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Monat: August 2015

Die Freiheit, die wir meinen

Die Freiheit, die wir Euch einst gaben,
habt Ihr genutzt und ausgebaut.
Doch was wir Euch gegeben haben,
habt Ihr mit aller Kraft versaut!

Ihr habt uns nie Respekt gezollt!
Ihr glaubtet nämlich, Freiheit hieße,
Ihr könntet machen, was Ihr wollt –
als ob man nie an Grenzen stieße.

Jetzt fragt Ihr wieder ganz empört,
warum wir plötzlich Grenzen ziehen.
Ihr dürftet ja, wenn Euch das stört,
aus diesen freien Räumen fliehen.

Doch wagt Ihr sicher nicht den Bruch
mit uns, die Euch die Freiheit schenken,
und akzeptiert den Widerspruch,
dass wir Euch ab und zu beschränken.

Wir wollen Freiheit kontrollieren,
damit man keinesfalls vergisst,
dass wir noch immer definieren,
was Freiheit darf und soll und ist.

Michael Feindler 2015

Mehr Merkel wagen!

Eine Polemik zwischen Satire und Ernst.

Es sind keine leichten Zeiten für SPD-Anhänger. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Parteifunktionär eine Äußerung vom Stapel lässt, die soziale Grundwerte der Partei in Frage stellt. Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundes-SPD und der Union scheint es kaum mehr zu geben: Der Vizekanzler winkt das Freihandelsabkommen TTIP durch, der Justizminister schreitet nicht ein, wenn gegen ein investigatives Weblog wegen Landesverrats ermittelt wird und ein Ministerpräsident äußert freimütig, man könne auf einen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl ruhig verzichten, denn Angela Merkel mache das doch „ganz ausgezeichnet“. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD in Umfragen weitere Prozentpunkte einbüßen und die CDU/CSU-Fraktion in zwei Jahren die absolute Mehrheit im Bundestag erhalten wird. Das kann man mit Schrecken lesen – oder als Hoffnungsschimmer begreifen. Denn möglicherweise ist „mehr Merkel“ nicht das Problem, sondern die einzige realistische Lösung für die Rückbesinnung von SPD und Grünen auf eine wirklich soziale Politik.

Der Rückhalt der Bundeskanzlerin in der Bevölkerung scheint ungebrochen. In Umfragen erhält die CDU/CSU-Fraktion regelmäßig stabile Werte über 40 Prozent. Die SPD hingegen dümpelt bei etwas über 20 Prozent herum, während Linke und Grüne bei Werten um die zehn Prozent landen. AfD und FDP kämen, laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend, nach wie vor nicht oder nur knapp in den Bundestag. Eine absolute Mehrheit für Schwarz rückt in greifbare Nähe. Dabei ist es vor allem der Popularität Angela Merkels zu verdanken, dass die Union in den vergangenen zehn Jahren keine Prozentpunkte eingebüßt, sondern in Umfragen sogar noch zugelegt hat. Über die Parteigrenzen hinweg genießt die Kanzlerin das Ansehen der besonnenen, abwägenden Politikerin, die auch klare Kante zeigen kann, wenn es (angeblich) darauf ankommt. Wenn sie persönlich keine harte Linie vorgibt, so lässt sie immerhin diejenigen aus ihrer Fraktion unbehelligt agieren, die sich gerne eines aggressiveren und durchgreifenden Vokabulars bedienen. Insbesondere das Duo Merkel-Schäuble hat mit dieser Strategie Erflog.

Aber das System Merkel funktioniert nicht allein durch die Art, wie die Bundeskanzlerin auftritt. Es fußt vor allem darauf, dass sie es schafft, dem Wahlvolk das Gefühl zu vermitteln, sie mache die bestmögliche Politik für dieses Land – und zwar „bestmöglich“ im Wortsinne: Sie gibt vor, im Rahmen der politischen Möglichkeiten ihr Bestes zu tun. Auf die Weise ist sie längst zur Verkörperung der Alternativlosigkeit geworden, von der sie seit Beginn ihrer Amtszeit wiederholt gesprochen hat.

Nun kann man natürlich behaupten, dass auch eine Angela Merkel so viel von Alternativlosigkeiten reden kann wie sie will – letztendlich müsste sie über demokratische Grundregeln stolpern. Denn die besagen, dass unser Parteiensystem auf einen Wettbewerb von Ideen ausgerichtet ist, in dem unterschiedliche politische Konzepte miteinander konkurrieren und es so etwas wie „Alternativlosigkeit“ deshalb gar nicht geben kann. Schließlich sollen Parteien in einer pluralistischen Gesellschaft die Haltungen zu politischen Themenkomplexen bündeln, um einen repräsentativen Diskurs zu führen, der zur Meinungsbildung der Wählerinnen und Wähler beiträgt. So sähe zumindest der Idealfall aus. Was aber, wenn sich ein Großteil der im Bundestag vertretenen Parteien diesem Ideenwettbewerb weitgehend verweigert?

