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Kategorie: denkfunk.de

Warum ich an Europa glaube

English translation below

Liebe Menschen in Europa,

ich bin in den vergangenen Tagen immer wieder gefragt worden: „Michael, warum glaubst Du eigentlich noch an Europa?“ Die Frage ist berechtigt. Es wird einem dieser Tage nicht leicht gemacht, an die europäische Idee zu glauben. Der Kontinent scheint zu zerfallen. In Norden und Süden, in reichere und ärmere Staaten. In solche, die die politischen Leitlinien formulieren und solche, die diese Vorgaben nur ergeben abnicken können. Und was soll das überhaupt sein, dieses Europa, an das ich glaube? Reisefreiheit und einheitliche Währung formen noch lange keine Gemeinschaft! Ein Zusammengehörigkeitsgefühl braucht bekanntlich viel mehr, vor allem gegenseitiges Vertrauen. Und damit das entstehen kann, braucht es Zeit. Viel Zeit. Wollen wir das ignorieren, ebenso wie die offensichtlichen Mentalitätsunterschiede zwischen den europäischen Völkern?

Ich will gar nicht leugnen, dass Europa zur Zeit in einer großen Krise steckt — einer Krise, die politische, wirtschaftliche und erst recht soziale Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Ich habe auch nicht vor, diese Probleme klein zu reden. Aber ich weigere mich, aus der Krise zu schlussfolgern, ein geeintes, weltoffenes Europa sei grundsätzlich nicht möglich.
Natürlich ist das möglich. Wir müssen uns doch nur einmal vor Augen führen, wie zerstört dieser Kontinent noch Mitte des 20. Jahrhunderts war. Die Spuren von zwei Weltkriegen verschwinden nicht über Nacht. Trotzdem ist es gelungen, aus diesem Trümmerfeld heraus eine europäische Gemeinschaft zu gründen, deren Länder in eine jahrzehntelange Friedensperiode eingetreten sind. Inzwischen dauert diese Friedenszeit länger als jede andere in Europa in den Jahrhunderten zuvor. Das macht doch Hoffnung.

Es liegt mir fern, diesen Zustand zu verklären. Ich weiß, dass Europa auch in den vergangenen Jahren eine sehr unrühmliche Rolle in militärischen Konflikten gespielt hat. Keine Frage. Außerdem wirkt Europa — vorsichtig ausgedrückt — oft ziemlich überfordert mit seiner Vorreiterrolle als grenzfreier und weltoffener Kontinent. Aber soll das jetzt etwa ein Grund dafür sein, diese Vision aufzugeben? Können wir, nur weil wir ein Ziel noch nicht erreicht haben, behaupten, dass wir es nie erreichen werden? Wie armselig und feige ist das denn? Haben wir die Ansprüche an uns selbst inzwischen so weit abgesenkt, dass wir uns als Gesellschaft nicht mehr weiterentwickeln wollen? Dass wir lieber unseren Status quo bis aufs Blut verteidigen als große politische Ziele für ein besseres menschliches Zusammenleben zu verfolgen?

Mit dieser fortschrittsfeindlichen Einstellung hätte die Menschheit vermutlich nicht einmal das Feuer gezähmt. Grillpartys könnten dann ausschließlich spontan stattfinden — und zwar nur bei Unwetter, wenn sich alle mit ihrem Grillgut um den Baum versammeln, in den ein Blitz eingeschlagen ist. Dass das nicht so ist, liegt daran, dass Menschen in der Vergangenheit immer ein paar Schritte weitergedacht haben.

Deshalb frage ich mich: Was hält uns davon ab, in der Politik ebenfalls mehrere Schritte weiterzudenken? Wieder Visionen zu entwickeln? Die Menschen anstelle der Märkte in den Mittelpunkt zu rücken? Und worauf wollen wir bitte hinaus, wenn wir sagen: Europa scheitert? Wollen wir das einfach so hinnehmen? Meinen wir wirklich, dieses Scheitern sei ein unabwendbares, alternativloses Schicksal?

