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Kategorie: Kabarettprogramme

Sie warten

Liedtext

Er hat sie einst verlassen, drei Jahre ist das her,
und wie er sie behandelte, war nicht besonders fair.
Trotz allem sehnt sie sich nach der Zeit mit ihm zurück
und meint, sie fände nur in ihm ihr wahres Lebensglück.
Sie stellt das Radio lauter, spielt der Rundfunk Liebeslieder
und meint auch heute noch: Eines Tages kommt er wieder.

Sie wartet und wartet,
nichts wird ihr zu viel.
Sie wartet und wartet,
denn sie glaubt an ein Ziel.
Sie wartet und wartet
bis es sie zermürbt.
Sie wartet und wartet
bis die Hoffnung stirbt.

Er sitzt in seinem Zimmer, draußen wird es langsam Nacht,
mit 84 Jahren hat man ihn hierher gebracht.
Morgen wird er 90 und im Pflegeheim gibt’s Kuchen,
er wünscht, dass seine Enkel ihn am Nachmittag besuchen,
obwohl das seit sechs Jahren eher unwahrscheinlich ist.
Doch er ist sich sicher, dass ihn irgendwer vermisst.

Er wartet und wartet, …

Jeden Morgen steht sie in der Arbeitsagentur,
seit über sieben Jahren wartet sie dort nur
auf einen Job, um ihre Kinder vernünftig zu ernähr’n,
sie hat schon oft versucht, es ihrem Jüngsten zu erklär’n:
Irgendwann ist sicher ein Angebot in Sicht,
dann kriegt er neue Schuhe und Schlagzeugunterricht.

Sie wartet und wartet, …

Er ist als Sanitäter bei Soldaten stationiert,
hat gemeinsam mit dem Feldarzt manche Glieder amputiert.
Bei 40 Grad im Schatten läuft er durch das Lazarett,
gibt Pillen und spritzt Morphium an jedem zweiten Bett.
Legt er sich zur Ruhe, schläft er erst nach Stunden ein
und hat nur den Gedanken: Irgendwann wird Frieden sein!

Er wartet und wartet,
nichts wird ihm zu viel.
Er wartet und wartet,
denn er glaubt an ein Ziel.
Er wartet und wartet
bis es ihn zermürbt.
Er wartet und wartet
bis er vor der Hoffnung stirbt.

Die Menschen auf der Straße rufen: „Mehr Demokratie“,
behaupten, die Politiker hörten nie auf sie!
Die Wut wird bald zum Zorn und der Zorn wird zum Protest,
die Menschen fordern laut, dass man sie mitbestimmen lässt.
Sie drohen der Regierung: „Euch wird kein Schwein mehr wähl’n!“
Dennoch ist Politikern nur eines zu empfehl’n:

Lasst sie warten, lasst sie warten!
Wozu die Hoffnung rauben?
Lasst sie warten, lasst sie warten!
Sie soll’n an Ziele glauben!
Lasst sie warten, lasst sie warten
bis es sie zermürbt!
Lasst sie warten, lasst sie warten,
weil alles einmal —

Michael Feindler 2011

Die Windsegler

Liedtext

Wir haben schon immer die Hebel der Macht
mit Worten verteidigt, mit Waffen bewacht.
Wir haben den Text für Gesetze gesetzt
und haben berufliche Netze vernetzt.
Wir werden auf Einfluss und Macht nicht verzichten
und werden uns stets nach dem Wetterhahn richten –
denn wer in den Sturm eines Zeitlaufs gerät,
muss frühzeitig wissen, woher der Wind weht.

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
ohne zur Seite zu schauen.
Wir müssten auch nicht nach der Zukunft fragen,
könnten wir allein
den Winden vertrauen.

