Zum Inhalt springen

Kategorie: Monatsgedichte

Diese Hitze!

Ein Deutscher kann es gar nicht fassen,
wie heiß der Sommer dieses Jahr
laut Zeitung werden soll. Gelassen
bleibt er da kaum. So ist wohl klar,
weshalb er, wenn die Sonne glüht,
viel mehr als jeder andre schwitzt:
Der Grund heißt sicher: Sein Gemüt
ist Tage vorher schon erhitzt.

Michael Feindler 2015

Vom Sieg der Dummen

Ein Dummer bleibt ja nicht der Dumme,
kann er am Ende triumphieren.
Drum hat der Dumme in der Summe
im Kampf das meiste zu verlieren.

Wenn auch der Kluge unterliegt –
moralisch bleibt ihm der Gewinn.
Der Dumme hat nur dann gesiegt,
gibt er der Dummheit einen Sinn,

indem er diese unentwegt
als platte Phrasen fleißig pflegt,
in Glaubenssätzen niederlegt,
und weit in die Gesellschaft trägt.

Wir haben Geld und somit Macht
und schmieden aus den Glaubenssätzen
die Waffen für die letzte Schlacht
in Form von eisernen Gesetzen.

Wir legen fest, statt zu erklären.
Ihr habt noch immer nicht begriffen:
Ihr könnt Euch mit Vernunft nicht wehren,
und sei’n die Worte auch geschliffen.

Wir brauchen keine Fantasie,
um einzuseh’n: Ihr seid im Recht.
Laut sagen würden wir das nie,
seid Ihr noch nicht im Kern geschwächt.

Wir halten Eure Haltung klein
mit unserm dumm verdienten Geld.
Wem liegt schon dran, im Recht zu sein,
solange er nur Recht behält?

Michael Feindler 2015

Die Schlingen halten

Für unsre Macht seid Ihr der Stein der Weisen –
sie lebt dank Euch und strahlt in Eurem Gold.
Es ist ein Kinderspiel Euch abzuspeisen,
fast meint man: Ihr habt’s selber so gewollt.

Durch Arbeit fest gebunden und geschunden,
gelingt es Euch nur selten klar zu denken.
Das Wörtchen „Sachzwang“ haben wir erfunden,
um keinen Blick auf unsre Macht zu lenken.

Wir wollen Euch zu keiner Arbeit zwingen,
denn wir betonen gern: „Der Mensch ist frei“
und bieten eine Auswahl vieler Schlingen,
in die Ihr schlüpfen dürft, nicht Sklaverei!

Schon lange gebt Ihr uns aus freien Stücken,
was wir Euch früher noch brutal geraubt.
Die Schlingen halten und sie werden drücken,
solange Ihr an ihren Sachzwang glaubt.

Michael Feindler 2015

Das war’s

Frühling lässt sein blaues Band
wieder durch die Lüfte flattern.
Jeder will am Wegesrand
einen Sonnenplatz ergattern.

„Aufbruch“ – das Gebot der Stunde!
Wer das zarte Grün gerochen,
der verbreitet diese Kunde,
kommt aus seinem Loch gekrochen.

Nur ein altes krankes Wesen
lässt sich nicht von all dem locken,
bleibt – wie Trinker sonst am Tresen –
in der dunklen Höhle hocken.

Denn es meidet schon seit Jahren
frische Luft und Sonnenschein,
um sich Blässe zu bewahren
und nicht feurig rot zu sein.

Somit sitzt es alle Märze,
wenn die ersten Knospen springen,
still und schwach in tiefer Schwärze,
statt ein Aufbruchslied zu singen.

In die Dunkelheit entschwunden,
fern von Klatschmohn, Licht und Klee,
wird das Wesen kaum gesunden …
Tja, das war’s wohl, SPD.

Michael Feindler 2015

Blick von oben

Hoch oben stehst Du auf der Leiter
und hältst Dich deshalb für gescheiter
als jene, die noch unten stehen.
Denn, dass Du Dich hinaufgeschwungen,
ist Dir aus eig’ner Kraft gelungen –
zumindest willst Du das so sehen.

Doch halte bitte einmal inne,
dann merkst Du: sämtliche Gewinne
an Höhe sind auf dieser Welt
nur dank der Menschenmasse möglich,
die fern und in der Nähe täglich
geduldig Deine Leiter hält.

Michael Feindler 2015

Impressionen zur fünften Jahreszeit

Heut zieht ein Zug durch alle Gassen,
die Menge feiert, singt und lacht,
so wie sie das nur selten macht.
Ein jeder hier wirkt ausgelassen!

Man schwimmt im Bad aus platten Witzen,
als stünden alle unter Drogen.
Der Stock ist aus dem Arsch gezogen –
so lässt es sich bequemer sitzen.

Die Hierarchien sind wie weg-
geblasen (nur noch eins ist da:
ein lustiges Monarchenpaar),
denn alle fühl’n sich gleichsam jeck!

Zwar wahren sie den frohen Schein,
doch sind nicht wirklich zu beneiden:
Die meisten müssen sich verkleiden,
um endlich mal sie selbst zu sein.

Michael Feindler 2015

Was bleibt

Bewegt die Tat auch Menschenmassen,
und so schockierend sie erscheint –
nach kurzer Zeit wird schon verblassen,
was durch den Schock zunächst vereint.