Wer das behauptet, hat keine Fantasie. Dabei ist Fantasie der wichtigste Rohstoff einer Demokratie. Wir brauchen sie, um Visionen zu formulieren, Ideen für eine ferne Zukunft zu entwickeln. Ja, ich weiß: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Um sich dort bescheinigen zu lassen, wie realitätsfern er denkt.
Ist uns eigentlich bewusst, wie demokratiefeindlich solche verächtlichen Äußerungen sind? Denn Visionen als realitätsfern abzustempeln, bedeutet, dass wir wenig bis gar keinen Einfluss auf die Realität haben. Dabei sollte genau das das Ziel einer Demokratie sein: Realität gemeinsam zu gestalten — sie stetig zu verbessern und vor allem menschenwürdiger zu machen!
Es geht mir doch überhaupt nicht darum, ob die Vision eines geeinten Europas von heute auf morgen umsetzbar wäre. Natürlich ist das nicht realistisch. Aber es sollte unbestritten sein, dass der Wunsch nach stärkerem Vertrauen zwischen den europäischen Völkern jeder politischen Entscheidung zugrunde liegen muss. Jede politische Rede, die Fremdenhass schürt, jeder Beschluss, der die Unterschiede zwischen den Nationen betont, jeder Gesetzesentwurf, der mehr den Interessen von Lobbyisten als denen der übrigen Bevölkerung entspricht, verstößt gegen diese übergeordnete Vision.

Ich glaube nach wie vor an die Vision eines geeinten und weltoffenen Europas. Nicht etwa, weil ich glaube, wir seien momentan auf einem guten Weg dahin. Nein. Ich befürchte sogar, dass wir gerade dabei sind, einiges an vorhandenem Vertrauen zu zerstören. Aber ich glaube fest daran, dass Menschen in der Lage sind, Grenzen zu überwinden — sowohl in Gedanken als auch in der Realität. Und ich sage das nicht aus einer bloßen Hoffnung heraus, sondern weil ich es selbst schon erlebt habe. Menschen kommen erfahrungsgemäß bestens miteinander aus, wenn nur ausreichend Wille und Geduld vorhanden sind. Beides sollten wir aufbringen, sowohl im Politischen als auch im Privaten. Unserem Handeln sollten wir stets eine optimistische und konstruktive Einstellung zugrunde legen, getreu dem Motto: Wenn es ein Problem gibt, suchen wir so lange nach einer Lösung, bis wir eine gefunden haben. Und wenn wir keine Lösung finden, liegt es weniger daran, dass es keine gibt, sondern daran, dass wir nicht sorgfältig genug danach gesucht hat.

Das klingt anstrengend. Aber nichts ist motivierender als eine große politische Vision, die Frieden und Menschlichkeit verspricht und die auch nur eine Vorstufe zu einer noch größeren Vision, nämlich dem Weltfrieden, ist.

Und deshalb glaube ich an Europa.

Michael Feindler 2015


English version

Why I believe in Europe

(with special thanks to Armin Eichhorn, Matthias Görgens and Pia Rennert for translating)

To the people of Europe,

I have been asked many times: “Michael, why do you still believe in Europe?” That is a fair questions. These days it is not easy to believe in the European idea. The continent seems to fall apart. In North and South, in rich countries and poor countries. In those, who determine policies and those who just rubberstamp. And what is that “Europe” anyway? Freedom of movement and a common currency do not constitute a community! A shared identity of course requires more, and above all: mutual trust. To develop that trust requires time. A lot of time. Do we want to ignore that, as well as the obvious differences in mentality between the European peoples?

I do not deny that Europe is in a big crisis at this very moment – a crisis with political, economic and especially social consequences on our society. I do not want to ale light of these problems. But I refuse to conclude that the European idea is impossible.
Of course it is possible. If we only look back at how torn apart this continent was during the middle of the 20th century. The remnants of two world wars do not disappear overnight. Nevertheless we have managed from that scene of devastation to found a European community that enjoyed long decades of peace. In fact, enjoyed the longest general peace in Europe for centuries. That should give us hope.

But, let us not romanticize this general peace. I know that in recent years Europe has played an inglorious role in military conflicts. No doubt. Besides, Europe often seems – gently stated – overwhelmed in its role as the very model of a borderless and cosmopolitan continent. But should that be a reason for giving up on this vision? Shall we, only because we have not achieved a goal yet, claim that we will never reach it? How pathetic and cowardly! Have we lowered the standards for ourselves so far that we, as a society, do not want to advance? That we prefer defending our status quo rather than pursuing grand political goals for a better human community?
If humankind had always had this enmity to progress, I believe we would not even have harnessed fire. Barbecues could only take place spontaneously, during thunder storms, with everybody gathering below a tree in which a bolt of lightning has struck. The reason why this is not the case is because in the past some people have always thought a few steps ahead.

That is why I have to ask myself: What keeps us from thinking a few steps ahead in politics, too? To develop visions again? To focus on people, rather than markets? And what do we want to achieve when we say: Europe is failing? Do we want to just accept that? Do we really believe this failing is an inevitable fate with no alternative?

