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Kategorie: Gedichte

Euch fremd

Kontrolle, die Ihr niemals hattet,
bleibt Illusion für alle Zeit.
Von Euren Ängsten überschattet,
erreicht Ihr keine Sicherheit.

Denn diese lässt sich nicht gewinnen,
indem Ihr gegen Fremdes hetzt,
statt dass Ihr Euch damit bei Sinnen
in Ruhe auseinandersetzt.

Nur wer das Fremde wirklich kennt –
das heißt, es wahrnimmt, nachvollzieht
und mit Respekt beim Namen nennt –,
wird merken, dass er klarer sieht.

Und alles, was Ihr nicht versteht,
erhöht in Euch die Angst davor.
(Doch ist der Hinweis obsolet,
leiht Ihr Bekanntem bloß ein Ohr.)

Im Grunde sind wir alle gleich:
Wie jeder Mensch es in sich trägt,
tragt Ihr das Fremde auch in Euch.
Ihr habt es nur nicht ausgeprägt.

So habt Ihr viele fremde Seiten,
die Euch – obwohl Ihr sie grad hemmt –
verkümmert und beschränkt begleiten.
Letztendlich seid Ihr selbst Euch fremd.

Michael Feindler 2015

Blick von oben

Hoch oben stehst Du auf der Leiter
und hältst Dich deshalb für gescheiter
als jene, die noch unten stehen.
Denn, dass Du Dich hinaufgeschwungen,
ist Dir aus eig’ner Kraft gelungen –
zumindest willst Du das so sehen.

Doch halte bitte einmal inne,
dann merkst Du: sämtliche Gewinne
an Höhe sind auf dieser Welt
nur dank der Menschenmasse möglich,
die fern und in der Nähe täglich
geduldig Deine Leiter hält.

Michael Feindler 2015

Impressionen zur fünften Jahreszeit

Heut zieht ein Zug durch alle Gassen,
die Menge feiert, singt und lacht,
so wie sie das nur selten macht.
Ein jeder hier wirkt ausgelassen!

Man schwimmt im Bad aus platten Witzen,
als stünden alle unter Drogen.
Der Stock ist aus dem Arsch gezogen –
so lässt es sich bequemer sitzen.

Die Hierarchien sind wie weg-
geblasen (nur noch eins ist da:
ein lustiges Monarchenpaar),
denn alle fühl’n sich gleichsam jeck!

Zwar wahren sie den frohen Schein,
doch sind nicht wirklich zu beneiden:
Die meisten müssen sich verkleiden,
um endlich mal sie selbst zu sein.

Michael Feindler 2015

Was bleibt

Bewegt die Tat auch Menschenmassen,
und so schockierend sie erscheint –
nach kurzer Zeit wird schon verblassen,
was durch den Schock zunächst vereint.

Denn in der Fassungslosigkeit
liegt stets die Suche nach dem Sinn.
Und wer nach diesem lautstark schreit,
der biegt ihn notfalls selber hin:

Aus jedem Opfer wird ein Held,
aus jedem Tod Martyrium.
Das Mitgefühl der ganzen Welt
erstickt im Individuum.

Aus einem „Wir“ wird schnell ein „Ich“,
die Opfer sind schon bald vergessen,
und schließlich bleiben unterm Strich
nur eigennützige Int’ressen.

Michael Feindler 2015

Verschwendung

Europa, was für eine Schande!
Es ist doch nicht mit anzusehen,
wie Flüchtlingsboote hier am Rande
des Kontinentes untergehen.

Zu helfen, wäre längst geboten!
Es wäre nämlich schlicht verkehrt
zu sagen, viele dieser Toten
wär’n lebend ebenfalls nichts wert.

Erst recht aus Unternehmersicht
sind diese Opfer nur Verschwendung!
Die Rettung wäre daher Pflicht:
Wir haben ganz gewiss Verwendung

für jene, die befürchten müssen,
sie würden auf dem Meer begraben.
Die werden uns die Füße küssen,
sobald wir sie gerettet haben!

Es wäre damit viel gewonnen,
wie jeder sich schon denken kann:
Denn wer dem Tode grad entronnen,
nimmt jede Art von Arbeit an.

Dann könnten wir den Beinah-Leichen
die schlimmsten Niedriglöhne zahlen.
Es würde ihnen trotzdem reichen,
vermutlich würden sie noch strahlen,

aufgrund des Glückes, hier zu sein.
Europa würde dadurch schöner
und ließe Flüchtlinge herein
als lebensfrohe Billiglöhner.

