalb nicht, weil die strukturellen Ausgangsbedingungen der unterschiedlichen Städte, Regionen, Bundesländer oder Länder in den Rankings unter den Tisch fallen und somit Äpfel mit Kartoffeln verglichen werden. Zudem fordert jedes Ranking eine vorherige Herstellung von Messbarkeit (Quantifizierung) der Indikatoren, um überhaupt eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen.[1] Dass qualitative Vergleiche, die gerade im Bildungsbereich aussagekräftiger wären, dabei zu kurz kommen, versteht sich von selbst.

Dieser Vorwurf ist nicht neu. Aber er bleibt aktuell, wie der Bildungsmonitor 2014 eindrucksvoll belegt. Dass diese Studie für die Verbesserung der Bildung in Deutschland eigentlich überflüssig ist, gibt auch der Leiter Axel Plünnecke indirekt zu, wenn er meint, „vom Messen allein [werde] die Sau nicht fett“ und selbstverständlich müsse man im Anschluss an die Studienergebnisse noch einmal genauer vor Ort schauen, welche pädagogischen und inhaltlichen Konzepte zu Bildungserfolgen beitragen würden. Damit stellt sich jedoch die Frage, warum seit einem Jahrzehnt jährlich aufs Neue Zeit und Arbeit darauf verwendet wird, die Bundesländer einem Leistungscheck zu unterziehen und einen Berg an statistischen Daten auszuwerten, statt endlich weiter in die Tiefe zu gehen. Es bringt nichts, auch diesmal wieder hervorzuheben, es gebe „in der deutschen Bildungslandschaft verschiedene Leuchttürme“, wenn die Türme selbst nicht hinreichend beleuchtet werden. Warum bekommen wir ständig weitgehend inhaltsleere Rankings zu lesen, aber so selten ausführliche Analysen darüber, welche Methoden für bessere Lernbedingungen in so genannten „Brennpunktschulen“ sorgen? Wieso ist es anscheinend wichtiger, auf welchem Rankingplatz eine Region gelandet ist, als etwas über die grundsätzlichen strukturellen Probleme zu erfahren und diese anzugehen?

Rankings sind schädlich für Verbesserungen im Bildungssystem

Die Probleme sind doch längst bekannt, sie müssen nicht einmal mehr identifiziert werden. Der nächste konsequente Schritt wären konkrete Lösungsvorschläge. Zudem ist es fatal, dass der Wettbewerbsgedanke suggeriert, die „Leuchttürme“ könnten sich damit brüsten, als Gewinner aus der ganzen Sache hervorzugehen. Denn abgesehen davon, dass man sich über die geltenden Bewertungskriterien streiten kann, dürfte der Gedanke „Wir sind besser als die anderen“ in einer Bildungsdebatte gar nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr müsste die Idealvorstellung einer guten Bildung oberste Priorität haben. Es geht dabei um nicht weniger als eine Utopie von Bildung. Daran muss sich jede Schule, jede Ausbildungsstätte messen lassen. Dann läuft auch niemand Gefahr, in politische Selbstüberschätzung zu verfallen und anzunehmen, es laufe ja ganz gut (zumindest im Vergleich zur Konkurrenz). Und um sich diesem Ideal annähern zu können, helfen keine Rankings. Sie sind dafür sogar schädlich. Wichtiger als ein Gegeneinander ist ein Miteinander aller Beteiligten im Bildungssystem. Ein gutes Konzept für eine gelingende Bildung umzusetzen bringt nämlich keinen Freischein mit sich, sich als Gewinner hervorzutun, stattdessen zieht es eine große Verantwortung nach sich: die Verantwortung, das Wissen darüber, wie Bildung gelingt, weiterzuvermitteln und somit anderen die Chance zu geben, an dem Erfolg teilzuhaben. Dazu braucht es mehr Berichte über erfolgversprechende Ideen und Konzepte sowie eine stärkere Vernetzung und Kooperation zwischen sämtlichen Bildungseinrichtungen in Deutschland (langfristig bestenfalls weltweit). Rankings lenken nur davon ab. Wenn wir sie schon nicht abschaffen, so können wir wenigstens versuchen sie in Zukunft zu ignorieren, um uns auf die wirklich wichtigen Baustellen im Bildungssystem zu konzentrieren. Denn unterm Strich sind all diese Rankings – so ungern die Macher_innen und Verfechter_innen der Studien das auch hören – extrem ineffizient.

Michael Feindler 2014


[1] Vergleich die Arbeiten von Heintz dazu: Heintz, B. (2010) Numerische Differenz. Überlegungen zu einer Soziologie des (quantitativen) Vergleichs. Zeitschrift für Soziologie 39 (3), 162–181.