Das Springen ersetzt uns den sicheren Stand,
so haben wir eines schon lange erkannt:
Bevor Du die Fahne in Deinem Takt schwenkst,
muss klar sein, in welchen Wind Du sie hängst.
Wir können nichts wissen, wir können bloß meinen,
was vormittags stimmt, lässt sich abends verneinen.
Doch wenn sich der Wind mit einem Mal dreht,
wechseln wir immer ein wenig zu spät.

Wir würden so gern auf den Winden segeln, …

Wer mächtig ist, wird von der Seite bedrängt,
sobald eine Fahne im falschen Wind hängt.
Wir schauen genau, wie die Wolken grad zieh’n,
denn unsere Macht ist vom Wind nur gelieh’n.
Doch könnten wir uns in das Wolkenmeer legen
und würden uns nur noch mit diesem bewegen,
dann änderten wir uns mit jedem Detail:
Der Geist wäre leicht, das Gewissen wär frei!

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
abwartend, voller Geduld –
und sollten wir dann in der Höhe versagen,
wäre der Absturz nie
unsere Schuld.

Michael Feindler 2011

Wo ein Wille ist

Liedtext

Er hat vor langer Zeit bereits beschlossen:
Eines Tages wird zurückgeschossen!
Er kennt für seinen Kampf bereits das Ziel,
obwohl von dieser Seite kein Schuss fiel.
Das kann ihm seine Pläne nur erschweren:
denn um andern Kriege zu erklären,
sollte er den Angriff gut begründen,
doch blöderweise ist kein Grund zu finden.
Und just in dem Moment, als er es braucht,
ist beim Gegner etwas aufgetaucht:
Giftgas oder andre schlimme Waffen,
als Grund zum Angriff scheint das wie geschaffen!

Das liefert wieder einmal den Beleg:
Wo ein Wille ist, findet sich ein Weg.

Er hat als Unternehmer schon seit Jahren
Erfolge und Gewinne eingefahren.
und ähnlich lange stört ihn schon am Staat
der riesige Verwaltungsapparat.
Er meint, dass das den Bürgern wenig bringe,
stattdessen aber sehr viel Geld verschlinge.
Das Ganze habe schon so manchen Wert,
den er geschaffen habe, rasch verzehrt.
So hat er sich seit Jahren aufgeregt
und nun ein neues Konto angelegt –
der deutsche Staat zieht davon nichts mehr ein,
denn Steuern zahlt er jetzt in Liechtenstein.

Das zeigt mal wieder: ist ein Wille da,
sind die Wege Richtung Ziel besonders nah.

Der Fortschritt bricht sich technisch neue Bahnen,
die Zukunft lässt sich heute kaum erahnen:
Mit Internet und digitalem Fluss
ist bekanntlich lange noch nicht Schluss.
Im Gegenteil: Es wächst im großen Stil
und heute ist es längst ein Kinderspiel
zu speichern, was im Internet passiert
und was ein Mensch zur Zeit im Netz vollführt.
Wir wissen selbst, dass unsre Nutzerdaten
rein theoretisch einiges verraten –
man könnte uns ja sogar überwachen …
Wer soll sich aber diese Arbeit machen?

Doch fest steht, dass der Umkehrschluss auch gilt:
Wo ein Weg ist, ist auch irgendwer gewillt.

Michael Feindler 2013

Essen ist fertig!

Liedtext

Das Essen ist fertig, nehmt Euch eine große
Portion Spaghetti mit Hackfleischsoße!
Aber nicht übertreiben. Das reicht erst mal. Halt.
Haut rein, liebe Kinder, sonst wird es noch kalt!
Wie schön ist es, Euch beim Essen zuzuschauen,
im Anschluss seh ich Euch sehr glücklich verdauen.
Doch habt Ihr schon darüber nachgedacht,
was die Bolognese so lecker macht?

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Ihr müsst zugeben, dass er sich als schmackhaft erweist.
Was guckt Ihr denn so? Es hat Euch vorhin geschmeckt!
Ihr habt den Teller sogar noch mal abgeleckt!
Ich verstehe nicht, warum das plötzlich ekelig ist,
bloß weil Ihr jetzt von dieser Zutat wisst!