Those who claim that, have no imagination. And imagination is the most important ingredient of democracy. We need imagination to formulate our visions, ideas for a far-away future. Yes, I know: if you’re having visions, go see a doctor. They will promptly attest a lack of realism.
Do we actually realize how anti-democratic such despicable statements are? To characterize visions as lacking realism means that we lose our influence on reality. But that should be the very goal of any democracy: Shaping reality together – steadily improving it and, first and foremost, making it more humane.
For me it is not about implementing, the vision of a unified Europe overnight. Of course that is not realistic. But it should be undisputed that the wish for stronger trust between the European peoples must be the founding principle for all political decisions. Each political speech that fuels xenophobia, each decision that emphasizes the differences between the nations, each draft bill that caters to lobbyists more than it does to the people, is offending this superior vision.

I still believe in the vision of a unified and cosmopolitan Europe. Not because I believe that we are making good progress towards that vision. No. I even fear, that we are currently destroying a lot of the existing trust. Still I do believe strongly that people are able to overcome constraints – in their thoughts as well as in action. And I say that not just based on mere hope, but because I have experienced it myself. Experience teaches us that people get along with each other when they have enough will and patience. We should muster both, in the political realm as well as in our private lifes. Our actions should always be based on an optimistic and constructive attitude, true to the motto: if there is a probem we will search for a solution until we have found it. And if we do not find a solution that is not because there is none, but because we have not searched for it thoroughly enough.

It might sound exhausting. Yet nothing is more motivating than a grand political vision that promises peace and humaneness and that itself is only a prelude to an even grander vision: world peace.

And that is why I believe in Europe.

An die Menschen Europas

English translation below

Liebe Menschen in Europa,

ich bin im Jahr 1989 in Deutschland geboren – in jenem Jahr, als die Berliner Mauer fiel. Der Gedanke an eine innerdeutsche Grenze mit Schießbefehlen erschien mir schon immer irreal. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wie man auch nur auf die Idee kommen kann, eine Mauer durchs Land zu ziehen und Menschen ihrer Reisefreiheit zu berauben. Und es ist gut, dass ich, wie so viele andere aus meiner Generation, mir das kaum vorstellen kann. Denn eine Grenze, die ich für unvorstellbar halte, werde ich nie ziehen.
So geht es mir auch mit Europa. Ich bin in dem festen Vertrauen auf ein geeintes Europa aufgewachsen. Ich konnte in meiner Jugend quer durch die EU reisen, ohne auch nur ein Visum zu beantragen. Das war toll. Und in den meisten Ländern musste ich nicht einmal mehr Geld umtauschen.

Unabhängig davon, dass es bei der Gründung der Währungsunion sicher einige Fehler gab – der Euro hat eindeutig dazu beigetragen, dass sich die innereuropäischen Grenzen für mich noch unwichtiger anfühlten. Ich habe deshalb jahrelang geglaubt, dass der Frieden in Europa durch die Menschen meiner Generation immer stärker würde. Ich war wirklich überzeugt, dass eine Generation, die manche Mauern zwischen den Nationen nie kennen gelernt hat, auch keine neuen Mauern errichten würde. Ich war optimistisch, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus — langfristig betrachtet — auf dem Rückzug wären. Zumindest in Europa.
Heute bezweifle ich das. Ich habe Angst davor, dass auch meine Generation wieder anfängt, neue Grenzen in Europa zu ziehen. Und das, obwohl sie theoretisch unter besseren politischen Bedingungen aufgewachsen ist als die Generation zuvor. Unser Weltbild ist nicht von zwei großen politischen Blöcken geprägt, die sich feindselig gegenüberstehen. Wir sind keine Kinder des Kalten Krieges. Wir denken immer häufiger europäisch, weniger national. Es ist für uns selbstverständlich geworden, uns innerhalb der EU frei zu bewegen. Und wir werden skeptisch, wenn sich dieses so friedens- und freiheitsliebende Europa gewalttätig nach außen abschottet.