Michael Feindler 2014

Schutzvorkehrungen

Bekanntlich ist man stets bemüht,
für Sicherheit im Land zu sorgen.
Wenn Terror aber erst mal blüht,
erwischt es uns vielleicht schon morgen.

Man rechnet einfach nicht damit
und plötzlich hat man den Salat:
Die falsche Zeit, ein falscher Schritt,
und – Bumm! – ein Selbstmordattentat.

Ich seh nicht ein, das hinzunehmen,
und stell mich, wo ich leb und wohne,
der Grundgefahr mitsamt Problemen
und bau mir heute eine Drohne!

Natürlich schaff ich keine an,
die ab und zu auf Ziele schießt
und somit Menschen töten kann,
wovon man hin und wieder liest.

Nein, nein, das ginge mir zur weit.
Ich will mich nicht bewaffnet wehren.
Mir reicht es schon, von Zeit zu Zeit
mit meiner Drohne aufzuklären.

Ich werde bloß mal Bilder schießen.
Vor allem aus der Nachbarschaft,
wie Leute ihre Blumen gießen,
nackt baden oder stümperhaft

ihr altes Fahrrad reparieren,
in unsre gelben Tonnen pissen …
Das würd ich gerne kontrollieren,
es schadet nicht, das mal zu wissen.

Wobei – es ist nicht auszuschließen,
dass mir die Bilder zeigen werden,
dass Nachbarn, die sonst Blumen gießen,
mein Leben lange schon gefährden.

Womöglich lebe ich seit Jahren
im Zentrum einer Terrorzelle
und bin mir einfach nicht im Klaren:
Hier wohnen lauter Kriminelle!

Bislang ist das nur ein Verdacht,
doch wenn ich jetzt noch länger warte,
dann hat man mich schon umgebracht,
bevor ich meine Drohne starte.

Ich gehe aber gern als Sieger
hervor und deshalb rasch zu Werke
und bau den unbemannten Flieger,
ergänzt um eine neue Stärke:

Ich bin ja schließlich nicht naiv,
die Drohne wird jetzt explosiv.
Und gucken meine Nachbarn schief,
dann schieß ich eben präventiv!

Doch klappt es nicht auf diese Tour
und lande ich in fiesen Fängen,
dann bleibt als letztes Mittel nur,
mich selber in die Luft zu sprengen!

Michael Feindler 2014

Scheitern lernen

Fast haarfrei, dennoch ungeschoren,
verschrumpelt, schwächlich, wehr- und schutzlos –
so liegst Du da, grad frisch geboren,
gesellschaftlich noch völlig nutzlos.

Den Urinstinkten nachzugeben
und Dich, mein Kindlein, zu beschützen,
wär leicht, doch will ich Dich im Leben
gern effektiver unterstützen,

indem ich Dir die Watte nehme,
in die Dich sonst Dein Umfeld packt.
Dann spürst Du leichter die Probleme,
den Zeitgeist und den Lebenstakt.

Wer nämlich aufgepasst hat, kennt
den Ratschlag wichtiger Experten
aus Business und Management:
Es kommt drauf an, sich abzuhärten!

Das wird den Menschen eingebläut
auf allen Karriereleitern.
Drum merke Dir, mein Kind, schon heut:
Erfolgreich wirst Du nur durchs Scheitern!

Soll Dir der Aufstieg je gelingen,
so musst Du erst am Boden liegen.
Ich habe vor Dir beizubringen,
Dich nie in Sicherheit zu wiegen.

Das wird Dich hin und wieder stressen
und ist kein Null-acht-fünfzehn-Drill.
Trotz allem darfst Du nie vergessen,
dass ich doch nur Dein Bestes will.

Der Plan ist lange schon gefasst –
Du darfst ab heut mit ihm gedeihen
und wirst, sobald Du Hunger hast,
minutenlang vergeblich schreien.

Dann lasse ich mich nicht erweichen,
selbst wenn Dein Stimmchen laut krakelt.
Mit Tränen lässt sich nichts erreichen,
ganz gleich, wie sehr Dir etwas fehlt!

Das Essen kommt schon, gibst Du Ruh
(nach allerspätestens zwei Tagen).
Dann lernst Du hoffentlich dazu,
statt jeden Mangel zu beklagen.

Du sollst ja schließlich daran reifen
und lernen damit umzugehen,
um eines Tages zu begreifen:
Wir fallen nur, um aufzustehen!

