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Monat: Januar 2015

An eine PR-Agentin

Du fleischgeword’ne Männerphantasie
spielst leidenschaftlich vieles, was verlangt
und auch verlangend ist, hast aber nie
um Würde oder Ehre je gebangt.

Fast alles ist mit Dir verhandelbar –
wie weit Du gehst, bestimmt allein der Preis.
Für Deine Kunden bist Du wandelbar.
Die Masken sieht nur der, der um sie weiß.

Zudem verstehst Du Leere auszufüllen,
obgleich das bloß mit heißer Luft geschieht.
Du bist die Meisterin der schicken Hüllen,
erschaffst die Haut, die Blicke auf sich zieht.

Was außen abschreckt, kannst Du übermalen,
sodass sich seine Wirkung vollends wendet:
Die Menschen meinen dann, es würde strahlen,
doch werden eigentlich davon geblendet.

Du selber gibst Dich immer sehr diskret,
und kannst mit glatten Hüllen, die Dich kleiden,
und im Gewand der Seriosität
die Blicke in Dein Inneres vermeiden.

Machst Du für Kunden Deine Beine breit
und fallen Deine Hüllen schließlich doch,
entblößt Du Deine Oberflächlichkeit
und in Erinnerung bleibt nur ein Loch.

Michael Feindler 2014

Bildungsreise

Die Welt ist klein, zumindest in den Köpfen.
Wir Menschen mögen es, uns zu beschränken,
statt alle Möglichkeiten auszuschöpfen
und übern Horizont hinaus zu denken.

Nur allzu oft ertappen wir uns beim
Gedanken an erholsame Momente
in unserm eigenen, vertrauten Heim,
und wenn’s nach uns geht, darf das bis zur Rente

auch gern so bleiben, denn die beste Zeit
verbringt man, wenn das Radio ertönt
im Rahmen häuslicher Gemütlichkeit.
Man hat sich unbestreitbar dran gewöhnt.

Trotz dieser Neigung gibt es junge Spunde,
die lieber öfters aus dem Hause gehen
und die beschließen, eine große Runde
durchs Land und um den Erdenball zu drehen.

Denn sie versprechen sich von einer Reise
in andere Regionen und Gefilde,
durch die Erfahrung dort ein bisschen weise
zu werden. Schließlich heißt es, Reisen bilde.

Das tut es auch, wie der Bekanntenkreis
nach einem knappen Jahr auf Fotos sieht.
Erkenntnis Nummer eins: „Es war sehr heiß,
zu unserm Klima echt ein Unterschied!“

Und dann die Menschen anderer Kulturen!
Ein Heimgekehrter schwärmt: „Ach, war das toll
auf so lebendigen und fremden Spuren
zu wandeln. Ein Erlebnis. Eindrucksvoll.

Hinzu kommt: Sich in einem fernen Land
mit off’nem Blick und Neugier umzuschauen,
macht uns als Europäer tolerant
und hilft die Vorurteile abzubauen.“

Ein andrer Fotograf bestätigt nur:
„Ich war ja sowieso noch nie Rassist,
jetzt weiß ich aber sicher, dass Kultur
in jeder Form und Art berechtigt ist.

Das muss man nämlich stets im Kontext sehen.
Ich möchte deshalb wiederholt betonen:
Gewalt ist häufig leichter zu verstehen,
erkennt man sie als Teil von Traditionen.

Oft habe ich mich selber dran gestört.
Inzwischen prägt mich aber die Erkenntnis:
In weiten Teilen dieser Welt gehört
die Unterdrückung gar zum Selbstverständnis.

Das kommt ja schließlich nicht von ungefähr,
dass hier und da noch Diktatoren herrschen.
Und dieser Kult ums eig’ne Militär –
die Leute haben eben Spaß an Märschen.

Auch stimmt es selten, wenn man impliziert,
dass Menschen die Gewalt dort nicht ertrügen,
denn mancherorts wär’n Frauen irritiert,
wenn ihre Männer sie nicht länger schlügen.

Die Menschen werden ja zu nichts gezwungen.
Bloß weil’s uns fremd ist, ist es nicht gleich schlecht.
Im Grunde sind die ganzen Steinigungen
doch nur ein anderes Konzept von Recht.“

„Wir sollten“, heißt es weiter, „auch nichts ändern.
Wir sahen immer wieder auf der Reise:
Der Tod durch Hunger ist in manchen Ländern
schon ritualisierte Lebensweise.

In unsern Ohren klingt das zwar nach Qualen,
doch haben wir erlebt: Den Menschen dort
gelingt es, Glück und Würde auszustrahlen.
Sie sterben gern an ihrem Heimatort

und wissen bis zum letzten Atemzug
das Leben sehr zu schätzen, und zugleich
ist ihnen das, was sie erhalten, oft genug.
Dort gilt, wer niemals hungern muss, als reich.