Wir habe jedoch ein Problem: Uns fehlt Macht. Unser Denken, das auf Dauer die letzten Grenzen überwinden könnte, gibt nicht den Ton an. Denn in Europas Parlamenten und Verlagshäusern sitzt nach wie vor eine einflussreiche Riege an Leuten, die alles tut, um ihre Macht zu erhalten. Für sie gibt es Allianzen, aber keine Solidarität. Und diese Leute werden das nationalistische Gift weiterhin unters Volk mischen, wenn es ihnen nutzt. Sie werden auch in Zukunft ihre ekelhaften Äußerungen über „die Deutschen“, „die Rumänen“ oder auch „die Griechen“ von sich geben. Sie werden weiterhin die Grenzen zwischen den Nationen betonen und gleichzeitig die Fronten zwischen wachsender Armut und ansteigendem Reichtum verschweigen. Eigentlich sind diese Leute aus der Zeit gefallen, weil sie für ein Weltbild und ein Europa stehen, das ausgrenzt, statt zu integrieren. Aber tragischerweise kleben sie an den Sesseln der Macht und bestimmen den politischen Kurs.
Mir macht das Angst. Ich befürchte, dass diese Menschen es schaffen könnten, auch in den Köpfen meiner Generation Grenzen hochzuziehen. Grenzen, die wir bisher nicht kannten. Grenzen, von denen ich lange glaubte, sie würden seit dem Jahr meiner Geburt konsequent abgebaut.

Liebe Menschen Europas, wir tragen eine riesige Verantwortung für diesen Kontinent. Wir dürfen ihn nicht denjenigen überlassen, die ihn spalten. Diese Leute haben sich einem Weltbild verschrieben, das keine Zukunft hat. Wir müssen resistent bleiben gegenüber ihren bösartigen, klischeebeladenen und kleingeistigen Reden. Und liebe europäische Jugend – bewahrt Euch den Glauben an ein weltoffenes, solidarisches und grenzfreies Europa. An ein Europa, das in erster Linie der Demokratie und nicht den Märkten dient. Denn im Moment mag die Macht zwar noch in den Händen einer Elite liegen, die in alten, verkommenen Grenzen denkt. Aber eines Tages werden diese Leute nicht mehr an der Macht sein. Die Geschichtsschreibung wird sie auf Dauer als Verräter an der europäischen Idee brandmarken. Zumindest dann, wenn wir stark bleiben, und weiterhin für die Utopie eines geeinten und friedlichen Europas kämpfen.

Ich bin 1989 in Deutschland geboren – in jenem Jahr, als die Berliner Mauer fiel. Ich glaube an Europa. Und ich glaube fest daran, dass meine Generation und ihre Kinder in der Lage sein werden, die Grenzen auf diesem Kontinent mehr und mehr zu überwinden.
Und all denen, die nicht so denken und die stattdessen spaltende, nationalistische Parolen schwingen, sei gesagt: Macht ruhig weiter so, wir bleiben davon unbeeindruckt. Ihr gebt ein armseliges und abschreckendes Bild ab, das unsere friedlichen Überzeugungen nur noch weiter stärkt. Zwar mögen unsere Ziele manchmal naiv und wenig konkret erscheinen – aber durch Euer Verhalten auf dem politischen und medialen Parkett gebt Ihr uns immer wieder neuen Auftrieb. Denn wir werden alles daran setzen, niemals zu werden wie Ihr. Eure Vorstellungen von Europa sind ein Verrat an der europäischen Idee und sie sind es nicht wert, Euch auch nur einen Tag zu überleben.

Michael Feindler 2015


English version

To the People of Europe

(with special thanks to Alexandra Baum, Armin Eichhorn, Anna Lu, Ramona Raabe and Samuel Thiel for translating)

Dear people of Europe,

I was born in 1989 in Germany – the very same year the Berlin Wall went down. The ideas of inner-german borders and a death zone have always appeared surreal to me. It is very difficult even to imagine the concept of constructing a wall which would divide a country and take away the people’s right to travel freely. And it is good that I, as so many others of my generation, can barely imagine this. Because I will never draw a border which I won’t imagine first.
It goes the same with Europe. I grew up with strong confidence in a united Europe. In my youth I was able to travel throughout Europe without applying for a single visa. That was amazing. In most countries I didn’t even have to exchange currency.

Despite a few mistakes which were certainly made in the process of realizing monetary union — the Euro clearly contributed to my impression that inner-european borders had become less important. For this reason I believed for years that peace in Europe would be continually strengthened by people of my generation. I was truly convinced that a generation, which had never encountered some of the walls that formerly existed between nations, would never construct new walls. I was optimistic that hostility towards strangers and racism in any form would finally be in regression. At least in Europe.

I doubt this today. Even though we grew up in better political circumstances than the former generation, I fear that my generation too, will begin to create new borders in Europe. Our understanding of the world was not defined by the hostility of two great political powers. We are not children of the cold war. We tend to think increasingly as europeans, and less as citizens of a particular country. It has become natural matter to move freely within the European Union. However, we become skeptical when this liberty and peace loving Europe begins to forcefully seal itself off.