Opa war keiner mehr von den Jungen,
wir hätten ihn deshalb notgedrungen
in eine Seniorenresidenz geschafft
und dort hätte es ihn dann hinweggerafft.
Das Geld für ein Altersheim lässt sich sparen –
dafür können wir lieber in den Urlaub fahren.
Ach, verzieht jetzt bitte nicht Euer Gesicht!
Bolognese war doch immer Euer Leibgericht!

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Er war nicht mehr zu gebrauchen und völlig vergreist.
Das ist der Lauf der Dinge – irgendwann ist Schluss,
woran sich wirklich jeder Mensch gewöhnen muss.
Doch wie den meisten geht’s Euch besser, wenn Ihr vergesst,
was man Euch auftischt und was Ihr so esst!

Im Übrigen möchte ich nicht verhehlen:
Ich kann dieses Essen jedem nur empfehlen,
denn fest steht, wenn man Senioren brät:
Das ist billiges Fleisch mit hoher Qualität!
Da weiß man, was drin ist, und das ist allemal
sicherer als alles aus dem Kühlregal,
kein Gammelfleisch, kein Massentier und ähnlicher Dreck –
und die Alterspflege fällt auch noch weg!

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Das passiert eben, wenn man auf Verbraucherschutz scheißt.
Das ist sparsam für den Haushalt und höchst effizient
und es bringt Euch nichts, wenn Ihr weiterhin flennt.
Die Oma liegt im Keller und ist auch schon tot,
die gibt es dann morgen frisch aufs Pausenbrot!

Michael Feindler 2013

Jahrgang 1989

Liedtext

Wir wurden geboren als die Mauer fiel,
der kalte Krieg schmolz grad dahin.
Ein einziges Deutschland, hieß das neue Ziel,
und wir standen mittendrin.
Unsre Kindheit begann in den 90er Jahren,
wir genossen es im Großen und Ganzen.
Wir konnten unser Taschengeld in D-Mark sparen
und dachten noch nicht dran uns fortzupflanzen.
Die Hauptstadt hieß jetzt statt Bonn Berlin,
wir lernten das nicht anders kennen,
wir steckten voll mit Ernergien,
wir konnten nur keine Quelle benennen.
Man sagte uns: „Versprechen müsst Ihr halten.“
Das bewies uns allen Helmut Kohl.
Auch wir wollten später Gelder verwalten
und fühlten uns dank Werbung wohl.

Wir lernten früh den Nutzen der Ellenbogen,
um nicht arbeitslos zu enden.
Wir waren lieber selbstbezogen,
als Mitglieder in Verbänden.
Essensbewusster wurden wir
durch Dioxin und BSE,
den Klimawandel erklärte uns hier
ein gewisser Al Gore aus Übersee.
Wir erlebten das Ende der Sicherheit,
als der Terror New York erreichte.
Wir waren noch Kinder, als die neue Zeit
die idyllischen Träume verscheuchte.
Dennoch hatten wir nie mit einem Krieg zu tun,
zumindest hatten wir nie das Gefühl.
Fast zu Lebzeiten könnten wir in Frieden ruh’n,
blieb Gewalt ein Computerspiel.

Wir suchten Erfolg bei RTL
und diversen Casting-Shows,
Wir dachten, so würden wir besonders schnell
berühmt und richtig groß.
Elektronisch warn wir stets auf dem neu’sten Stand,
wir lebten online und global,
Infos strömten vorbei am Bildschirmrand,
wir waren international.
Das Internet wurde zum Lebensraum,
da war jeden Moment was los:
ob bei Ebay der moderne Shopping-Traum
oder Youtube-Videos.
Über Facebook, Twitter und StudiVZ
schickten wir uns sinnlose Zeilen.
Wir machten damit das Bedürfnis wett,
uns ständig mitzuteilen.