Das ist nämlich der zweite – und vermutlich wichtigere – Punkt, weshalb das System Merkel funktioniert: Sowohl die SPD- als auch die Grünen-Fraktion bestätigen mit ihren Reden und ihrem Abstimmungsverhalten, dass die Bundeskanzlerin die bestmögliche Politik macht. Sie versuchen nicht einmal, der Union eine klar erkennbare Alternative entgegenzusetzen, und überlassen diese Aufgabe allein der Linkspartei. Was bei der SPD bereits armselig wirkt, aber wenigstens noch ein Stückweit nachvollziehbar ist, da sie einen Teil des Merkel-Kabinetts stellt, verkommt bei den Grünen endgültig zur Bankrotterklärung: Die Bundestagsfraktion scheint nicht ansatzweise ein Interesse daran zu haben, ein klares Oppositionsprofil zu entwickeln.

So haben sich die Anhänger von SPD und Grünen in den vergangenen Monaten manches von ihren Parteispitzen anhören müssen, was vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Vorratsdatenspeicherung, Tarifeinheitsgesetz und herablassende Äußerungen gegenüber der griechischen Syriza-Regierung sind nur drei Stichworte, die die kritische Basis der SPD zusammenzucken lassen, während sich die Jugendorganisation der Grünen weiterhin gegen die Aussage wehren muss, ihre Mutterpartei sei angeblich nie pazifistisch gewesen. Die Bundesvorstände von SPD und Grünen bleiben weiterhin fest in den Händen derjenigen, die sich kooperationswillig gegenüber der Union zeigen. Gedankenspiele zu einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene bleiben genau das: Gedankenspiele. An den Parteispitzen ist der Wille zum politischen Kurswechsel nicht erkennbar. Wozu auch? Die SPD hat es sich mit ihren Ministern in der großen Koalition bequem eingerichtet und die Grünen liebäugeln bereits mit einem schwarz-grünen Bündnis. Es scheint in beiden Parteien Konsens zu sein, dass man die Union braucht, um Regierungsverantwortung zu übernehmen. Anders lässt sich die permanente Anbiederung an den Merkel-Kurs nicht erklären. Es geht also wieder einmal ganz plump um Machterhalt bzw. im Falle der Grünen um eine Machtoption bei der nächsten Bundestagswahl.

Genau dort können und sollten wir ansetzen, wenn wir die Politik in diesem Land langfristig verändern wollen: Wir müssen SPD und Grüne jeder Machtoption auf Bundesebene berauben. Denn erst die Erkenntnis, dass Angela Merkel keinen Koalitionspartner mehr zum Regieren benötigt, wird zu einem Umdenken innerhalb der beiden Parteien führen. Wir müssen SPD und Grüne de facto in die Opposition zwingen – und zwar in eine Opposition, in der eine Machtoption nur dann wieder besteht, wenn man sich als überzeugende Alternative zur Union präsentiert.
Wer jetzt noch auf ein Aufbegehren der linken Flügel und einen Umsturz an den derzeitigen Spitzen hofft, überschätzt sowohl die Basis der SPD als auch die der Grünen. Möglichkeiten zu innerparteilichen Veränderungen hätte es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Darauf würde ich ehrlich gesagt nicht mehr setzen. Und selbst wenn es in einer der beiden Parteien gelingen würde, den politischen Kurs zu ändern: Was wäre damit gewonnen? Solange auch nur eine Partei als williger Koalitionspartner für Angela Merkel bereitstünde, bliebe die Ausgangslage die gleiche. Deshalb – und ich möchte betonen, dass es meinen politischen Überzeugungen zutiefst widerspricht, diese Empfehlung abzugeben – sollten alle, die langfristig an einer politischen Alternative interessiert sind, daran mitwirken, der Union bei der nächsten Bundestagswahl zur absoluten Mehrheit zu verhelfen.