Our problem is lack of power. Our beliefs may transcend borders in the long run — but in the present, they have no major impact. The reason why is found in Europe’s ruling bodies and publishing houses where a highly influential circle of people do anything to maintain power. They understand the concept of alliances but not of solidarity. If it is to their advantage, they will continually spread nationalist poison among the people. They will continue to declare their populist views about „the Germans“, „the Romanians“ or „the Greeks“, and they will emphasize the differences between nations. Yet, they remain silent about increasing inequality. These people are representative of a dated world view that chooses segregation over integration. And tragically, it is they who decide the political agenda.
This frightens me. I am concerned that they are able to install borders in the minds of my generation, borders we have never experienced, borders which I believed to have been dismantled since the year of my birth.

Dear citizens of Europe, we all have an enormous responsibility for our continent. We must not give it over to those who would divide it. These people have devoted themselves to an ideology that has no future. We must refute their malicious, biased and small-minded discourse.
My dear young Europeans – keep believing in a liberal and unified Europe – a Europe that has no borders. Believe in a Europe that first serves democracy and not markets. At present it may seem that power lies in the hands of an elite that believes in historical and obsolete boundaries. But one day these people will no longer be in power. In the long run history will brand them as traitors to European ideology – and we must stay strong and fight for the Utopia of a united and peaceful Europe.

I was born in Germany in 1989 — the year the Berlin wall came down. I believe in Europe. And I strongly believe that my generation, and that of our children, will finally be able to erase the borders within this continent.
And to all those who do not believe this, to all who prefer shouting divisive, nationalistic slogans, I say: continue if you like — we remain unfazed. You are both pathetic and repellent and your words only fuel our peaceful convictions. While our goals might at times seem naive and inchoate, your behaviour on the political and medial stage continues to motivate us. We will do our utmost never to become like you. Your notion of Europe is a betrayal of the ideal of Europe itself. Your ideas are not noble enough to outlive you by even one day.

Die Konstruktivität des Neins

Man sagt uns nach, wir seien bloß dagegen
und unser <em>Nein</em> sei destruktiv und stur,
wir stünden ganz allein auf weiter Flur
und würden weder Welt noch uns bewegen.

Es heißt, wir würden damit nichts erreichen.
Bloß „nein“ zu sagen, sei kein Schritt nach vorn.
Wir seien blind – genau wie unser Zorn –
und sähen nicht die Zeit und ihre Zeichen.

Das ist ein Vorwurf, über den wir heute
erhaben sind, wobei wir nicht versteh’n,
wie Ihr noch glauben könnt, ein <em>Ja</em> bedeute,
es werde zwingend schneller vorwärts geh’n.

Ein <em>Ja</em> kann auch ein <em>Ja</em> zum Stillstand sein,
das lähmt und aus Bequemlichkeit verdrängt.
Im Gegensatz zu diesem wird im <em>Nein</em>
der Blick auf einen andern Blick gelenkt,

der neu ist und mit großer Angst verbunden
vor dem, was einem <em>Ja</em> noch nicht vertraut.
Den Fortschritt hat ein „Nein“ zwar nicht erfunden,
doch hat es ihn schon oft mit aufgebaut,

indem es alten <em>Ja</em>s den Platz verwehrte
und eine neue Perspektive bot,
grad weil es nie den Platz vom <em>Ja</em> begehrte —
auf diese Weise war es nie devot.

Ein starkes Nein will mehr als nur verweigern.
Es ist ein Anfang, der zum Ziele hat,
das <em>Nein</em> zu einem neuen <em>Ja</em> zu steigern,
vom unbeschriebenen zum vollen Blatt.

Ist unser neues <em>Ja</em> dann von Bestand?
Wir bilden uns mal lieber nichts drauf ein.
Denn eines Tages – das ist schon bekannt –
ertönt von irgendwo ein lautes Nein.

Michael Feindler 2015

Vom Sieg der Dummen

Ein Dummer bleibt ja nicht der Dumme,
kann er am Ende triumphieren.
Drum hat der Dumme in der Summe
im Kampf das meiste zu verlieren.

Wenn auch der Kluge unterliegt –
moralisch bleibt ihm der Gewinn.
Der Dumme hat nur dann gesiegt,
gibt er der Dummheit einen Sinn,

indem er diese unentwegt
als platte Phrasen fleißig pflegt,
in Glaubenssätzen niederlegt,
und weit in die Gesellschaft trägt.

Wir haben Geld und somit Macht
und schmieden aus den Glaubenssätzen
die Waffen für die letzte Schlacht
in Form von eisernen Gesetzen.