Wir wurden geboren als die Mauer fiel,
der Kalte Krieg schmolz grad dahin.
Wir haben die Selbsterhaltung als Ziel
und vielleicht ein bisschen Gewinn.
Wir sind die vernetzte Generation,
sich zu treffen kann kaum leichter sein.
Doch trotz ständiger Kommunikation
fühlen wir uns häufig allein.
Vieles strömt auf uns ein, wir wollen alles versteh’n,
doch nicht alles ergibt einen Sinn.
Wir laufen, wir rennen, wir stoppen, wir geh’n,
wir wissen nur noch nicht, wohin.

Michael Feindler 2009

Die Welt der tausend Möglichkeiten

Liedtext

Für Versand und Ihre Ware zahle ich bestimmt kein Geld,
was Sie mir geliefert haben, hab ich sicher nicht bestellt.
Ja, okay, das ist was andres – aber nur zum Probeliegen.
Brauch ich’s nicht, dann können Sie das Exemplar gleich wiederkriegen.
Das Letzte war mir auf die Dauer leider viel zu laut,
und abgeseh’n vom guten Look hat’s nicht so viel gekonnt.
Deshalb hab ich mich noch mal ausführlich umgeschaut.
Gäb es das Gesamtpaket eventuell in blond?

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten,
facettenreich und turbulent, mit weißen und mit bunten Seiten.
Wer träumt heute nur noch von der Variante A,
sind die Varianten B bis Z noch da?
Willkommen in der Welt, in der Du alles werden kannst,
solang Du in Bewegung bleibst und zwischen allem tanzt,
was sich bietet und ereignet, hier und jetzt, bei jedem Schritt
und wenn’s Dich überzeugt hat – nimm es mit!

Unser Urlaub war vom Anfang bis zum Ende gut gefüllt,
denn in Griechenland gibt’s mehr zu sehn als jedes Jahr auf Sylt.
Man hatte uns im Vorfeld viele Städte dort empfohlen,
wir waren überall, doch konnten wir uns kaum erholen.
Den nächsten Urlaub haben wir natürlich schon gebucht:
Wir starten in Marokko und fahren bis Loch Ness,
den Flug nach Peking hab ich gestern auch noch rausgesucht –
das würde sicher schön, wär da nicht der ganze Stress.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten …

Welches Fach soll ich studieren und was wär beruflich klug
und was könnte mir gefallen und wo lerne ich genug?
Die Entscheidung hab ich schließlich vor dem Hintergrund getroffen:
Mit Wirtschaft halt ich mir noch möglichst viele Wege offen.
Denn mein größter Gegner war immer schon die Zeit,
in der man weitaus mehr als selbige verliert:
Mit jedem meiner Wege, für den ich mich entscheid’,
werden andre Wege auf ewig ausradiert.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten
mit nur einer Gegenwart und verlorenen Vergangenheiten,
die vor ein paar Tagen oder auch vor ein paar Jahr’n
eine Überlegung für die Zukunft war’n.
Willkommen in der Welt, in der Du vieles kurz erfasst
und in der Du alle paar Minuten was verpasst.
Und immer, wenn Du fragst, was das Beste für Dich sei,
ist der Moment, den Du suchst, schon vorbei.

Michael Feindler 2012

Ausflug ins Atomkraftwerk

Liedtext

Herr Walter war Lehrer für Chemie und Physik
und verkündete seiner Klasse erfreut:
„Kinder, was habt Ihr für ein Glück:
Wir machen einen Ausflug heut!
Ein Schüler rief laut: „Das wird ein Knaller!“
und wenig später saßen sie im Bus
nach Brunsbüttel und zur Freude aller
war dieses fröhliche Lied ein Muss:

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Das Gebäude war von außen halb zerfallen,
als wär’s vom Aussterben bedroht.
Die historische Fassade gefiel gleich allen,
auf einem Schild stand: „Rauchverbot“.
Dennoch war die Besichtigung top,
denn die Schüler fanden in der Tat
in einem kleinen Souvenir-Shop
noch Brennstäbe im Mini-Format.