Kritiker dieser Idee mögen jetzt einwerfen, dass der Preis, nämlich vier Jahre Angela Merkel ohne Koalitionspartner durchregieren zu lassen, viel zu hoch dafür wäre. Wäre es da nicht erträglicher, entweder die SPD oder die Grünen als minimales Korrektiv mit in der Regierung sitzen zu haben? Dieses Argument zieht aus zwei Gründen nicht:
Zum einen hat die SPD seit der Agenda 2010 so ziemlich jeden ihrer sozialen Werte verraten und eine Politik zugunsten einer finanziell gut ausgestatteten Wählerschicht betrieben, wie man das sonst nur von der Union kannte. Den kärglichen Mindestlohn von 8,50 Euro mit seinen ganzen Ausnahmen als großen Erfolg der SPD zu feiern, ist eindeutig Schönfärberei und kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie die Partei gerade mit dem Beschluss des Tarifeinheitsgesetzes gegen Gewerkschafter agiert hat, deren Interessen sie früher entschieden vertrat. Die Grünen sind für Menschen, die aus der Friedensbewegung kommen, eine einzige Enttäuschung. Zudem sollte bedacht werden, dass auch diese Partei die Agenda 2010 als Teil der damaligen Regierung mitgetragen und sich nie klar davon distanziert hat. Eine politische Alternative sieht anders aus.
Das zweite Argument, das ich gegen meine Kritiker ins Feld führen möchte, lautet: Merkel wird es mit einer absoluten Mehrheit nicht gelingen, wichtige politische Beschlüsse widerstandslos durchs Parlament zu bekommen. Es dürfte für sie voraussichtlich sogar schwieriger werden als zu Zeiten der großen Koalition. Denn der Bundesrat wird bereits heute von SPD, Grünen und Linken dominiert. Dass diese Dominanz mit einer schwarzen Regierung auf Bundesebene endet, ist höchst unwahrscheinlich. Jahrzehntelange Erfahrungen aus den Bundestagswahlen belegen den Trend, dass der Stimmenanteil der Parteien, die auf Bundesebene in der Opposition sind, im Bundesrat mit fortschreitender Regierungszeit weiter ansteigt. Viele Gesetzesvorhaben von Merkel könnten damit blockiert werden – und zwar von einer Opposition, die diesen Namen auch verdient.

Aus diesem Grund sollten alle Bürgerinnen und Bürger, die langfristig an einer linken politischen Alternative in Deutschland interessiert sind, ernsthaft in Erwägung ziehen, bei der kommenden Bundestagswahl Angela Merkel zu unterstützen und der Union zur absoluten Mehrheit zu verhelfen: Denn nur so werden SPD und Grüne gezwungen sein, ein klares Profil als Oppositionsparteien zu entwickeln. Nur so wird der Leidensdruck auf die Parteimitglieder soweit ansteigen, dass ein Sturz der jetzigen Parteispitzen unabwendbar wird. Und nur so werden sich SPD und Grüne wieder als politische Alternative zum Merkel-Kurs präsentieren. Dann werden wir im Deutschen Bundestag endlich wieder eine starke Opposition haben, bestehend aus drei Parteien, die darauf warten, die Union bei der Wahl darauf in ihrer Regierungsverantwortung abzulösen. Wann immer wir also in den kommenden Tagen Umfragen lesen, nach denen Angela Merkel mit ihrer Union die absolute Mehrheit erhielte – lasst es uns als Chance begreifen! Wir sollten mehr Merkel wagen! Denn mehr Merkel bedeutet auch mehr Opposition!

Michael Feindler 2015

Von der Relevanz des Nischendaseins

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Vereins „Was bildet ihr uns ein?“

Unter der Überschrift „Deutschland braucht mehr Expertise“ kommentierte Jarina Kajafa in der taz vom 24.07.2015 das bevorstehende Aus des Ukrainistik-Lehrstuhls an der Universität Greifswald. Michael Feindler unterstützt ihr Anliegen, den Lehrstuhl zu erhalten, findet jedoch, dass die Argumentation zu kurz greift.

„Seit einem Jahr tobt mitten in Europa ein Krieg“, beginnt Jarina Kajafa ihren Kommentar. „Jeden Tag sterben in der Ukraine Menschen. Auch die Sprachlosigkeit des Westens ist dafür verantwortlich.“ Von dieser politischen Sprachlosigkeit spannt sie den Bogen zur – bald wörtlich zu nehmenden – Sprachlosigkeit am Lehrstuhl für Ukrainistik in Greifswald. Die Professur an der philosophischen Fakultät steht auf der Kippe. Grund dafür sind „Sparzwänge“, wie es aus dem Dekanat heißt. Zwar soll die Professur nicht gleich endgültig gestrichen werden, doch allen Beteiligten dürfte klar sein, was es bedeutet, wenn sie zunächst für zehn Jahre auf Eis gelegt wird, wie es ein erster Beschluss vorsieht. Dass die Ukrainistik dann noch einmal ein Comeback in Greifswald feiern wird, darf zu Recht bezweifelt werden. Aber ist es bei der Verteidigung einer Professur sinnvoll, an erster Stelle die aktuelle politische Situation anzuführen? Oder sollte die Ukrainistik nicht vielmehr als Fallbeispiel für Nischenfächer im Allgemeinen gesehen werden, unabhängig von der akuten Relevanz?