Wir legen fest, statt zu erklären.
Ihr habt noch immer nicht begriffen:
Ihr könnt Euch mit Vernunft nicht wehren,
und sei’n die Worte auch geschliffen.

Wir brauchen keine Fantasie,
um einzuseh’n: Ihr seid im Recht.
Laut sagen würden wir das nie,
seid Ihr noch nicht im Kern geschwächt.

Wir halten Eure Haltung klein
mit unserm dumm verdienten Geld.
Wem liegt schon dran, im Recht zu sein,
solange er nur Recht behält?

Michael Feindler 2015

Euch fremd

Kontrolle, die Ihr niemals hattet,
bleibt Illusion für alle Zeit.
Von Euren Ängsten überschattet,
erreicht Ihr keine Sicherheit.

Denn diese lässt sich nicht gewinnen,
indem Ihr gegen Fremdes hetzt,
statt dass Ihr Euch damit bei Sinnen
in Ruhe auseinandersetzt.

Nur wer das Fremde wirklich kennt –
das heißt, es wahrnimmt, nachvollzieht
und mit Respekt beim Namen nennt –,
wird merken, dass er klarer sieht.

Und alles, was Ihr nicht versteht,
erhöht in Euch die Angst davor.
(Doch ist der Hinweis obsolet,
leiht Ihr Bekanntem bloß ein Ohr.)

Im Grunde sind wir alle gleich:
Wie jeder Mensch es in sich trägt,
tragt Ihr das Fremde auch in Euch.
Ihr habt es nur nicht ausgeprägt.

So habt Ihr viele fremde Seiten,
die Euch – obwohl Ihr sie grad hemmt –
verkümmert und beschränkt begleiten.
Letztendlich seid Ihr selbst Euch fremd.

Michael Feindler 2015

Erzieher verdienen mehr – wie soll das denn funktionieren?

Ja, natürlich fordern die Erzieherinnen mehr Geld. Würde ich an deren Stelle auch. Aber wie soll das denn strukturell funktionieren? Das Geld ist einfach nicht da. Glaubt Ihr, so ein kommunaler Kassenwart hat Spaß daran, den Erziehern Gehaltserhöhungen zu verweigern? Bei dem Thema kann man doch wirklich jeden fragen – ich habe bisher niemanden gehört, der mir erzählt hätte, Erzieherinnen würden genug verdienen. Es ist auch allen klar, dass die einen wichtigen Job machen und viel Verantwortung tragen. Aber wie soll das bezahlt werden? Irgendwie scheint sich niemand zu trauen, das Problem endlich konsequenter anzugehen. Es gäbe nämlich eine politische Lösung: die Kinderbetreuung dürfte nicht länger in der Hand der Kommunen liegen. Sie dürfte überhaupt nicht mehr in staatlicher Hand liegen. Wir haben hier in Deutschland vor Jahren den Fehler gemacht, den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, ohne bei den sozialen Einrichtungen ähnlich konsequent zu sein. Auf einem freien Markt wäre das Problem der Gehälter für Erzieher längst gelöst. Einfaches Prinzip von Angebot und Nachfrage: Das Angebot an Kindergärten ist begrenzt, die Nachfrage steigt bereits seit Jahren, die Kunden – also in diesem Fall die Eltern – konkurrieren um freie Betreuungsplätze – und zack – würden auf einem freien Markt automatisch die Preise für die Betreuung steigen. Und im Anschluss könnten höhere Gehälter für Erzieherinnen gezahlt werden. So leicht wäre das.
Aber im Moment traut sich niemand an diese Lösung heran. Verstehe ich nicht. Dass man da so Hemmungen hat. Wir sind doch sonst nicht so gehemmt, wenn es um Liberalisierungen geht. Ob bei der Arbeit oder beim Handel. Wir haben viel mehr Probleme damit, wenn ein kärglicher Mindestlohn eingeführt werden soll – für den es auch noch massenhaft Ausnahmen gibt. Unterhaltet Euch doch mal mit einem selbstständigen Subunternehmer darüber, was der so verdient. Der ist ja nicht wirklich Unternehmer – der ist vor allem „sub“. Und man kam ihm nur wünschen, dass er kein Latinum hat und stattdessen lieber der romantisch-verklärten Vorstellung nachhängt, die Vorsilbe „sub“ sei von der wärmenden Suppenküche abgeleitet.
Aber jetzt mal angenommen, der Vati trägt als Subunternehmer Pakete aus – der kann davon keine Familie ernähren. Dann ist es ganz normal, dass die Mutti ebenfalls in Vollzeit arbeiten muss. Und natürlich braucht das Kind dann einen Betreuungsplatz.
Schlussendlich haben wir durch die Lohnentwicklung der vergangenen Jahre selbst für den steigenden Bedarf an KiTa-Plätzen gesorgt. Es bleibt jedoch die Frage: Wenn wir uns immer wieder selbst darin bestätigen, dass die Liberalisierung des Arbeitsmarktes wirtschaftlich richtig war und dass Deutschland gerade deswegen gut in Europa dasteht – warum sind wir bei der Liberalisierung des Kindergarten-Marktes so zurückhaltend? Verstehe ich nicht. Die Erzieher würden es uns danken. Es gäbe mit Sicherheit satte Gehaltserhöhungen,
Und wenn jetzt der Einwand kommt, manche Familien könnten sich die Betreuungsplätze auf einem liberalisierten Kindergarten-Markt nicht mehr leisten, kann man konsequenterweise nur sagen: Das ist dann eben so. Es muss jeder Mensch selbst wissen, ob er unbedingt Kinder großziehen will. Für eine solche Entscheidung ist doch nicht die Gesellschaft verantwortlich. Wir leben in einem freien Land, in dem sich jeder selbst überlegen darf, wie er mit den Sachzwängen am besten klarkommt.