Denn in der Fassungslosigkeit
liegt stets die Suche nach dem Sinn.
Und wer nach diesem lautstark schreit,
der biegt ihn notfalls selber hin:

Aus jedem Opfer wird ein Held,
aus jedem Tod Martyrium.
Das Mitgefühl der ganzen Welt
erstickt im Individuum.

Aus einem „Wir“ wird schnell ein „Ich“,
die Opfer sind schon bald vergessen,
und schließlich bleiben unterm Strich
nur eigennützige Int’ressen.

Michael Feindler 2015

Strategiewende

Atomstromzeiten sind beendet,
da Energie sich hierzulande
samt Vattenfall und E.ON wendet.
Doch beide sind wohl kaum imstande,
die Folgen finanziell zu tragen –
zumindest, wenn die Aktionäre
Profitverluste bald beklagen.
Denn schließlich meinen die, es wäre
bescheuert, stünde Sicherheit
der Menschen über dem Gewinn.
Und deshalb ist es an der Zeit,
die Dinge wieder richtig hin-
zubiegen und darauf zu schauen,
dass jeder Stromkonzern genießt,
was ihn am Leben hält: Vertrauen,
indem der Geldstrom weiterfließt.

Und so verklagt nun Vattenfall
vor dubiosen Schiedsgerichten
den Staat und will auf einen Schwall
an Geld mitnichten jetzt verzichten.
Das Unternehmen E.ON fährt
da eine andre Strategie,
die hat bei Banken sich bewährt
(und dort versagte sie fast nie):
Der Stromkonzern wird jetzt gespalten
und kann danach den Kernkraft-Schrott
getrennt vom schönen Teil verwalten.
Geht dieser Müll dann mal bankrott,
so haftet, wie man sich schon denkt,
der Staat für jeden Schuldenrest –
den gibt’s von E.ON dann geschenkt,
auch außerhalb vom Weihnachtsfest.

Michael Feindler 2014

Festungsgesang

Auferstanden aus Ruinen
wurde unser Kontinent
stark, und alle Länder schienen
wie ein Teil vom Happy End.

Menschen kämpften, Menschen starben
für den Frieden in der Welt.
Was wir hier geschaffen haben,
ist ein Glück, das lange hält.

Einigkeit und Recht und Freiheit
schenkt uns nämlich die EU
und zur Stärkung unsrer Einheit
machen wir die Grenzen zu.

Boote schwimmen, kentern, stranden,
Menschen flüchten bis hierher.
Mancher kommt dabei abhanden
mitten auf dem Mittelmeer.

Das ist tragisch, aber leider
müssen wir da konsequent
bleiben, denn die Wirtschaftsneider
schadeten dem Kontinent.

Will ein Flüchtling es versuchen,
ruft ihm zu: „Du Depp verkennst:
Jeder will ein Stück vom Kuchen,
doch die Anzahl ist begrenzt.“

Frieden haben wir geschworen,
deshalb geht’s uns heute gut.
An Europas Festungstoren
klebt jetzt höchstens außen Blut.

Trauert nicht um Flüchtlingsleichen,
denn wer ehrlich ist, der weiß:
Frieden dauerhaft erreichen
kann man nur um diesen Preis.

Michael Feindler 2014

Herbst

Die Luft ist heute überraschend kühl,
ist windig unterwegs, macht selten Rast.
Im kalten Hauch beschleicht mich das Gefühl,
ich hätt’ den Sommer wieder mal verpasst.

Wo sind die warmen Tage hin, von denen
ich mir am Jahresanfang viel versprach?
Ich meine mich nach Kommendem zu sehnen,
doch im Kalender ist es schon danach.

An einen Frühling mag ich mich entsinnen,
an Aufbruchsstimmung, Ziele und den Plan,
gemeinsam etwas Großes zu beginnen.
Wohin verschwand im Anschluss der Elan?

Was wurde aus dem Drang, der in uns steckte,
aus jenem Antrieb, der uns weiterbrachte?
Wo blieb die Neugier, die das Umfeld weckte,
das Feuer, das ein Geistesblitz entfachte?

Das alles ging wohl, als der Sommer kam.
Von diesem haben wir dann kaum gezehrt,
denn Statisches ist von Natur aus lahm
und somit weniger erinnernswert.

Zum Frühling lässt sich einiges erzählen,
der Sommer aber ist ein Status quo,
dem weitere Entwicklungsstufen fehlen –
zwar schön und warm, doch bleibt er eben so.

Das Faszinierendste ist stets, was sich bewegt,
was wächst und was sich noch verändern lässt.
Ein definiertes Zielereignis legt
zugleich den Punkt für einen Stillstand fest.

Denn schließlich sind es ja die Übergänge,
die ganz besonders intensiv erscheinen.
Entwicklung zieht Momente in die Länge –
zumindest kann man das im Rückblick meinen.

Und wenn uns dann der Sommer beispielsweise
erfasst, ergibt sich häufig das Problem:
Elan und Tatendrang verschwinden leise,
der Status quo ist nämlich sehr bequem.

Doch jeder Sommer wird mal abgelöst.
Es folgt der Herbst. Er bringt Veränderung,
indem er das Entstandene verstößt –
ganz sachte, ohne frühlingshaften Schwung.

Die Luft beginnt sich langsam abzukühlen,
ein Hauch von Sommer scheint noch nachzuhallen.
Nun geht es weiter. Neue Winde wühlen
auch die Gedanken auf und zeigen allen:

Am stärksten können wir das Leben fühlen,
wenn Dinge wachsen oder grad zerfallen.

Michael Feindler 2014