Steigt ein, steigt ein …

Die Kinder liefen fröhlich über das Gelände,
ein Abenteuerspielplatz bot sich hier.
Sie erklommen hohe, beschmierte Wände,
in diesem Energie-Revier.
Ein paar Jungs gingen schwimmen am nahen See,
das Wasser am Kraftwerk war angenehm warm.
Peters Asthma war danach passé
und Felix wuchs ein dritter Arm.

Steigt ein, steigt ein …

Seit diesem Ausflug weht ein völlig neuer Wind.
Begeistert erzählt davon noch heute jedes Kind.
Du musst mit deinen Kleinen also nur ins Kraftwerk geh’n,
um sie – wie sonst selten – so strahlend zu seh’n,
weshalb man auf den Demos vor jedem Kraftwerk liest:
„Denkt an unsre Kinder, bevor ihr alle schließt!“

Michael Feindler 2010

Die Hand

Liedtext

Guten Tag, Herr Intendant, ich bedanke mich für die Ehre,
dass ich über Sie berichten darf!
Und dann aus diesem Anlass – zur heutigen Premiere!
Da komm ich gerne! Auch mit Fotograf!
Ja, wie Sie schon sagten: Der Abend wird recht lang,
denn später wird mit allen angestoßen
mit äußerst edlem Alkohol bei einem Sektempfang,
Sie zählen schließlich zu den wirklich Großen!
Und machen Sie sich bitte keine Sorgen
bezüglich der Premieren-Rezension.
Der Text erscheint dann gleich am Montagmorgen,
gewiss mit sehr viel Lob im besten Ton.

Denn:
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
weil man sonst daran erstickt.
Und deshalb ist es stets gesünder,
wenn man freundlich nickt.

Guten Abend, Herr Minister! Ich bin ehrlich hocherfreut,
dass wir uns mal endlich wiederseh’n!
Bei diesem Wirtschaftsgipfel genieß ich hier und heut
zwischen hohen Tieren rumzusteh’n.
Auf solche Treffen kann ich auch in Zukunft nicht verzichten,
ich mag es, als Reporter exklusiv
aus nächster Nähe und nicht bloß von Ferne zu berichten,
mein Chef bewertet das sehr positiv!
Sie fragen mich, woran ich grade schreibe?
Ach, wissen Sie, das ist doch völlig gleich –
solange ich in diesen Kreisen bleibe,
schreibe ich als einer von Euch!

Denn:
Die Hand, die einen füttert …

Ich wirke manchmal abgehoben oder elitär,
doch weiß ich auch, wie dumm Distanz für mich beruflich wär.
Und nur mit dem direkten Draht – unter anderm nach Berlin –
kann ich alles, was passiert, wirklich nachvollzieh’n.
Ganz egal, worüber ich bis heute schrieb
und wohin mich mein Beruf auch trieb –
überall hatten mich die Leute lieb,
denn ich folgte dem Prinzip:

Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst wird die Luft noch knapp.
Und wenn die Hand mir nützen soll,
lecke ich sie lieber ab!

