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Monat: Oktober 2014

Herbst

Die Luft ist heute überraschend kühl,
ist windig unterwegs, macht selten Rast.
Im kalten Hauch beschleicht mich das Gefühl,
ich hätt’ den Sommer wieder mal verpasst.

Wo sind die warmen Tage hin, von denen
ich mir am Jahresanfang viel versprach?
Ich meine mich nach Kommendem zu sehnen,
doch im Kalender ist es schon danach.

An einen Frühling mag ich mich entsinnen,
an Aufbruchsstimmung, Ziele und den Plan,
gemeinsam etwas Großes zu beginnen.
Wohin verschwand im Anschluss der Elan?

Was wurde aus dem Drang, der in uns steckte,
aus jenem Antrieb, der uns weiterbrachte?
Wo blieb die Neugier, die das Umfeld weckte,
das Feuer, das ein Geistesblitz entfachte?

Das alles ging wohl, als der Sommer kam.
Von diesem haben wir dann kaum gezehrt,
denn Statisches ist von Natur aus lahm
und somit weniger erinnernswert.

Zum Frühling lässt sich einiges erzählen,
der Sommer aber ist ein Status quo,
dem weitere Entwicklungsstufen fehlen –
zwar schön und warm, doch bleibt er eben so.

Das Faszinierendste ist stets, was sich bewegt,
was wächst und was sich noch verändern lässt.
Ein definiertes Zielereignis legt
zugleich den Punkt für einen Stillstand fest.

Denn schließlich sind es ja die Übergänge,
die ganz besonders intensiv erscheinen.
Entwicklung zieht Momente in die Länge –
zumindest kann man das im Rückblick meinen.

Und wenn uns dann der Sommer beispielsweise
erfasst, ergibt sich häufig das Problem:
Elan und Tatendrang verschwinden leise,
der Status quo ist nämlich sehr bequem.

Doch jeder Sommer wird mal abgelöst.
Es folgt der Herbst. Er bringt Veränderung,
indem er das Entstandene verstößt –
ganz sachte, ohne frühlingshaften Schwung.

Die Luft beginnt sich langsam abzukühlen,
ein Hauch von Sommer scheint noch nachzuhallen.
Nun geht es weiter. Neue Winde wühlen
auch die Gedanken auf und zeigen allen:

Am stärksten können wir das Leben fühlen,
wenn Dinge wachsen oder grad zerfallen.

Michael Feindler 2014