Das wirst Du immer wieder merken,
mein Kind, ich sorge schon dafür:
So wird es Dich zum Beispiel stärken,
verbringst Du Nächte vor der Tür.

Und willst Du Fahrradfahren lernen,
sind Hindernisse angebracht.
Das linke Stützrad zu entfernen
ist, wie Du seh’n wirst, schnell gemacht.

Dann fährst Du los, fällst gleich zur Seite
und überlebst den Sturz nur knapp,
wobei Dich dieser Spruch begleite:
Was Dich nicht tötet, härtet ab!

Folgt bald darauf der Lebensernst,
so wage ja nicht einzuknicken!
Ich werde Dich, damit Du lernst,
auf eine Brennpunktschule schicken,

wo aggressive Kinder Dich
in Pausen in die Enge treiben,
denn mit dem Edding werde ich
auf Deine Stirn fett „Opfer“ schreiben.

Ach, ich vergaß noch zu erwähnen:
Du sollst ja Jason-Justin heißen,
damit die Lehrer wie Hyänen
Dein Können in der Luft zerreißen.

Gewiss wirst Du Dich fragen, wie
das durchzustehen ist, doch sieh
in sämtlichen Schikanen die
perfekte Langzeitstrategie!

Womöglich wirst Du dran erkranken
und leiden, aber glaube mir:
Du wirst mir eines Tages danken,
dass ich Dich heute malträtier!

Und stehst Du einmal nicht mehr auf,
weil Angst die Oberhand gewinnt,
bleibt dieser Satz im Lebenslauf:
Du hattest Deine Chance, mein Kind!

Michael Feindler 2014

Die Mitte

Wohin das Leben Dich auch treibt,
Du solltest stets die Mitte meiden,
denn wer dort einmal hängen bleibt,
wird immerzu darunter leiden.

Die Mitte nämlich ist die Stelle,
des höchsten Drucks, der größten Angst,
kein Ein-, kein Ausgang, nur die Schwelle,
von der Du kaum noch fortgelangst.

Die Mitte ist die Defensive.
Dort fürchtest Du den tiefen Fall
aus Frosch- und Vogelperspektive,
denn Ängste lauern überall:

Die Menschen vor und über Dir
beneidest Du und eiferst ihnen
seit Jahren nach, doch scheint es schier
unmöglich, Hoffnung zu bedienen,

die darauf aus ist, aufzusteigen
und möglichst weit voranzukommen.
Du weißt: Du wirst es eh vergeigen –
das Ziel bleibt sichtbar, doch verschwommen.

Und hinter oder unter Dich
magst Du die Blicke gar nicht lenken
Du fürchtest ja, dann würde sich
bestätigen, was viele denken:

Dass jeder, der nach unten schaut,
dem Sturz bereits entgegensieht,
sobald er seinem Stand misstraut
und dann sich selbst nach unten zieht.

Du bist Gefangener der Mitte,
wenn unter Dir der Abgrund klafft,
und fehlt Dir, trotz bemühter Schritte,
zum Aufstieg noch die letzte Kraft.

Du würdest gern den Druck vermeiden
und suchst nach einer off’nen Tür.
Am Ende wirst Du sie beneiden:
die über und die unter Dir.

Denn beide Seiten machen frei:
ganz oben hast Du jede Wahl,
ganz unten – das ist schön dabei –
ist alles, was Du tust, egal.

So steckt ein Rat in diesen Worten:
nimm notfalls einen Sturz in Kauf
und halt Dich an den schlimmsten Orten,
doch niemals in der Mitte auf.

Michael Feindler 2014

An eine PR-Agentin

Du fleischgeword’ne Männerphantasie
spielst leidenschaftlich vieles, was verlangt
und auch verlangend ist, hast aber nie
um Würde oder Ehre je gebangt.

Fast alles ist mit Dir verhandelbar –
wie weit Du gehst, bestimmt allein der Preis.
Für Deine Kunden bist Du wandelbar.
Die Masken sieht nur der, der um sie weiß.

Zudem verstehst Du Leere auszufüllen,
obgleich das bloß mit heißer Luft geschieht.
Du bist die Meisterin der schicken Hüllen,
erschaffst die Haut, die Blicke auf sich zieht.

Was außen abschreckt, kannst Du übermalen,
sodass sich seine Wirkung vollends wendet:
Die Menschen meinen dann, es würde strahlen,
doch werden eigentlich davon geblendet.

Du selber gibst Dich immer sehr diskret,
und kannst mit glatten Hüllen, die Dich kleiden,
und im Gewand der Seriosität
die Blicke in Dein Inneres vermeiden.