Michael Feindler 2013

Technisches Unbehagen

Technik – speziell das Internet – schlägt Brücken. Zwischen Ländern. Zwischen Menschengruppen. Zwischen Personen, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Das ist doch was. Wenn da nur nicht dieses Unbehagen wäre. Das Unbehagen, dass die Technik die Menschen mehr voneinander entfremdet als sie miteinander zu verbinden. Dass sie menschliche Nähe verhindert. Alles anonymer macht.
Ein Beispiel: Wenn ich heute als Geheimdienstmitarbeiter jemanden ausspionieren und abhören möchte, gibt es genügend Methoden, das zu tun, ohne dass ich persönlich in die Wohnung der betreffenden Person einsteigen muss. Vermutlich reichen schon ein paar Klicks und ich sehe das Wohnzimmer durch die Webcam. Oder das Schlafzimmer. Aber das ist doch nicht das Gleiche wie früher. Als man Wohnungen heimlich aufgebrochen hat, um Abhörkabel zu verlegen und Telefone zu verwanzen. Als man noch selber durch die fremden Zimmer schritt, den Duft eines geschmacklosen Parfums einatmete und beim Knarren der Dielen unter den eigenen Füßen kurz aufschreckte. Das hatte Spannung. Das war authentisch. Irgendwie persönlicher.
Ganz ähnlich ist das mit Kriegen. Man kennt noch die Geschichten von früher. Als man sich auf den Schlachtfeldern Auge in Auge gegenüberstand. Den Atem des Feindes hören und die eigene Furcht schmecken konnte. Auch das hatte immer etwas Persönliches, ja sogar Intimes. Wenn man wusste, dass das eigene Gesicht das letzte Gesicht sein konnte, das jemand sah, bevor man ihn erschoss. Dass sich dieser Mensch in dem Moment wahrscheinlich nach seinen Liebsten sehnte und dass der Blick in ein völlig fremdes Gesicht den Tod nicht ansatzweise mildern konnte – trotzdem teilten da zwei Menschen einen Moment miteinander.
Es gibt auch nicht mehr diese Extraportion Nervenkitzel, wie es sie früher gab, weil man nicht sicher sagen konnte, wer am Ende des Tages überleben würde. Heute weiß man, wer gewinnt: Der Drohnenpilot. Und der hört in seiner Position nicht einmal mehr die Schreie der Menschen, die er tötet. Er sieht nur die Pixel. Anonymer geht es kaum.
Aber es wäre falsch zu behaupten, die Technik würde alles anonymer machen. Sie ist nicht Schuld. Höchstens der aktuelle Stand der Technik – der ist Schuld. Denn auf der ganzen Welt arbeiten Menschen an besseren Sensoren, Kameras, Mikrofonen und Lautsprechern. Und vielleicht wird man eines Tages, wenn man eine Wohnung überwacht, ab und zu die Bodendielen knarren hören, als hätte man sie gerade selbst betreten. Und vielleicht wird der Moment kommen, in dem ein Drohnenpilot direkt in schreckensgeweiteten Augen in 3D und HD-Qualität blickt, während er den Abschussknopf betätigt. Und womöglich wird er dabei ein Gefühl von Verbundenheit und Nähe spüren, das nicht technisch, sondern rein menschlich ist.

Michael Feindler 2014

Verschwendung

Europa, was für eine Schande!
Es ist doch nicht mit anzusehen,
wie Flüchtlingsboote hier am Rande
des Kontinentes untergehen.

Zu helfen, wäre längst geboten!
Es wäre nämlich schlicht verkehrt
zu sagen, viele dieser Toten
wär’n lebend ebenfalls nichts wert.

Erst recht aus Unternehmersicht
sind diese Opfer nur Verschwendung!
Die Rettung wäre daher Pflicht:
Wir haben ganz gewiss Verwendung

für jene, die befürchten müssen,
sie würden auf dem Meer begraben.
Die werden uns die Füße küssen,
sobald wir sie gerettet haben!

Es wäre damit viel gewonnen,
wie jeder sich schon denken kann:
Denn wer dem Tode grad entronnen,
nimmt jede Art von Arbeit an.

Dann könnten wir den Beinah-Leichen
die schlimmsten Niedriglöhne zahlen.
Es würde ihnen trotzdem reichen,
vermutlich würden sie noch strahlen,

aufgrund des Glückes, hier zu sein.
Europa würde dadurch schöner
und ließe Flüchtlinge herein
als lebensfrohe Billiglöhner.

Michael Feindler 2014