Der Lehrstuhl ist der einzige seiner Art in ganz Deutschland. Damit gehört er zu den sogenannten „Orchideenfächern“, die kaum Studierende anziehen und seit Jahren in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohen. Gemessen an den Studierendenzahlen (Ukrainisch-Kurse finden oftmals mit weniger als zehn Teilnehmenden statt) wirkt die Ukrainistik tatsächlich wenig bedeutsam. Dabei hat sich der Lehrstuhl in den vergangenen Jahren über Deutschlands Grenzen hinaus einen guten Ruf erarbeitet – unter anderem durch die ukrainische Sommerschule, die Studierende und Wissenschaftler_innen aus den USA und Europa miteinander vernetzte. Daneben schätzen auch außerakademische Kreise die Ukrainistik in Greifswald. Sie ist längst zur Anlaufstelle für politische Initiativen sowie für Verlage auf der Suche nach Übersetzer_innen geworden. Das ändert jedoch nichts an der Außenseiterrolle der Ukrainistik innerhalb der philosophischen Fakultät.

Was rechtfertigt die Schließung eines Studiengangs?

Das Aus für den Lehrstuhl ist noch nicht final beschlossen. Denn zunächst hat ein Veto der Studierenden im Fakultätsrat die Entscheidung über die Zukunft der Ukrainistik bis zum Herbst aufschieben können. Dass sich bis dahin die Ausgangslage grundlegend ändert, ist fraglich. Vermutlich werden sich noch einige kritische Stimmen zu Wort melden, die – wie Jarina Kajafa in der taz – mit der politischen Krise und dem Krieg in der Ukraine argumentieren werden, um für den Erhalt der Ukrainistik an der Universität Greifswald zu plädieren. Aber diese Argumentation greift zu kurz. Was wäre denn, wenn die gesellschaftliche Lage in der Ukraine zur Zeit stabil wäre? Wenn sie in den vergangenen Monaten nicht zu den viel besprochenen Krisenherden innerhalb Europas gezählt hätte?

Im Umgang mit Orchideenfächern erliegt die universitäre Welt leider allzu häufig der kapitalistischen Verwertungslogik: Jedes Fach soll einen konkreten und vor allem messbaren Nutzen für die Gesellschaft haben. Ist das nicht der Fall, scheint es berechtigt, seine Existenz in Frage zu stellen.

Selbstverständlich zeugt es von wenig Fingerspitzengefühl, gerade jetzt die Professur für Ukrainistik in Greifswald auf Eis legen zu wollen. Trotzdem sollten die Kritiker_innen dieses Vorgangs vorsichtig sein, mit dem Hinweis auf die aktuelle politische Krise zu argumentieren. Denn das bedeutet im Umkehrschluss, dass es legitim wäre, weitere Orchideenfächer aus der Hochschullandschaft zu entfernen, deren Nutzen für Wissenschaft und Gesellschaft nicht sofort ersichtlich oder absehbar ist.

Kleine Fächer sind wichtig

Bildung aber gewinnt ihren Wert gerade in der Breite: Als Gesellschaft brauchen wir möglichst viele unterschiedliche Perspektiven auf die Welt, da jede Wissenschaft für sich allein genommen nur ein sehr beschränktes Bild von der Realität zeichnen kann. Erst die Vielfalt führt zu einem gewinnbringenden wissenschaftlichen Diskurs, indem Fehler, die durch eine begrenzte Sichtweise innerhalb einer einzelnen Wissenschaftsdisziplin entstehen, durch andere Aspekte und Ansätze relativiert werden können. Deshalb gilt es, jedes Nischenfach zu verteidigen, selbst wenn sich nur eine Handvoll Studierender und eine kleine Forschungscommunity dafür interessieren sollte. Nur so erhalten wir auf Dauer das, was sich Jarina Kajafa vom Erhalt der Ukrainistik an der Universität Greifswald erhofft: „klare Worte, wissenschaftliche Analyse, fachliche Kompetenz“.

Michael Feindler 2015