Machst Du für Kunden Deine Beine breit
und fallen Deine Hüllen schließlich doch,
entblößt Du Deine Oberflächlichkeit
und in Erinnerung bleibt nur ein Loch.

Michael Feindler 2014

Bildungsreise

Die Welt ist klein, zumindest in den Köpfen.
Wir Menschen mögen es, uns zu beschränken,
statt alle Möglichkeiten auszuschöpfen
und übern Horizont hinaus zu denken.

Nur allzu oft ertappen wir uns beim
Gedanken an erholsame Momente
in unserm eigenen, vertrauten Heim,
und wenn’s nach uns geht, darf das bis zur Rente

auch gern so bleiben, denn die beste Zeit
verbringt man, wenn das Radio ertönt
im Rahmen häuslicher Gemütlichkeit.
Man hat sich unbestreitbar dran gewöhnt.

Trotz dieser Neigung gibt es junge Spunde,
die lieber öfters aus dem Hause gehen
und die beschließen, eine große Runde
durchs Land und um den Erdenball zu drehen.

Denn sie versprechen sich von einer Reise
in andere Regionen und Gefilde,
durch die Erfahrung dort ein bisschen weise
zu werden. Schließlich heißt es, Reisen bilde.

Das tut es auch, wie der Bekanntenkreis
nach einem knappen Jahr auf Fotos sieht.
Erkenntnis Nummer eins: „Es war sehr heiß,
zu unserm Klima echt ein Unterschied!“

Und dann die Menschen anderer Kulturen!
Ein Heimgekehrter schwärmt: „Ach, war das toll
auf so lebendigen und fremden Spuren
zu wandeln. Ein Erlebnis. Eindrucksvoll.

Hinzu kommt: Sich in einem fernen Land
mit off’nem Blick und Neugier umzuschauen,
macht uns als Europäer tolerant
und hilft die Vorurteile abzubauen.“

Ein andrer Fotograf bestätigt nur:
„Ich war ja sowieso noch nie Rassist,
jetzt weiß ich aber sicher, dass Kultur
in jeder Form und Art berechtigt ist.

Das muss man nämlich stets im Kontext sehen.
Ich möchte deshalb wiederholt betonen:
Gewalt ist häufig leichter zu verstehen,
erkennt man sie als Teil von Traditionen.

Oft habe ich mich selber dran gestört.
Inzwischen prägt mich aber die Erkenntnis:
In weiten Teilen dieser Welt gehört
die Unterdrückung gar zum Selbstverständnis.

Das kommt ja schließlich nicht von ungefähr,
dass hier und da noch Diktatoren herrschen.
Und dieser Kult ums eig’ne Militär –
die Leute haben eben Spaß an Märschen.

Auch stimmt es selten, wenn man impliziert,
dass Menschen die Gewalt dort nicht ertrügen,
denn mancherorts wär’n Frauen irritiert,
wenn ihre Männer sie nicht länger schlügen.

Die Menschen werden ja zu nichts gezwungen.
Bloß weil’s uns fremd ist, ist es nicht gleich schlecht.
Im Grunde sind die ganzen Steinigungen
doch nur ein anderes Konzept von Recht.“

„Wir sollten“, heißt es weiter, „auch nichts ändern.
Wir sahen immer wieder auf der Reise:
Der Tod durch Hunger ist in manchen Ländern
schon ritualisierte Lebensweise.

In unsern Ohren klingt das zwar nach Qualen,
doch haben wir erlebt: Den Menschen dort
gelingt es, Glück und Würde auszustrahlen.
Sie sterben gern an ihrem Heimatort

und wissen bis zum letzten Atemzug
das Leben sehr zu schätzen, und zugleich
ist ihnen das, was sie erhalten, oft genug.
Dort gilt, wer niemals hungern muss, als reich.

Wir können uns daran ein Beispiel nehmen.
Denn liegen viele Orte auch entfernt,
so haben wir zum Umgang mit Problemen
im Hier und Jetzt doch einiges gelernt.“

Die Weisheit, die aus diesen Wort spricht,
bekommt in einer langen Fotoreihe
mehr Farbe und in Teilen ein Gesicht,
das meiste ist ein hübscher Blick ins Freie.

So rückt die ganze Weltgemeinschaft näher.
Es wirkt für uns vertraut und sehr gekonnt,
erklären weitgereiste Europäer
die Menschheit hinter ihrem Horizont.

Michael Feindler 2014