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Die Bretter und die Welt

Die Bretter, die die Welt bedeuten,
sind nichts als bloße Unterlagen.
Sie steh’n bereit, um vor den Leuten
ein Stück zu stützen und zu tragen.

Begrenzt sind Lachen, Liebe, List
allein durch einen Bühnenrand.
Selbst wenn das schwer erträglich ist –
die Bretter halten tapfer stand.

Dem Publikum wird viel geboten
und theatralisch präsentiert:
Komödien mit frechen Zoten,
Balladen, sauber rezitiert,

ein Held steigt auf und stürzt dann wieder,
ein Liebesglück bleibt unerfüllt,
es reihen Dramen sich an Lieder,
bis jede Bühne überquillt.

Was sich im Geist der Menschen regt,
will irgendwann auf diese Bretter.
Ein Künstler wünscht, dass er bewegt
und stellt sich gerne neben Götter.

Ja, was soll Kunst denn and’res sein,
als eig’ne Schöpfung zu betreiben?
Vergänglich ist der schön Schein,
auf Bühnen darf er länger bleiben.

Doch was geschäh, wenn Schöpfergeister
darauf bedacht wär’n abzubilden,
was ohne Puder, Schmuck und Kleister
entfernt von künstlichen Gefilden?

Und wenn sie sagten: „Heute zeigen
wir euch, was draußen alles los ist
und werden Übles nicht verschweigen,
weil unser Ärger längst zu groß ist!“

Wie würden Menschen reagieren,
wär das Szenario real?
Würd man nicht länger inszenieren,
Wär purer Alltag zu brutal?

Und wenn man alles niedermähte
und alle Spieler auf der Bühne
vor Publikum erschießen täte –
verzöge jemand eine Miene?

Man könnte alle Bretter sprengen
und einen Teil vom Schauspielhaus –
trotz allem gäb es von den Rängen
am Ende ganz normal Applaus!

Dann würden sich die Reihen lichten,
die Toten blieben einfach liegen,
die Presse würde kurz berichten:
„Das Abendstück war recht gediegen.“

Und keine Spur von Schock-Effekt!
Wer glaubt schon, dass der Wahrheitskern
sich nicht mehr länger gut versteckt?
Den meisten Menschen liegt das fern.

Die Bretter, die die Welt bedeuten,
sind nichts als eine <em>andre</em> Welt.
Denn wie erklärte man den Leuten:
Hier wird die Wahrheit dargestellt?

Michael Feindler 2009

Published inAllein unter MenschenGedichteKabarettprogramme

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