Das ändert selbstverständlich nichts daran, dass ein Subunternehmer mit Latinum das Gefühl bekommt, der exzessive Gebrauch des Wortes „liberal“ sei in solchen Zusammenhängen zynisch. Erst recht, wenn es nicht bloß um Arbeit und Löhne geht, sondern um Kinder und die Zukunft unserer Gesellschaft. Natürlich täte eine Liberalisierung des Kindergarten-Marktes vielen Menschen weh. Keine Frage. Aber es wäre mit Sicherheit nicht so schmerzhaft wie das offene Eingeständnis, dass wir politisch nicht bereit waren und sind, die Leistungen von Erzieherinnen und Erziehern, die an einer Schlüsselstelle der gesellschaftlichen Entwicklung sitzen, so anzuerkennen und zu würdigen, wie diese Menschen es verdienten.

Michael Feindler 2015

Ich habe nichts gegen Menschen mit Vorurteilen, aber …

Ob ich was gegen Menschen mit Vorurteilen habe? Ich? Nein. Das würde ich mir nie anmaßen. Wir leben doch in einem freien Land. Und selbst wenn das Land nicht frei wäre, dann wären immer noch die Gedanken frei – und ich kann doch niemandem die Qualität seiner Gedanken vorschreiben. Oder das Tempo, in dem er Gedanken fasst. Manche Menschen denken eben langsamer, andere schnell, wieder andere etwas vorschnell. Soll doch jeder so machen, wie er am besten mitkommt. Ich kann nur wiederholen: Ich habe wirklich nichts gegen Menschen mit Vorurteilen. Ich will die halt nur nicht bei mir in der Straße wohnen haben. Wir leben hier in einem multikulturellen, aufgeklärten Stadtteil – da passen diese Leute einfach nicht rein. Wenn bei denen wenigstens ansatzweise so was wie Integrationswille zu spüren wäre. Aber Fehlanzeige. Die gründen in unserem Viertel einen Stammtisch nach dem anderen, bauen ihre Parallelgesellschaft auf und wir müssen schauen, wo wir mit unserem Wertesystem bleiben. Ich kann ja noch nicht einmal normal mit diesen Leuten reden. Geschweige denn logisch nachvollziehbare Argumente austauschen. Das ist in deren Kulturkreis auch gar nicht vorgesehen. Aggressionen haben da noch einen ganz anderen Stellenwert. Und das ist ja auch okay und ich will niemandem irgendwelche Vorschriften machen, wie er sich zu verhalten hat. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich das in meinem Umfeld tolerieren muss. Vor allem, wenn sich diese Leute auch noch vermehren. Also, ich werde meine Kinder bestimmt nicht auf die Privatschule um die Ecke schicken. Man hört regelmäßig Geschichten, wie es dort abläuft: Das Sozialverhalten bleibt in den Klassen seit Jahren auf der Strecke. Wir müssen da auch an die Zukunft unserer Gesellschaft denken. Auf Dauer können wir uns das nicht leisten. Das heißt nicht, dass ich etwas gegen Menschen mit Vorurteilen habe, aber …

Michael Feindler 2015

Verschwendung

Europa, was für eine Schande!
Es ist doch nicht mit anzusehen,
wie Flüchtlingsboote hier am Rande
des Kontinentes untergehen.