Wir können uns daran ein Beispiel nehmen.
Denn liegen viele Orte auch entfernt,
so haben wir zum Umgang mit Problemen
im Hier und Jetzt doch einiges gelernt.“

Die Weisheit, die aus diesen Wort spricht,
bekommt in einer langen Fotoreihe
mehr Farbe und in Teilen ein Gesicht,
das meiste ist ein hübscher Blick ins Freie.

So rückt die ganze Weltgemeinschaft näher.
Es wirkt für uns vertraut und sehr gekonnt,
erklären weitgereiste Europäer
die Menschheit hinter ihrem Horizont.

Michael Feindler 2014

Vom Suchen und Finden der Mitte

Liedtext

Du willst mit Dir im Reinen sein und Dich nicht länger binden,
denn Du hast Dich auf den Weg gemacht, um Dich selbst zu finden.
Jetzt möchtest Du in irgend so ein Dorf in Hinterindien reisen,
um dort Tag und Nacht ausschließlich um Dich selbst zu kreisen.

Du konzentrierst Dich jetzt auf Dich, begründest das ausführlich:
„Das ist nicht egozentrisch, sondern nur natürlich,
denn bekanntlich dreht sich um die Sonne unser Erdenreich,
ein Mensch, der in sich ruht, verkörpert beides zugleich.“

Das heißt in andern Worten, mein Erdenschatz und Sonnenschein,
Du würdest nie behaupten, der Mittelpunkt der Welt zu sein –
zumindest nicht der ganzen, denn Deine kleine Welt
besteht ja nur aus Dir, so hast Du’s Dir zurechtgestellt.

Doch apropos Mittelpunkt, Du weißt ja gar nicht wo der ist,
Du suchst seit Neustem Deine Mitte, hast sie lange schon vermisst.
Ich find, Du solltest langsam mal den Flug nach Indien buchen,
da kannst Du fern von mir Deinen Kram zusammensuchen.

Das fandest Du wohl auch, denn kaum hatt’ ich’s ausgesprochen,
war’n Deine Sachen schon gepackt und Du bist aufgebrochen
und machtest Dich auf jenen Weg, der Dich zu Dir selber führe,
schriebst mir eine Karte: „Es ist toll, wie ich mich spüre …“

„Gespürt hast Du Dich sicher“ – das war es, was ich dachte,
als man mir acht Wochen später diese Nachricht überbrachte:
Du sei’st glatt erstochen worden, als Du meditiertest
und Dich grad entspannt auf Deine Mitte konzentriertest.

Der Täter war ein Bauer, der war völlig ausgerastet,
ihn hatten Schulden wegen seines Maisfelds überlastet,
deshalb war er mit dem Drang nach Rache losgezogen
und westlichen Gesichtern ohnehin schon schlecht gewogen.

Doch Du bist Dir bis zu Deinem Ende treu geblieben,
zumindest hat ein Zeuge das später so beschrieben:
Du konntest den verrückten Mörder zwar schon nahen hören,
aber sprachst: „Ich lasse mich von Äußerem nicht stören.“

Die andern sind gefloh’n und Dich hat nichts aus der Ruh gebracht,
der Bauer hat dann kurz darauf Frikassee aus Dir gemacht.
Fast bis zur Unkenntlichkeit warst Du danach verschwunden,
doch später hat man immerhin Deine Mitte noch gefunden.

Der Abonnent

Herr Großmann hält vom Käseblatt,
das täglich seine Heimatstadt
mit Druckerschwärze überflutet,
nicht viel, doch – wie man schon vermutet –
hat Großmann, wenig reflektiert,
die Zeitung dennoch abonniert.
Denn, was man von dem Blatt auch hält –
fast jeder in der Stadt bestellt
und liest es alle Tage, weil …
Der Grund heißt: Regionaler Teil!
Rein journalistisch ist zwar der
besonders stumpf und inhaltsleer,
doch wünschen Leser einen andern,
hilft nur noch eines: auszuwandern.
Für viele aber, die dort wohnen,
gehört das nicht zu den Optionen,
die im Moment in Frage kämen,
stattdessen kann man sich bequemen,
sich täglich drüber auszulassen,
es sei mal wieder nicht zu fassen,
wie überflüssig dieser Brei
im regionalen Blättchen sei.
So pflegt Herr Großmann jedes Mal
das selbe Morgenritual:
Die Zeitung kommt, er liest sie quer,
er ist enttäuscht, dann schüttelt er
den Kopf und fragt: „Was soll das hier?“
und wirft das Blatt ins Altpapier.
Auch wenn das Lesen sich nicht lohnt,
so ist er immerhin gewohnt,
sich morgens kurz mal aufzuregen
und dann die Zeitung wegzulegen.
Und weil er das seit Jahren kennt,
bleibt Großmann treuer Abonnent.

Michael Feindler 2014