Zu helfen, wäre längst geboten!
Es wäre nämlich schlicht verkehrt
zu sagen, viele dieser Toten
wär’n lebend ebenfalls nichts wert.

Erst recht aus Unternehmersicht
sind diese Opfer nur Verschwendung!
Die Rettung wäre daher Pflicht:
Wir haben ganz gewiss Verwendung

für jene, die befürchten müssen,
sie würden auf dem Meer begraben.
Die werden uns die Füße küssen,
sobald wir sie gerettet haben!

Es wäre damit viel gewonnen,
wie jeder sich schon denken kann:
Denn wer dem Tode grad entronnen,
nimmt jede Art von Arbeit an.

Dann könnten wir den Beinah-Leichen
die schlimmsten Niedriglöhne zahlen.
Es würde ihnen trotzdem reichen,
vermutlich würden sie noch strahlen,

aufgrund des Glückes, hier zu sein.
Europa würde dadurch schöner
und ließe Flüchtlinge herein
als lebensfrohe Billiglöhner.

Michael Feindler 2014

Freiheit durch Kontrolle

Wer den Menschen erzählt, sie würden von ihren Geheimdiensten ausspioniert, gefährdet damit nicht bloß die innere Sicherheit, wie wir längst wissen. So jemand gefährdet einen Grundpfeiler unserer Demokratie: die Freiheit! Und frei ist nicht etwa derjenige, der tun kann, was er will, sondern wer wollen kann, was er tun soll. Denn Freiheit darf es in einer Demokratie nie ohne Verantwortung geben. Und Verantwortung ist bekanntlich eine Sache der Erziehung. Wenn Geheimdienste Ihre Bürgerinnen und Bürger bespitzeln, handelt es sich dabei um nichts anderes als eine gut gemeinte Erziehungsmaßnahme. Wer hätte denn früher regelmäßig seine Hausaufgaben gemacht, wenn keine schlechten Schulnoten gedroht hätten? Welches Kind würde freiwillig sein Zimmer aufräumen, wenn es nicht den Liebesentzug der Eltern fürchtete? Klar, ist das eine subtile Form von Gewalt. Aber eine gut gemeinte. Denn wer kontrolliert wird, wird sich seiner Verantwortung bewusst. Kontrolle verhindert schlechte Gewohnheiten.
Einfaches Beispiel: Wenn ich täglich vor dem Rechner hocke und Fast Food in mich reinstopfe, ist das gegenüber mir selbst verantwortungslos. Wenn ich aber weiß, dass meine Laptopkamera mein Verhalten mitfilmt und das Risiko besteht, dass die Bilder mit dem ungesunden Fraß eines Tages bei meiner Krankenversicherung landen, esse ich künftig eben nicht mehr vor dem Rechner. Oder andere Situation: Mal angenommen, ich plane eine Behörde in die Luft zu sprengen. Rein hypothetisch. Solange ich mich über das Internet kontrolliert fühle, werde ich den Sprengstoff bestimmt nicht bei einem ausbeuterischen Logistikunternehmen bestellen. Stattdessen werde ich diese schlechte Angewohnheit ablegen und zum lokalen Waffenhändler meines Vertrauens gehen. Regionale Produkte fördern.
Erst dann, wenn mich die Erziehung durch Kontrolle zu einem verantwortungsvolleren Menschen gemacht hat, werde ich die Freiheit wirklich zu schätzen wissen.

Michael Feindler 2015

Am Ende

Ich wusste, dass das Ende kommen würde,
doch nahm mir dieses Wissen nicht die Angst.
Momentaufnahmen sind die größte Hürde,
wenn du Momenten so viel Glück verdankst.

Ich hätte gerne rational beschlossen,
wann mir das Ende recht und passend wär.
Es klappte nicht, die Tränen sind geflossen.
Der Abschied fiel mir wie erwartet schwer.

Ich hab nicht um Bestätigung gebeten,
doch war die Angst davor nicht ohne Grund.
Was ich befürchtete, ist eingetreten.
Ist wohl Voraussicht dauerhaft gesund?

Scheut, wer das Ende fürchtet, den Beginn,
weil alles, was entsteht, vergehen muss?
Nicht unbedingt. Ich weiß nur eins: Ich bin
ganz gerne kontrollierend. Bis zum Schluss.

So hätte ich am liebsten laut gesagt:
„Ich brauche noch ein kleines Bisschen Zeit!“
Doch später hätte ich mich selbst gefragt:
Bin ich für dieses Ende je bereit?

Michael Feindler 2009